Umkämpfte Resilienz Umkämpfte Resilienz Fertigwerden mit dem Unvermeidlichen? Angebote und Qualifikationen im sich rasch drehenden Karussell der Nöte und Hilfen up to date zu halten ist nicht einfach. Der Markt scheint immer Neues zu verlangen. Kann ich mich mit „meinem“ Beratungs- und Hilfeangebot noch sehen lassen oder drohe „ich“ mit meinem Profil unter die Räder zu geraten? Öffentliche Verwaltungen verhalten sich wie Unternehmen, wollen effiziente und preisgünstige Hilfe, um – beispielsweise – mit Lernstörungen, Folgen von Desintegration, Ausschluss, Lebenskrisen, nicht zuletzt hervorgerufen durch politische oder unternehmerische Entscheidungen, fertig zu werden. Wie schon oft zu hören, sei die Welt aus den Fugen geraten. Seit einigen Jahren wird uns das Konzept der Resilienz als Heilmittel für heimische Vorgänge sozialer Desintegration und für globale Katastrophen, resultierend aus Krieg und Klimawandel, nahegebracht. Dieser Begriff, der aus der Physik stammt und die Biegbarkeit und Festigkeit eines Materials beschreibt, welches unter Belastung nicht bricht, sondern standhält und seine ursprüngliche Form wieder annimmt, findet sich in Therapie und Beratung, in Führungskräftetrainings und Organisationsentwicklungskonzepten. Aber nicht nur dort: Ganze Bevölkerungen und Bevölkerungsgruppen sollen mit den Segnungen von Resilienzkonzepten versorgt werden. Pädagoge/inn/en wie Innen-, Außen- und Verteidigungsminister/innen setzen große Hoffungen auf dieses Konzept. Was kann uns das über die Beratungsszene und über Politikkonzepte sagen?
1 Resilienz in der sozialen Arbeit, in Erziehung und Beratung
2 Resilienz in einer Welt der Katastrophen und der Gewalt – fit für die Krise
3 Resilienz und Sicherheitspolitik
4 Nicht die Gefährdungen verhindern, sondern die Verwundbarkeit vermindern
5 Resilienz als Geschäftsmodell und Legitimation für den Abbau von Gesellschaftlichkeit
Regulieren, steuern, optimieren – ist das die Zukunft der Schulpsychologie?
Spielräume der »Machtunterworfenen« im unwirtlichen Gelände der Beratung
Fehlanzeige für aufgeklärtes Denken?
Begabungsförderung gut und schön – wie wäre es mit einer anderen Sozialpolitik?
Nachdenken über Gesellschaftsblindheit in der aktuellen Psychologie
1 Der Mangel an Gesellschaftsbewusstheit als Blockade allgemeiner Entwicklung
2 Einige Schwierigkeiten bei der Überwindung von Gesellschaftsblindheit
3 Psychologiestudium und Gesellschaftsbewusstheit
4 Restauration und Ökonomisierung
5 Postmoderne eindeutig: Robuste Beseitigung kritischer Psychologie
6 Identitätsarbeit in funktionalisierenden Kontexten?
7 Die Zukunft der Gesellschaftsblindheit und ein mögliches Erbe von „1968“
Weitere Veröffentlichungen
Nachdenkseiten der Schulpsychologie
Jahrbuch 2018
Emanzipation des Individuums
oder seine Funktionalisierung
Was machen und wollen Psychologie
und Beratung?
Nachdenken über ihre Rollen
Für Individuum, Institution und Gesellschaft
Jürgen Mietz
März 2018
Korrekturen Mai 2018
Wir hoffen, human zu handeln. Wir möchten dem und der Einzelnen zu mehr Einsicht, Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit verhelfen.
Institutionen (und wir darin) regeln, vermessen, disziplinieren, sortieren, meistens wissenschaftlich und — vordergründig und ökonomisch betrachtet — effizient. Spielräume und Nischen für Nonkonformität verschwinden, wie Biotope im Klimawandel. Das geschieht in einer Zeit, in der wir zu Individualität und Zivilcourage aufgerufen werden.
Die Spaltungen in der Gesellschaft nehmen zu (wie nun auch die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung anerkennt), obwohl wir alle auf Qualität, Evaluation und Zertifizierbarkeit konditioniert werden.
Dem Nachdenken darüber sind die Aufsätze im vorliegenden Band gewidmet.
