Ich war weder nett zu ihm noch habe ich ihn beachtet.
Ich war mir selbst viel zu wichtig und so stolz, mich in diesem Rudel durchgesetzt zu haben.
Aber er hat die Matura geschafft. (Asperger Syndrom war damals noch ein Fremdwort).
Wie ich studierte er auch danach Vermessungswesen, und ich ging zu ihm zur Nachhilfe!
“Du hast schon wieder falsch gerechnet“, schüttelte er den Kopf und hauchte mich zwiebelglücklich an:
“Schau genau, die Winkelberechnung stimmt nicht!“
Ich schluckte beschämt.
Er hat das Studium erfolgreich beendet. I
Ich überlegte, ob ich auch in die rohe Zwiebel beißen sollte, aber ich gab lieber das Studium auf.
So Lied geht!
Zurück in die Schule! Die Vergangenheit lauert!
Da kam eines schönen Tages Morgen Heribert, der Kapitalistensohn, mit einem "Singleplayer“ (dem Vorläufer des Discman) in unsere Klasse und schob eine kleine runde Scheibe in das Gerät.
“Hört zu, ihr Kinder der Beatmusik, jetzt geht’s richtig los!“.
“When a man loves a woman“ von Percy Sledge ertönte und ich war hinüber.
Jede Pause seufzte ich:“ Bitte noch einmal!“. Ich war platt und holte mir noch einen Punschkrapfen. Wenn Liebe so etwas bewirken konnte, dann wollte ich Liebe lernen.
Also beschloss ich: "Musik wird mein Leben!“
Ich erwachte in einer Zeit, in der jede Jugend damals erwachte. Plötzlich war Musik ein wärmender Mantel, der uns alle einhüllte. Während in den USA Jack Keruac sich schon mitten in der Beatgeneration suhlte, von Dope, Dharma, Dalei Lama, Charlie Parker, Gillespie, Armstrong und lockerem Geschlechtsverkehr erzählte, begann sich bei uns am Lande erst der Rock&Roll langsam ins Bewußsein zu schleichen.
Es kamen Botschaften dahergeflogen, und man wusste gar nicht, dass es diese Probleme gab, denn sie kamen von irgendwoher und lösten sich irgendwohin auf. Politik war ja noch kein Thema für uns Heranwachsende. Das waren ältere Herren, die kryptische Botschaften über eine Zukunft abgaben, die nicht die Unsere war. Männer in Anzügen und Kravatten, die sermonisierten und für mich so weit entfernt waren wie Butter von Margarine.
“Talking `bout my generation“ sangen "The Who" und das war so was von politisch!
“Komm gib mir deine Hand“ tönte es von den Beatles, "Needles and pins“ von den Searchers.
Romantik pur.
So war man plötzlich auf der Welt. Mittendrin im Zeitgeschehen. Jeder Ton, der aus dem Radio schrie, war eine Botschaft.
Englisch verstand ich nicht besser als Slowenisch, aber ich war plötzlich ein Ausländer. Nicht mehr gefangen im heimischen Trott. Nicht mehr gefangen im heimischen Idiom. Elegant aufgehoben in einer besseren Welt.
In einer Welt mit Zukunftsaussichten.
Heute im Internetzeitalter lächerlich. Damals das Tor in eine Bewegung voller Gefühl und Verständnisbereitschaft. Die niederdrückende Gewalt und der abgestandene Mief der vergangenen Jahre wurden abgeschüttelt.
Die Jugend stand auf, ging auf die Straße, und machte das Maul auf. Hendrix und Konsorten machten die "Mauer“.
Musik war nicht mehr nur Töne sondern auch "message!“
“And the times, they are a changin`“.
Und ob du aus Unterlupitscheni oder Hinterstinkenbrunn kamst:
"Talkin`bout a revolution ohhh, we gonna change the world “, sang es in jedem.
Ich will hier nichts glorifizieren, shit happens.
So suchte ich mir in meiner Klasse Jungs aus, mit denen ich eine Band gründen konnte.
Denn ich wollte teilhaben am Prozess der Umgestaltung. Die Provinz wegsaugen mit dem Staubschlucker der Nachkriegsgeneration, den Boden mit den schönsten Klängen der Welt polieren. „Ich“ werden mit neuem Selbstverständnis:
“Der Gitarre mit verstärktem Selbstbewusstsein!
Dem Schlagzeug, das den Herzschlag der Zeit donnerte,
dem Bass, der den Grund zu Leben untermauerte
und der Stimme, die sich auflehnte gegen die Mauer der Dumpfheit!
