Unlängst übersäten all seine Abfälle den äußersten Rand des Gartens. Selbst nackendicken Wurzeln schnipselte das Bübchen haargenau die Gurgel durch, als sei ein Wurz jemandes Atemwerkzeug, gerade als sich das Familienunglück Bahn brach, weil Magda der Dotter im Ei donnerte.
Eine Packung mogelte sich aus unserer Mutter Schmauchstelle hervor, zunächst tröpfchenweise. Sie vermutete den Vorgang nur, während Jakops Augen vor Sterbenswut zu platzen drohten. Denn zu allem Überfluss begann Magda ein Lied zur Beruhigung ihres Kugellagers zu singen. Sein Lied. Damit wählte sie die ganz falschen Strophen für ihren Unterleibskampf und entfächerte ein Brennen in Jakops Überlebenskrampf mit dem von ihm sonst so geliebten –
„Bruder Jakob, Bruder Jakob“
Viel interessanter als einen Bruder Jakop fand sie dann nämlich doch die unfassbare Gärung unter ihrem Busen, streichelte die Wände dieses reifenden Früchtchens, dieses bald namentlich heißenden Heißluftballons. Das waren doch Wehen gewesen, oder wehte der Wind? Kind, himmlisches, klemmt’s etwa?
„Schläfst du noch, schläfst du noch?“
ER jedenfalls schlief nicht. ER flüsterte und bettnässte wie in Trance, sprühte Verachtung schäumend aus seinem Schandmaul heraus, „Mannooo“, sich an dieser beschissenen Schöpfung mit gutgemeinten Geschenken zu rächen.
„Hier die Blumen, Mama!“
Das Lied singend überhörte unsere MG aber sowohl ihn als auch das schiedsgerichtete Gejohle ihres Gatten beim zweiten „TOOOR!“
(Jakop und ich nannten den Vater lieber Förster, aber dazu später Mär. Der Typ stellte den Fernseher sowieso lauter, wenn Jakop rotierte. Fußballpublikum heulte unverständliche Anfeuerungsrufe so wie auch Förster unverkennbar „Ja, MACH IHN REIN“ grölte.)
Und Jakop heilte den Strauß schräg in die Luft wie ein Faschist: „Für dich hier die Blümchen!“ Wahnwitzig spie er Schnodder über schwellgekaute Lippen, biss sich närrisch in sich fest, wollte mal sehen, wen sie lieber mochte, ihn, blumigen Mann, oder das baldige Baby, wollte das offene Feuer der MG erwidern, wenn ihr Neuankömmling die Kampfansage nicht bald zurücknahm. Wozu hatte Magda ihn denn hergestellt, wenn er ihr jetzt nicht mehr gefiel? Gefiel er ihr nicht mehr?
„Muttiii? Oh Manno!“ Das gestattete er nicht. Niemals. Nein. „Bitteee, Mamaa!“
Knapp schaute die Überforderte ihm direkt vor die Füße, bloß ein Reflex. Das genügte. Darauf zerplatzten die zarten Knötchen in seinem Hirn. Jaulend raffte Jakop alle letzten lebenden Dinge nun komplett aus der verbliebenen Rasenaufschüttung, viel war ja nicht mehr übrig, außer mir und meinem Schokoladenvollbart. Das merkte auch Jakop. Er verlor völlig die Kontrolle über sich, schubste mich in die von Dornstrippen umdrahteten Bombeneinschläge, die er händisch ins Geblüm geprotzt hatte. Boxte mich. Schlug. Das war ein herrlicher Körperkontakt. Und ich, Ulknüdelchen, von Wonne benebelt, würde mich nun drei Wochen nicht waschen.
„Hörst du nicht die Glocken, hörst du nicht die Glocken?“
ER drückte meinen Kopf in die weich durchwurmte Braunerde, schlug seine Empörung mit der gerechten oder rechten Faust von oben nach. Sicher ist sicher, und „ICH WILL KEINE SCHWESTER“, hackte diese Bestie mit Handkante auf mich nieder, während unser Muttertier umstandsmodisch die neue kleine Kreatur in sich beschwor.
„Ding dang dong, ding dang dong“
Ihre Breitengrade reibend, setzte sie sich in Bewegung, sodentbrannt. Zu laut störte es mittlerweile von der Kinderarbeit zu ihr hinüber, diese Faxen hätten sie kirre gemacht, kreischte sie verzweifelt, noch ehe ihr die Hutschnur riss. Rief nach Hilfe, doch vom Fernseher nur Tribünengesänge. Fahrig gestikulierend verließ sie den Sessel, stieß ihn von sich, breitbeiniger als immer, kreißend. Es traf, wie es eintraf. Entkorkt parfümierte Magda die Sintflut aufs Unterholz, woraufhin Bruder Jakop mir den frisch enthobenen Garten mit einem ähnlichen Planschen in meine Schnute direkt hineinservierte, mich abrichtete, Kirchenglocken einläutete, ding!, ich hätte es gewusst, dang!, was für ein Verrat, dong!, sein eigen Fleisch und Gut! „ICH WILL DAS WEGHABEN, SCHEISSE“, von schräg oben jätete er schräg auf mich herunter, dass ich Pflanzenleichen sogar in die HalsNasenOhren bekam, „DIESER FETTBAUCH, SCHEISSE“, stopfte er rasend mehr Rasen hinzu, um noch schneller zu vollziehen: „So! NICHT! MEHR!“
Jakop, sechs Jahre, wahrlich ein Richter. STIMME, oh, Gott in meinem Kopf. Und ich glaubte: So soll Mann sein.
