Sie sind währenddessen auf dem Parkplatz vor dem Bahnhofsgebäude und bleiben neben einer geparkten japanische Limousine stehen. Die beiden wechseln den Blick.
„Wenn Du willst, kannst du mit uns fahren. Es ist ein kleines Hotel südlich von Mombasa, nicht weit. Auch nicht teuer, aber du bist der einzige Gast …“, er lacht wieder kurz und hell, „außer mir.“
„Ja, geht das denn?“
„Natürlich, du kannst es dir noch überlegen.“
Der Afrikaner steigt als Fahrer zuerst ein, Frank setzt sich dahinter.
„Mit soviel Glück habe ich nicht gerechnet.“
„Zur Zeit ist nicht viel los, unser Tourismus ist stark eingebrochen, wir sind die Einzigen. Das ist übrigens Asuri, unser Koch und Fahrer. Na ja, und Mann für alles.“
Der Afrikaner nickt. Sie fahren auf einem breiten Boulevard mit Restaurants und Geschäften an beiden Seiten. Die Stadt ist quirlig. Je weiter sie aus der Stadt fahren, desto weniger Touristen sind unterwegs. Der Wagen rollt an einem Busbahnhof vorbei auf eine große Fähre. Bug und Heck sind symmetrisch gebaut, so dass sie gleich gut vorwärts wie rückwärts fahren kann.
„Hier müssen wir übersetzen, ein markanter Punkt, Likoni Ferry. Auf der anderen Seite beginnt das Festland, solltest du Dir merken! Die meisten öffentlichen Verkehrsmittel enden hier, drüben kannst du genauso weiter.“
Das bunte Treiben ist beeindruckend und die vielen Menschen sehen für Frank alle gleich aus, dennoch fällt ihm etwas Besonderes auf und ist fasziniert.
„Ich will ja kein dummes Zeug reden, aber gibt es weiße Schwarze?“
„Wenn du einen Albino meinst?“
„Ja, hinter uns war einer beim Lösen der Fähre behilflich.“
„Kenne ich!“, er dreht sich um, „Der muss froh sein, dass er einen Job hat.“
„Wieso?“
„Die sind im Land nicht immer beliebt“, wieder sein kurzes, helles Lachen, „oder zu beliebt.“
„Verstehe ich nicht! Heißt das, man gibt den Albinos keine oder nur schlechte Arbeit?“
„Ja! Die sind wegen häufiger Sehbehinderungen ohnehin benachteiligt, haben meistens nur eine mangelnde Schulbildung und finden selten Arbeit.“
Erik scheint dieses Thema beenden zu wollen und spricht nur noch englisch mit dem Fahrer. Die Fähre ist im Dauerbetrieb und hat in wenigen Minuten das andere Ufer erreicht.
„Wie kann ich mir merken wo das Hotel ist?“
„Ganz einfach. Vom Bahnhof geradeaus bis zur Hauptstraße, dann hinunter zur Ferry, also hier. Etwa zwei Kilometer lang und eine viel befahrene Busstrecke. Drüben gibt es eine Busstation mit einer fast kreisförmigen Linie durch Likoni, ein Stadtteil. Irgendwann siehst du eine große Schule, die Secundary School. Da steigt du aus oder ein, je nachdem, gehst direkt Richtung Strand und siehst sofort das kleine Hotel. Es steht kein Name drauf, übrigens.“ Er wartet, „Ist viel einfacher als du denkst.“
„Praktisch.“
Sie fahren weiter und nach wenigen Minuten wird das Auto langsamer.
„Wir sind gleich da.“
Erik wechselt ein paar Sätze mit dem Fahrer, der nickt und fährt bei dem Schulgebäude in eine Sackgasse ab. Frank traut seinen Augen nicht. Ein mannshoher Drahtzaun umgibt großzügig einen grünen Rasen und mitten drin steht ein weißes zweistöckiges Gebäude, ein schlichter weißer Würfel mit überdachten großzügigen Terrassen. Die vielen bunten Bougainvillea werfen ihre Farbkaskaden über die metallenen Einfriedung. In der grellen Sonne leuchten die Blüten in den Farben violett, rot und gelb, wie Neonreklame in der Nacht und dahinter lockt ein hellblauer Pool.
„Das ist ja ein Traum!“, sagt Frank, greift sich in die Haare und lacht in sich hinein.
