»Was ich fragen wollte«, beginnt Tredup zerstreut. »Du hast da vorhin was von Verräter gesagt. Richtig: Verräterchen. Hast du damit die Bilder gemeint?«
»Laß das, Tredup. Laß das!« ruft Stuff gerührt. »Wir sind alle keine Engel. Wenn bekannt wäre, was ich alles ausgefressen habe, ich säße Jahre und Jahre im Zuchthaus.«
»Es wird halb so schlimm sein. – Glaubst du, daß noch jemand was davon weiß, daß ich die Bilder verkauft habe?«
»Halb so schlimm! Ich sage dir, Tredup, in Stettin, auf der Kleinen Lastadie, in einem Hinterhaus, wohnt eine Frau, wenn die reden wollte und meinen Namen wüßte! Da war damals ...«
Stuff verliert sich und Tredup findet Zeit, zu fragen: »Glaubst du, daß die Bauern von meinen Bildern wissen? Da ist seit ein paar Tagen einer ...«
»Zum ersten Male bin ich mit der Henni bei ihr gewesen. Henni wollte und wollte nicht. Ich sollte sie nicht heiraten, ich sollte kein Geld zugeben, sie würde das Kind schon alleine großziehen. Ich gehe natürlich doch mit ihr hin. Wir kommen rein. – Ich hatte der Henni gesagt, mit meiner Liebe wäre es aus, wenn sie es nicht täte. ›Laß mir das Kind, Männe‹, hat sie geflennt.
Wir kommen rein, nur so eine Wohnküche, weißt du, zwei große Söhne von ihr. Die gehen raus, weißt du, wie wir kommen, ohne ein Wort. Sie ist so eine kleine gelbe Person, früher Hebammenschwester gewesen. Hat schon ein paarmal deswegen Zuchthaus gehabt. Man braucht gar nichts zu sagen, sie weiß sofort Bescheid. ›Legen Sie sich mal da über den Tisch!‹ Und zu mir: ›fünfundzwanzig Mark.‹«
Stuff schnauft und sieht vor sich hin.
»Na, es geht ganz schnell. Sie macht es mit Wasser und einer Spritze, nur der richtige Zeitpunkt muß es sein. Zwei Tage oder vierundzwanzig Stunden später ist das Kind da. Keiner hat's bei der Henni gemerkt. Sie hat es nachts abgemacht und am nächsten Tage ihren Dienst getan. Dienstmädchen.
Aber wie sie mir davon erzählt hat, Tredup, ich träume heute noch nachts davon. ›Ich habe nachgesehen, ehe ich es weggeworfen habe‹, sagt sie. ›Es wäre ein Mädchen gewesen.‹ Ich habe geheult, Tredup, richtig geheult, wie sie mir das gesagt hat.«
»Na, das ist sicher schon lange her«, horcht Tredup.
»Gar nicht so lange«, prahlt Stuff. »Und seitdem bin ich noch dreimal bei der Frau gewesen. Und einmal habe ich auch eine dazu gebracht, daß sie falsch geschworen hat ...
Ja, wir sind Schweine, Tredup, wir alle sind Schweine. Am Tage läuft man so rum und macht denselben Schweinkram wie die andern, aber nachts, wenn man lange in den Lokalen gesessen hat und der Pint steigt einem grade nicht zu Hirn, da sieht man, was man für ein Schwein ist: ich, du, alle.«
»Stuff«, sagt Tredup plötzlich entschlossen, ganz bleich vor Erregung. »Stuff, mir geht immer einer nach.«
»I wo, das bildest du dir ein.«
»Es ist, glaube ich, wegen der Bilder ...«
»Wegen welcher Bilder? Ach so, wegen der Bilder? Nee, das ist erledigt, da geschieht dir nichts. Lieber gehst du aber am Montag, wenn die Bauern demonstrieren, nicht dazwischen. Aber sonst, da geschieht nichts.«
»Nein, nein, so ist das nicht. Es ist auch die Bombe losgegangen beim Präsidenten.«
»Wegen der Bilder? Du Idiot!« lacht Stuff. »Wegen der Steuern ist die losgegangen, daß die Regierung Angst kriegt. Und die haben auch schon die Hosen randvoll, da sei man sicher.«
»Und es geht mir doch einer nach.« Tredup beharrt. »Nicht schon damals. In den letzten Tagen erst.«
»Weiß jemand vielleicht was von dem Gelde? Wieviel hast du übrigens gekriegt?«
»Dreihundert. – Nein, da weiß niemand von.«
»Also fünfhundert. Du hast viel davon ausgegeben?«
»Zehn Mark!«
»Und deine Frau?«
»Weiß auch nichts. Das Geld ist nicht im Haus.«
»Dann sage da man lieber rechtzeitig jemandem, wo das Geld ist. Es kann einem schließlich mal was passieren.«
»Siehst du, du glaubst es auch! Siehst du! Nein, das erfährt niemand, das ist eingegraben. Und wenn du mich totschlägst, ich verrate es nicht.«
»Schwätz nicht. Du bist ja besoffen. Wer soll dich totschlagen?«
»Nun, der Kerl von der Illustrierten, der mit dir bei mir war, nachts. Oder der mir immer nachläuft.«
»Wer läuft dir denn immer nach?«
»So ein kleiner Dicker. Mit krausem Haar. Schwarz.«
Stuff fällt plötzlich was ein: »Sag mal, kennst du Perduzke?«
»Perduzke? Nein. Wer soll das sein?«
»Höre mal, Tredup«, sagt Stuff und lehnt sich über den Tisch. »Hast du vielleicht in letzter Zeit was ausgefressen? Irgend etwas Großes, meine ich, nicht so etwas Kleines mit der la main , wenn du allein im Laden bist, Annoncen werben.«
»Du bist ein Schwein«, sagt Tredup, »du bist wirklich ein Schwein. Aber, damit du es weißt: weder was Kleines mit der la main noch was Großes.«
»Todsicher nicht?« Stuff glotzt beschwörend.
