Während Tarzan, nur vom Geruch geleitet, leise durch die Dschungel schlich, zeigte ihm die stärker werdende Witterung an, dass Bara in nicht zu großer Entfernung in einem Rudel versammelt sein musste. Dem grimmen Affenmenschen lief das Wasser im Munde zusammen im Vorgeschmack des Festmahls, das nur auf sein Kommen wartete. Je stärker die Witterung wurde, desto vorsichtiger wurde er; lautlos schlich er wie ein Schatten im Schatten des Waldes entlang, bis er am Rande einer Lichtung ankam und die Antilopen vor sich grasen sah.
Der Affenmensch hockte sich regungslos auf einen tief herabhängenden Zweig und wartete, bis die Bewegungen des Rudels eines der Tiere seinem Standort auf dem Baum nahe genug brachten, um wenigstens einige Aussicht auf Erfolg beim Ansprung zu haben. Das geduldige, oft viele Stunden dauernde Warten, bis sich die Beute umso sicherer endlich selbst dem Tode ausliefert, ist ein Teil des großen Spiels, das der Jäger auf Hochwild verstehen muss. Eine einzige unzeitige oder unüberlegte Bewegung jagt die scheue Beute mit wilden Sprüngen in die weite Ferne, aus der sie sich vielleicht tagelang nicht wieder zurückwagt.
Um einen solchen Zwischenfall zu vermeiden, wartete Tarzan unbeweglich wie eine Bildsäule, bis der Zufall eine der Antilopen in greifbare Nähe brachte. Da traf beim Warten die Witterung Numas, des Löwen, seine Nase. Tarzan runzelte die Stirne. Die Antilopen standen gegen den Wind, also musste, da der Löwe doch nicht zwischen ihm und den Antilopen war, der Wind der Herde die Witterung ebenso zutragen wie ihm. Gleichwohl schienen die empfindlichen Geruchsorgane der Grasfresser die Witterung ihres Erzfeindes nicht zu merken. Das sah man an ihrer friedlichen Ruhe beim Grasen, wie sie mit den Schwänzen wedelten und dann und wann mit erhobenem Kopf und gespitzten Ohren einen Blick um sich warfen, der noch nichts mit dem Schrecken zu tun hatte, den die Entdeckung von Numas Nähe augenblicklich erregen würde.
Der Affenmensch schloss daraus, dass einer jener eigenartigen Luftwirbel, die so oft ein völlig unbewegtes Luftloch mitten in ihrem Wege stehen lassen, die Antilopen umgab und sie sozusagen gegen ihre nächste Umgebung isolierte. Während er noch darüber nachdachte und Numa zum Henker wünschte, hörte er plötzlich das Unterholz am anderen Rande der Lichtung krachen und im Nu waren die Antilopen auf dem Sprunge. Gleichzeitig brach ein junger Löwe heraus, der mit einem wilden Brüllen zum Sprunge ansetzte. Tarzan hätte sich vor Ärger und Enttäuschung am liebsten alle Haare ausgerauft. Die tollpatschige Torheit des jungen Löwen beraubte ihn seines Mahles - die Wiederkäuer stoben nach allen Richtungen auseinander. Der Löwe hatte durch seinen ungeschickten Ansprung sich selbst und Tarzan dazu ums Mahl gebracht. Doch halt, was kam da? Ein in Entsetzen gejagter Bock, der blindlings davonstürmte, um den Krallen des gefürchteten Raubtiers zu entgehen, schoss bolzengerade auf Tarzans Baum zu. Da tauchte ein schlanker, hellbrauner Körper mit dem Kopf voran nach unten aus den Zweigen, stahlharte Finger packten den Hals des Wildes und feste Zähne griffen in sein Genick. Das Gewicht des wilden Jägersmannes warf die Beute auf die Knie, und ehe sie sich wieder erheben konnte, hatte ihr ein kurzer Ruck der mächtigen Hände das Genick gebrochen.
Ohne einen weiteren Blick warf sich Tarzan die Beute auf die Schulter und sprang am nächsten Baum auf. Er hatte keine Zeit mit Schauen zu verlieren, denn er wusste, was Numa tun würde, nun er ihm Bara vor der Nase weggeholt hatte. Er war denn auch kaum in Sicherheit, da fuhr die Riesenkatze bereits krachend auf den Fleck nieder, wo er eben noch gestanden hatte.
Numa war verdutzt, brüllte grauenhaft und stierte den oben auf einem Zweige sitzenden Affenmenschen an. Tarzan lächelte spöttisch. »Du Sohn von Dango, der Hyäne, bleibe hungrig, bis du erst etwas vom Jagen verstehst.« Er warf dem Löwen verächtlich einen abgebrochenen Zweig ins Gesicht und machte sich ohne Mühe mit der Beute auf der Schulter durch die dichtbelaubten Äste davon.
