Sie fletschte ein Lächeln und sagte beim Anblick junger Mädchen: „Wir müssen nur dran glauben, dass jede Arbeit ihren Wert hat. Wir werden durch mehr Türen kommen“, märtyrend, „das kommt noch Mädchen“, als meine sie, kommt, ihr kleinen Frauen, erlesen wir uns vor den Bösen. Und predigen!
„Katholisch oder evangelisch“, fragte ein aggressiv scherzender Vater, der seine Tochter Melissa als einen Besitz zur Schau stellte, durch seine übergriffige Umarmung. Darauf parierte Rebe-Scheelke gutmütig, aber bestimmt, sie werde hier jetzt mal durchmischen, die Eltern könnten fürs Erste gehen. Widerwillig zogen die Fruchtbarbaren ab und Pfau Rebe-Scheelke mischte durch, Männlein, Weiblein, sei im Grunde alles das gleiche. Nicht gleich, aber gleichwertig, mahnte sie, die solche Eltern kannte, denen Gedanken und eigene Gedanken schon gar nicht gefielen. Als Kind begreift Mann das nicht, als Mensch sowieso nichts, was in Mann und Frau zerteilt wird und sich deshalb gegenseitig auf- und absucht, sagte sie, oder ich lege ihr das gerade in den Mund, haha, wer weiß das schon genau. Ich fand sie spitze. Sie wetterte, diese neue Generation Frauen müsse kitschkritisch werden, sie hoffte gern, die Rebe-Scheelke. Ihr Ziel: dass mehr Damen zu Namen kamen, es wurde echt Zeit.
Wir Kinder flitzten derweil umher und warfen uns mit Bauklötzen ab, während sie sprach. Das war natürlich respektlos gegenüber dem aktuellen Mann im Raum: einer erwachsenen Frau. Daher setzte sie die weiße Kreide kreischend an, allerdings um sich selbst das Wort Frau vor dem Nachnamen durch- und den Bindestrich bei Rebe-Scheelke dafür doppelt zu unterstreichen.
„Für euch, Rebe-Scheelke.“
Sie verlangte Ruhe und setzte Jungen neben Mädchen. Dafür wurde sie von der Landesregierung zwar nicht besoldet, aber die bisher geschlechtslosen Kinder mussten das Geschlechts-Los ohnehin überall sonst ziehen, ob sie wollten oder nicht. Bei ihr sollte es egal sein. Etwas an ihr war anders als an anderen Erwachsenen. Die Mitschüler Deniz und Melissa fanden das unpassend. Melissa sagte, bei ihr zu Hause am Tisch säßen die Jungs rechts und die Mädchen links und sie glaube, das müsse doch auch in der Schule so sein.
„Glaube ersetzt Berge“, sagte Rebe-Scheelke gelassen, meinte Hürden, aber fast alle verstanden den herkömmlichen Spruch und Deniz schrie, „Jungs haben einen Pimmel, Mädchen haben gar keinen!“
Rebe-Scheelke lachte schallend, Mädchen hätten eben was Eigenes und es gebe schließlich sogar Menschen dazwischen, zwischen Mädchen und Junge, oder jenseits davon. Hatte sie mir zugezwinkert? Sie winkte den erstaunten Deniz nach vorn, Kreide in die Hand, ließ ihn an seinem Namen buchstäblich scheitern, während ein Flüstern über das Weizenfeld aus Kindern wehte: Dazwischen ? Z wischen Mädchen und Junge ? Einige schauten in die Luft zwischen den Stühlen. Jenseits? So viele Fragen. Doch zuerst sollten alle ihre Namen nennen. Auch wir.
„Noch so ein Blondschopf“, sagte die Lehrerin und dass man Jakob aber mit B schreibe. Sie deutete auf den anderen Jakob in der Klasse, ebenfalls blond, der mir fröhlich zuwinkte, aber ich hatte nur Augen für meinen und drehte ihm den Rücken zu. Doch das mit den blonden Locken war ein Merkmal, das Rebe-Scheelke auffiel, das fiel mir auf.
„Nö“, seinen Namen schreibe man mit P, jauchzte Jakop. Rebe-Scheelkes Blick freundlich genervt zunächst, überrascht dann auf der Klassenliste: „Aha, und dein Bruder, kann der nicht selber?“
„Bruder? Nein!“, bellte er. „Kann der nicht! Darf er nicht!“ Ich zuckte mit den Schultern, als er meinen Namen für mich anschrieb, sich dann aber einer besseren Schreibweise besann und meinen Namen mit dem Schwamm von der Tafel wischte, sodass nur ein transparenter Kreidefleck blieb, den keiner entziffern konnte. Nun denn, ein Schreihals weniger, ging Rebe-Scheelke vermutlich durch den Kopf, da sie „prima“ sagte.