Das Horst Wessel Lied an die Wand schmettern".
Ich hab die Band gegründet und dann war ich endlich der Superstar!
Ich saß in der ersten Reihe in meiner Klasse: Links von mir der Bassist, hinter uns der Schlagzeuger und der zweite Gitarrist, eine Phalanx die nicht zu durchbrechen war. Und wir probten und probten. Unsere Herzen schlugen im Takt. Unser gemeinsames Lächeln zeugte von Einigkeit.
Nachdem die "schulische“ Leistung der drei Freunde der Beatmusik nachgelassen hatte, bat man mich, Nachhilfe zu geben.
“Ich verstehe, dass eure Leidenschaft der Musik gehört, und Leidenschaft ist empfehlenswert, aber den schulischen Anforderungen muss Genüge getan werden.
Berling, übernehmen sie“, sprach der Klassenvorstand.
Das tat ich liebend gern. Weil bei dem Gitarristen gab es immer Weintee, der uns für alle zukünftigen Aufgaben auf das Beste stimulierte.
(Seine Mutter sei gepriesen).
“Noch einen Tee, die jungen fleißigen Herren?“
"Gerne gnädige Frau, wir brauchen noch ein Weilchen!“.
Sie hat es wirklich gut "geweint“.
Wir haben alle Prüfungen bestanden.
Und wir spielten im Partykeller des reichsten Mädels unserer Klasse. Ihr Vater war ein prominenter Arzt.
"I can`t controll myself“ von den Troggs.
"You really got me“ von den Kinks,
"Nur ein Bild von dir“ von den Bambis.....
Ich war ja schwer verliebt in die Gastgeberin oder vielleicht auch nur in ihre großen Brüste, deren Festigkeit ich im Vorbeistreifen immer überprüfte. Who knows....
“Brüste haben so was Rührendes...“.
Im Physiksaal stand ich neben ihr während unserer Versuchsreihen, und ich konnte mich nicht beherrschen: Ihre Brüste waren mir immer irgendwie im Weg: “Entschuldige, die Schwefelsäure ist links von dir, darf ich sie mir ausborgen?“ „Gerne, aber musst du unbedingt dauernd an mir anstreifen?“ schmunzelte sie mich mit ihren grauen Augen an. “Entschuldige, reines Versehen meinerseits“ stammelte ich.
Sie war bezaubernd, aber ich hatte keine Chance.
Sie war zu zielgerichtet und wurde später Apothekerin. Hätte sie mir nur damals schon Beruhigungspillen verschrieben!
Überhaupt haben Brüste eine seltsame Alarmfunktion für Männer.
Erstens: Kann man die Alarmanlage niemals ausschalten.
Zweitens: Hast du eine Frau mit großen Brüsten, sehnst du dich nach einiger Zeit nach Kleinen. Und wieder retour.
Wenn sie hängen, ist es kein Problem, das erweckt Sympathie und erinnert unbewusst an Muttern.
Drittens: Brüste sprechen nicht, und du kehrst zu ihrem Gesicht zurück und ihre Augen bekehren dich.
Wenn man jemanden liebt
(und sich dessen bewusst zu werden ist ein weiter Weg, „Route 66“ ist eine Kurzstrecke dagegen)
dann sieht man die (auch körperlichen) Fehler des Partners nicht.
Aber die Nähe, die man sich erarbeitet hat, bleibt.
“What though lovest well remains, the rest is dross“ -Ezra Pound.
Sex ist eine Krücke. Wenn du sie wegwirfst, kannst du endlich gehen: Dorthin, wo die Nähe wohnt.
In ein fremdes Haus mit vielen Zimmern. Aber man verirrt sich nicht mehr darin.
VI
Blues 1965
“Alles schmerzt sich einmal durch bis zum eigenen Grund“, (Jan Kacel).
Lyrik und Musik, das war mein Ding mit Sechzehn und lange darüber hinaus.
In wenigen Worten, unbeholfen und wenig geübt, im ausschweifenden Ausdruck so viel wie möglich auszudrücken ohne klare Sätze zu formulieren, das gefiel mir.
Obwohl ich als Junge alle Bücher der damaligen Pfarreibibliothek ausgelesen hatte, hielt sich mein sprachliches Ausdrucksvermögen doch sehr in Grenzen.
Zu Hause wurde ja nur im Dialekt gebrabbelt und weder meine Mutter noch meine Nonna (die aus dem damaligen italienischen Istrien geflohen waren) konnten richtiges Deutsch:
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