Die Artikel erschienen zuerst 2017 und 2018 auf den Nachdenkseiten der Schulpsychologie
schulpsychologie.wordpress.com
Jürgen Mietz ist Diplom-Psychologe und Supervisor (BDP), arbeitete viele Jahre in schulpsychologischen Beratungsstellen
Texte: © Copyright by Jürgen Mietz
Umschlaggestaltung und Fotos: © Copyright by Jürgen Mietz
Verlag: Jürgen Mietz, psych-kontexte.jm@posteo.de
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Schreibfehler, unverständliche Satzkonstruktionen (aufgrund von Denkschwächen und aufgrund von Bedienungsfehlern beim Einfügen und Löschen) waren erheblich. Das konnte so nicht bleiben. Deshalb habe ich zahlreiche Korrekturen vorgenommen.
Das wirft Fragen auf. So zum Beispiel die, ob es eine gute Idee ist, solo zu arbeiten.
J.M., im Mai 2018
Fertigwerden mit dem Unvermeidlichen?
Angebote und Qualifikationen im sich rasch drehenden Karussell der Nöte und Hilfen up to date zu halten ist nicht einfach. Der Markt scheint immer Neues zu verlangen. Kann ich mich mit „meinem“ Beratungs- und Hilfeangebot noch sehen lassen oder drohe „ich“ mit meinem Profil unter die Räder zu geraten?
Öffentliche Verwaltungen verhalten sich wie Unternehmen, wollen effiziente und preisgünstige Hilfe, um – beispielsweise – mit Lernstörungen, Folgen von Desintegration, Ausschluss, Lebenskrisen, nicht zuletzt hervorgerufen durch politische oder unternehmerische Entscheidungen, fertig zu werden. Wie schon oft zu hören, sei die Welt aus den Fugen geraten.
Seit einigen Jahren wird uns das Konzept der Resilienz als Heilmittel für heimische Vorgänge sozialer Desintegration und für globale Katastrophen, resultierend aus Krieg und Klimawandel, nahegebracht. Dieser Begriff, der aus der Physik stammt und die Biegbarkeit und Festigkeit eines Materials beschreibt, welches unter Belastung nicht bricht, sondern standhält und seine ursprüngliche Form wieder annimmt, findet sich in Therapie und Beratung, in Führungskräftetrainings und Organisationsentwicklungskonzepten. Aber nicht nur dort: Ganze Bevölkerungen und Bevölkerungsgruppen sollen mit den Segnungen von Resilienzkonzepten versorgt werden. Pädagoge/inn/en wie Innen-, Außen- und Verteidigungsminister/innen setzen große Hoffungen auf dieses Konzept. Was kann uns das über die Beratungsszene und über Politikkonzepte sagen?
1 Resilienz in der sozialen Arbeit, in Erziehung und Beratung
Subjektstärkung oder Not als Markt?
Ein Grund für die Beliebtheit des Resilienzkonzepts dürfte sein, dass es an der Ressourcenorientierung anzuknüpfen scheint, die sich in den letzten Jahren als grundlegende Orientierung in Pädagogik, Therapie und Beratung durchgesetzt hatte. Ressourcenorientierung heißt: Das Subjekt wird in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Verborgene und ungenutzte Fähigkeiten sollen für Hilfesuchende (wieder) verfügbar werden. In einem – kurz gesagt – emanzipatorischen Kontext pädagogischer, sozialer Arbeit und Beratung kann das zur Subjektstärkung und -entwicklung, zu Heilungsprozessen und Autonomie beitragen.
Das Konzept des Resilienzausbaus scheint nun den Aspekt der Emanzipation fördernden „Augenhöhe“ zweier Subjekte zwischen Klient und Berater auszudünnen. Der Klient wird vom Bürger und Rechtssubjekt zum Objekt und Konsumenten von Angeboten zwecks Anpassung an die gegebenen Möglichkeiten. Es geht um die Fähigkeit weiter zu machen und nicht um Autonomiegewinn beziehungsweise nur in dem Maß und Sinn, wie er der Anpassung dient.
Elemente eines solchen hierarchischen, paternalistischen Erziehungsansatzes in Pädagogik und sozialer Arbeit gab es schon immer. Er war jedoch relativiert und brüchig geworden, nachdem es nicht zuletzt obrigkeitliche und undemokratisch Verhältnisse waren, die Deutschland fähig und bereit machten, die Welt in zwei große Kriege zu stürzen und Millionen von Menschen zu vernichten. Eine Schlussfolgerung war, die Menschen als Subjekte zu etablieren. Sie sollten bürgerrechtlich und menschenrechtlich gebildet sein, als verantwortlich Gestaltende eine soziale Demokratie aufbauen. Der „autoritäre Charakter“ sollte der Vergangenheit angehören. Selbstverständlich gab es dieses Ideal nicht in Reinform und widerspruchsfrei. Dennoch schlug sich eine demokratisch emanzipatorische Haltung in Gesetzen, institutionellen Regeln, Praxen und Ausbildungen nieder.
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