Als deutliches Ende unserer infantilen Späßegesellschaft versprach sie uns zu guter Letzt das Lesen und Schreiben an den Hals. Jakop wusste bereits, wer in Lieblingsbibeln lesen konnte, für Muttchen rezitieren, der würde auch von einer MG wieder angebetet werden. Er brüllte, „Ja, Pfrau Rebe-Scheelke! SCHRESEN UND LEIBEN“, und sie nickte fantastisch gelassen.
Am Ende der Stunde ging ein Leuchten über Jakops Gesicht auf und tief atmete er den Eukalyptusduft in sich ein, den Rebe-Scheelkes Bonbon in unseren elektrisierten Knochen hinterlassen hatte. Ich wollte mehr von ihr, aber sie ging geradewegs den Gang hinunter, der zum Ende hin immer dunkler wurde. Sie winkte Einzelnen hinterher, aber eine Uhr tickte und Arbeit war eine Decke, die sie nicht den ganzen Tag über wärmte. In ihrer windigen Marschwucht strudelten einige Zettel von irgendwoher in die heimwärts gewandte Richtung mit ein, bis sie mit einem Türschlag in der Gangmündung fürs Erste dem Willen Gottes entkommen war.
Der wollte jetzt vorankommen und überholte die trödelnden Kindsköpfe, die halben Portionen, auf dem Trampelpfad direkt zum tuffenden, puffenden Omnibus.
Arglos stieg Jakop ein. Er setzte sich, stutzte über einen großen Schriftzug an dem Schutzbrett vor seinen Füßen. Ich war hier , das stehe überall, meinte Herbert.
Der schnurrbärtige Busfahrer sprach Jakop einfach so an, stellte sich vor, als sei er ein Gleichaltriger. Herbert trug ein graues Hemd, ungebügelt, Halbglatze und keine Unterhosen. Das konnte man bestaunen, sobald er sich beim Fahren oder Schnaufen vorbeugte. Sein Blick gefiel mir nicht sonderlich, wenn er Jakop überdeutlich anschnaufte.
Als Schüler ritze man den Ich war hier -Spruch überall rein, um sicherzugehen, nicht vergessen zu werden, erklärte Herbert. Das mache Mann so. Worte seien eben immer auch Zauberworte, mit denen man das Erinnertwerden herbeizaubern könne, komisch eigentlich, findet ihr nicht?
„Komisch“, wiederholte Jakop gebannt, strahlend, als habe er seine MG direkt vergessen für ein Stück Aufmerksamkeit. Neue Liebe, neues Glück.
Herbert war wirklich der Allerdümmste, fand ich, aber Jakop reckte ritterlich das Köpfchen in die Höh’ und über diejenigen zusteigenden kleinen Drachen hinweg, die er nicht selber war. Keins der anderen Kinder interessierte sich für Herbert. Im Gegenteil, sie hielten auffällig Abstand. Sie tauschten erfahren Blicke, dann ihre Butterbrotreste gegen quietschbunte Aufkleber und Plastikfiguren, um in das neue Schuljahr mit wirtschaftlichem Aufschwung einzusteigen. Aufstieg beschäftigte auch Herbert, war er doch in seiner Freizeit Bergsteiger gewesen.
„Jetzt nicht mehr, eine Verletzung, wisst ihr, aber vor ein paar Jahren noch.“
„Oh nein“, bangte Jakop und ich wollte aus der Konversation nur noch aussteigen. Ich drückte meine Eifersucht samt Stirnfalten hart gegen die Fensterscheibe.
Die Haustür zu Hause stand offen und Jakop stellte sich von Bergsteigern und Eukalyptus ermutigt dort rein und verkündete, er akzeptiere diesen Umgang an seiner Seele nicht mehr. Das sagte er wirklich. So gehe das nicht weiter. Was wäre mit ihm? Scheiße! Und überhaupt! Ein länglicher Atem sank federleicht von Magda runter zu ihm, und als sie eine von Mutterschaft ausgelaugte Weichheit zuließ, fragte sie, ob er denn unsere Schultüte noch gar nicht geöffnet habe?
„Schultüte?“ Er tippte verlegen das dickere Ende der Keule auf den Küchenboden. Dieses Machtmaterial hatte er nun den ganzen Vormittag ungeöffnet mit sich durch die Gegend präsentiert. Da sei ein Geschenk für ihn drin.
„Für euch“, sagte sie, aber das hörte Jakop nicht. Seine Kristallaugen traten weit hervor. Das kannte ich schon. Musste mir die Hand vors Gesicht halten, denn jetzt kam eine Supernova. Wie vom Blitz durchpfählt, erzitterte Jakop in ihrer Liebe.
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