»Todsicher nicht. Weder geklaut noch Verführung zum Meineid, noch Abtreibung, noch Bomben, noch sonst was.«
»Ich glaube, er lügt diesmal wirklich nicht«, sagt Stuff. »Dann ist Perduzke ein Idiot. Laß ihn ruhig nachlaufen, Tredup, der tut dir nichts. Der meint wen anders.«
»Aber ich habe Angst, Stuff. Immer, wenn ich mich umdrehe, ist da jemand. Und am schlimmsten ist es, wenn keiner da ist, dann habe ich den Kopf ewig im Nacken, bis ich ihn wiedersehe.«
»Feigling! Du solltest bei uns im Felde ...«
Aber Tredup fährt unbeirrt fort: »Es ist da eine Stelle auf meinem Hinterkopf, die fühle ich ständig. Weißt du, quer über den Schädel, ein schmaler Streifen. Hier, vom Wirbel ab. Das ist kein Scherz. Da sitzt ewig ein Druck und ich weiß, da kriege ich mal einen mit der Hacke über den Schädel. Das fühl ich schon. So von hinten über den Schädel. Und dann liege ich da und bin weg.«
Er starrt Stuff erwartungsvoll an.
»Wir hatten da einen Vizefeldwebel im Felde«, setzt Stuff ein. »Mit dem fing es auch so an.«
»Rede nicht«, unterbricht Tredup. »Du sollst mir sagen, was ich tun kann. So werde ich noch verrückt.«
»Der Vizefeldwebel«, widerspricht Stuff hartnäckig, »kam auch in eine Anstalt ...«
Tredup steht brüsk auf. »Guten Abend, Stuff. Du machst wohl die Zeche in Ordnung.«
Nimmt seinen Hut und geht.
7
Es ist immer noch Sommernacht draußen, eine dunkle, mondlose Sommernacht, in der sich die Baumblätter leise bewegen. Das Wasser über dem Wehr rauscht noch immer, und auf der schwarzen Fläche des Teichs liegen die glänzenden Reflexe der Gaslaternen.
Tredup lehnt mit seinem Rücken gegen einen Baum und mustert aufmerksam den Weg in die Stadt. Die Fahrbahn liegt unbewegt und klar im Schein der Laternen da, und auch der Bürgersteig ist leer und fast schattenlos.
Aber die Bäume stehen auf jeder Seite in zwei Reihen, und hinter den starken Lindenstämmen kann ein Mann sich verstecken, oder zwei, man weiß es nicht. Und dann springen sie zu, und da ist die Stelle am Hinterkopf ... Haben sie erst geschlagen, dann ist es nicht so schlimm, aber der Augenblick der Erwartung muß grauenhaft sein.
»Am besten ginge ich noch mal ins Lokal und telefonierte mir eine Taxe vom Bahnhof her«, überlegt er. »Aber nein, da ist Stuff. Und ich komme nicht los von ihm, und das Saufen fängt wieder an und die Weibergeschichten ...«
Tredup tritt in die Mitte der Fahrbahn und beginnt langsam und zögernd vorwärts zu gehen. Ist er auf der Stammhöhe zweier Bäume, so späht er erst lange und vorsichtig hinter sie. Dann geht er weiter.
Zehn, zwölf Bäume sind schon vorbei, und vor ihm tauchen am Ende der Allee die Lichter des Marktplatzes auf, da bewegt sich rasch aus dem schwärzesten Schatten ein kleiner kugliger bärtiger Mann auf ihn zu ... jener, den er gestern schon sah, heute ...
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