Es war noch heller Tag, als Tarzan zu dem wartenden Alali zurückkehrte. Der Junge besaß ein kleines Steinmesser, mit dem der Affenmensch ein paar große Stücke für den Sprössling Waras und für sich selbst von der Antilope heruntertrennte. Die starken weißen Zähne des vornehmen weißen Mannes senkten sich alsbald hungrig in das rohe Fleisch, während ihn der Alali-Knabe erst überrascht anstarrte und dann Holz suchte, um ein Feuer anzuzünden. Tarzan sah erheitert zu, wie jener sich ein Stück auf eine für ihn schickliche Weise zubereitete, außen zu Kohle verbrannt, innen noch roh. Aber es war immerhin gebraten, und gab seinem Besitzer ein Gefühl bedeutender Überlegenheit über die niederen Tiere, die ihr Mahl roh verzehrten.
Tarzan lächelte bei dem Gedanken, wie unbestimmt die Linie ist, die den zivilisierten Menschen vom Wilden trennt, wenn es sich um Instinkt und Appetit handelt. Einige seiner französischen Freunde, mit denen er bei einer gewissen Gelegenheit zusammen speiste, waren entsetzt, als er ihnen erzählte, dass er ebenso gut wie viele afrikanische Volksstämme und wie die Affenvölker Raupen aß, und sie gaben ihrem Abscheu lauten Ausdruck, während sie zwischendurch mit sichtlichem Genuss Schnecken verzehrten. Der Durchschnittsmensch verspottet den Franzosen, weil er Froschschenkel isst, kaut aber selbst mit vollen Backen an einem Spanferkelbein. Der Eskimo vertilgt rohen Walfischspeck, und am Amazonas essen die Leute (Weiße so gut wie Farbige) den Mageninhalt von Papageien und Affen und betrachten das als Feinschmeckerei. Der chinesische Kuli fragt nicht, ob das Fleisch, das er isst, ordnungsgemäß geschlachtet ist und wie lange es her ist, und in New York lebt ein Mann, sonst ein ganz ruhiger und stiller Mitbürger, der isst Limburger Käse mit Birnen.
Da Tarzan für die nächsten Tage genügend mit Fleisch versorgt war, machte er sich an die Anfertigung von Waffen und einem Lendentuch. Er zeigte dem Alali, wie er mit seinem Steinmesser die Fleischteile von der Antilopenhaut schaben konnte und machte sich dann selbst daran, mit nur ein paar aus einem Bach gesammelten Kieseln Waffen zu fertigen, die ihn instandsetzen sollten, es erfolgreich mit den Alali-Weibern, den großen Raubtieren und etwaigen anderen Feinden aufzunehmen.
Während der Arbeit sah er ab und zu auf den Alali-Knaben und fragte sich zweifelnd, ob ihm dieses Häufchen Elend beim Versuch, den Weg durch den Dornwald zu finden, nützen werde. Dass das arme Geschöpf furchtsam war, zeigte sich an der Art, in der es vor den Alali-Weibern floh und durch die Angst, in die es bei Numas Anblick geriet. Seine Stummheit machte den Knaben als Gefährten wertlos und der gänzliche Mangel anderer als der allerrohesten Weidmannskunst, die schon der Instinkt verleiht, ließ ihn für Tarzan völlig nutzlos erscheinen. Aber der Junge hatte sich nun einmal im Augenblick der Gefahr in jenem Hof auf seine Seite geschlagen, und wenn er ihm auch damals keine Hilfe hatte sein können, so hatte er sich doch das Recht auf Rücksicht verdient. Nebenbei zeigte sich aber ganz deutlich, dass das Geschöpf für Tarzan eine gewisse Zuneigung empfand und ihn gar nicht verlassen wollte. In Erinnerung an einen alten Gespielen und Kampfgenossen seiner Kindheit gab ihm sein Beschützer den Namen eines Riesenaffen aus Kerschaks Horde, Taugh.
Derweil Tarzan an seinen Waffen arbeitete und über den Alali nachdachte, kam ihm ein Gedanke - er wollte dem Knaben ähnliche Waffen fertigen und sehen, ob er ihn in deren Gebrauch unterrichten konnte. Die plumpen Waffen der Alali konnten gegen Pfeil und Bogen nicht aufkommen, sie waren nicht einmal einem guten Speer gewachsen. Selbst ihre Wurfsteine trafen nicht so weit wie ein treffsicherer Bogenschütze schießen konnte, und mit ihren Keulen waren sie einem gewandten Speerwerfer gegenüber hilflos.
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