„Was kostet die Nacht?“
„Kannst du in Dollar bezahlen?“
„Ja, kein Problem.“
„Habe ich mir schon gedacht. Fünfzehn die Nacht, ohne Rechnung, Frühstück extra, einverstanden?“
„Und ob!“
„Du musst nur Asuri die Nummer deines Passes geben. Sicher ist sicher, das verstehst du, oder?“
Vier Zimmer sind im ersten Stock, groß und hell, zwei davon mit einem Blick auf das Meer. Nach der Eingangstür ist links ein Schrank mit Garderobe, gegenüber die Dusche mit europäischen Armaturen und Toilette. Zwei Schritte weiter, durch eine dünne Wand, wiederum links, steht ein schneeweißes Bett in den Maßen zwei mal zwei Meter in einem großen Zimmer. Hauchdünne Vorhänge, auf der anderen Seite, lassen einen bezaubernden Balkon mit schattierter Pergola erahnen. Frank schiebt den Stoff zur Seite, öffnet zwei riesige Schiebetüren und lässt milde Luft herein. Er wird alleine gelassen, so wie das eben ist, wenn der Gast sein Zimmer bezieht, sein Gepäck einräumt und sich nach einer anstrengenden Anreise frisch machen will. Die Dusche ist herrlich, er benützt sie ausgiebig, das Haarshampoo duftet, die Körpercreme tut es ihm nach und noch frische Wäsche, was will man mehr.
„Vielleicht erst einige Tage klimatisieren, die Einheimischen besser kennen lernen, dann geht es richtig los, mit der richtigen Erfahrung im Umgang mit den Menschen hier“, so seine momentane Einstellung. „Natürlich haben die alle eine andere Mentalität, das werde ich bald herausfinden, ich war schon öfter im Ausland.“
Ein Test der Matratze ist genauso befriedigend und der kurze Gang auf den Balkon lässt Frank glauben, er ist in eine neue Welt eingedrungen. Dieses unglaubliche Blau des Himmels und des Meeres bis zum Horizont, lässt sein Herz sprichwörtlich schneller schlagen. Er setzt sich auf einen der beiden niederen Plastikstühle, die an einem weißen Gartentisch stehen und schaut hinaus, seit langem endlich ohne Gedanken. Irgendwann hört er im Hintergrund ein leises Klopfen. Er dreht sich um und sieht die Tür einen Spalt geöffnet. Frank winkt herein.
„Bist du ok?“, fragt Erik und öffnet ganz, mit einem Tablett in seinen Händen.
„Oh, super!“, antwortet Frank, „Du kommst genau richtig. Ist das für mich?“
„Ja, wenn du möchtest, ein Willkommen des Hauses.“
Frank eilt ihm entgegen, nimmt die Sachen ab und bietet einen Stuhl an. Er sieht einen Stapel Sandwich, Bananen, eine große Flasche Wasser und zwei Gläser auf dem bunten, mit Blumen bedruckten Tablett.
„Tolle Idee, ich gehe davon aus, dass du mitisst“, sagt Frank sichtlich erfreut und schenkt ein.
„Ja, bin immer wieder froh in meiner Muttersprache zu sprechen. Der Koch ist nett, aber sein Englisch geht mir auf den Wecker.“
Frank macht sich mit einem Heißhunger über sein erstes Sandwich her und fühlt sich immer mehr wie im Paradies. Erik hat keinen großen Appetit, möchte jedoch möglichst viel über Europa wissen. Ihre Gespräche sind interessant und sie unterhalten sich immer lockerer, fast kameradschaftlich, bis Frank nach etwa einer halben Stunde das Thema wechselt.
„Wem gehört denn das alles hier?“, sagt er.
„Einem Afrikaner, John Mzeen. Er ist seit acht Tagen unterwegs in England, du wirst ihn bald kennen lernen, schwerreich. Er legt keinen Wert auf ein ausgebuchtes Hotel. Ich war wie du auf Zimmersuche und hab´ ihn hier getroffen, dachte zuerst, es ist ein schwarzer Geschäftsmann, der übernachten will. Geschäftsmann ist er schon … und was für einer. Er reist viel, meist nach England, aber auch Südafrika, Namibia. Ich habe den Eindruck, dieses kleine Hotel ist für ihn eine Art Zuhause, das ihn an früher erinnert. Der Koch und ich sind die kleine Familie sozusagen“, er wartet einen Augenblick, „aber unterschätze ihn nicht.“
„Wieso unterschätzen? Was meinst du damit?“
Erik zupft eigentümlich an seiner Nasenspitze, streicht sich übers Kinn und sagt nachdenklich: „Er hat Macht!“
Frank weiß nicht, was angedeutet werden soll und wird stutzig. „Auch über dich?“, fragt er bewegt.
Eriks Gesicht bekommt Flecken. „Über mich? Wo denkst du hin? Ich arbeite mit ihm zusammen, das ist alles.“ Er steht auf, legt die Bananen zur Seite, nimmt das leere Tablett und geht ins Zimmer. „Ich lasse dich alleine, du brauchst Ruhe, aber ich bin im Haus und ansonsten bis morgen.“
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