Ich wollte alles daransetzen, mir die bereits erwähnte Scheibe von ihm abzuschneiden, ich wusste nur noch nicht wie. Aber ich würde es tun. Ich freute mich so darauf. Das Leben würde großartig werden, als eine Scheibe von Jakop!
erwischte uns auf dem falschen Fuß.
Vor allem den Förster überfiel der Einwurf eines neuen Familieninsassen so abrupt, wie ein TV-Testbildschirm in die Übertragung des WM-Halbfinales knallt, im Jahrhundertmatch Deutschland gegen Schießmichtot. Förster blieb das Herz stehen. Er fühlte sich zum ersten Mal seit unserer Geburt von der Reservebank der Liebe in ein lebendiges Zuspiel zurückgefordert.
Förster, das war natürlich unser Vater. Eigentlich hieß er Isaak von Tann zu Ficht. Förster war sein Mädchenname gewesen, den er für Magda von sich geworfen hatte, um geliebt zu werden und sozial aufzusteigen. Doch der Namenswechsel hatte das Gegenteil bewirkt, den Nachnamen einer Frau anzunehmen, was für ein Unding, Urning, Weichei, flüsterten die Leute im Dorf. Kein echter Mann. Und Magda hatte nur noch Augen für die Kinder gehabt danach, und seit sie den Traum vom Studium für ihn an den Haken gehängt hatte.
Konnte er sich jetzt also einmal beweisen? Fühlte sich so eine große Chance an, oder war er schlicht besoffen? Er schaute auf die sechs Flaschen Bier und wusste die Antwort. Nur was war die Frage gewesen?
Während an diesem 11. Mai 1997 unsere schnaufende Mutti auf einen Krankentransporter gehoben wurde, eilte Jakop hölzern zum weißgekleideten, weißhäutigen Krankenwägler hin. Die Mama habe sich in die Hose gemacht! Da passiere schon nix Schlimmes, ihr Mennekens, die kriege bloß das Baby, wiegelte Förster den kleinen Täter geniert vom Sanitäter ab. Die Türen des motorisierten Karrens schlossen zu und die MG wurde mit Lalülala weggefahren.
„So eine Scheiße, gerade heute!“, zischte Förster, hin- und hergerissen zwischen Mattscheibe und Matriarchin.
„Scheiße scheiße“, wiederholte Jakop. Das Spiel im Fernsehen schien Förster glatt das Wichtigere zu sein. Die sicherere Option. Laut seiner abendlich hörbaren Beschwerden, bezüglich den seiner Meinung nach zu selten stattfindenden Heimspielen auf der Liegewiese, war im Grunde ihm ja nichts wichtiger gewesen, als den Kreis der Familie mit einem weiteren Spielkreis potenziell aufs Spiel zu setzen. Zittrig griff er irgendeine Videokassette und schob sie in das Aufnahmegerät, um auch ja kein Spiel zu verpassen. Auf dieser „irgendeinen“ VHS-Kassette mit der Aufschrift „Die Zwillinge“ sollte Förster ein Jahr später das dusslige Fußballspiel sehen und heulend die Mattscheibe verprügeln, doch in diesem Moment fiel es nicht ins Gewicht. Da eine neue Geburt vor der Tür stand, konnte die alte mit Fußtritten und Kickern überspielt werden.
Die körnigen Aufnahmen davon, wie Jakops Hand schon rauslugte, sie an unseren zappelnden, schleimigen Körper zogen, mich zuerst rausgepflückt, umwickelt und JUNGE notiert hatten. Elf Minuten Altersunterschied. Als die Uhr zwölf geschlagen hatte, kam das zweite BÜRSCHCHEN durchgeschleust. Mit sofortiger Tobsucht forderte dieses welke Zärtelchen seine Liebe vom zermarterten Gehäuse, das nun, dank ihm, eine Mutter geworden war. Glückwunsch! Was für ein Schöner, notierte jemand und: JUNGE. Jakops Faust hatte als Erstes die Welt erblickt und unsere baldige Schwester lief nun Gefahr, ebendiese Faust anzulocken. Laufend lief man Gefahr mit ihm. Geburt war sein erstes Attentat gewesen, mich aus seiner Mutter zu verbannen und schon bald würde auch das Schwesterchen daran glauben müssen. Aber vorher wurde unsere Geburt wie durch Geschichtsklitterung überschrieben und wir wurden vom Förster in ein Fahrzeug Richtung Zukunft übertragen.
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