Dunkel, dunkel, dunkel.
Ein Kanonenofen, der in der Ecke von Wärme brummte. Die Tafel schwarz und vom muffigen Geruch des alten Schwammes getränkt.
Freunde, an die mich nicht mehr erinnere.
Lehrer, die unauffällig blieben wie auch ich.
Kein einziger Name weder von Lehrern noch von Mitschülern taucht in meinem Gedächtnis auf, so unauffällig waren die Tagesabläufe und Wissenserlebnisse.
Die Zeit verging ohne dass sie selbst es merkte.
Mein Zeugnis war bestückt mit mittelmäßigen Noten.
Die lähmende Langeweile, die sich täglich ausbreitete, Interesselosigkeit der Lehrer, schläfrige
Aufmerksamkeitsbereitschaft der ungeforderten Eleven hatten auch mich in den Bann der Teilnahmslosigkeit gezogen.
Aber meine ehrgeizige Mutter gerbte mir gehörig das Fell, weil ich nicht die Aufnahmsprüfung in das Gymnasium machen wollte, in das sie mich unbedingt stecken musste:
"Du bist zu gut für die Hauptschule, glaube mir“,
sagte sie und schleppte mich förmlich in das gegenüberliegende Gymnasium:
"Komm, komm, komm.....“
„Bitte nicht, Mama. Was soll ich denn dort. Ich bin doch viel zu blöd. Schau dir mein Zeugnis an!“
Ich hatte keine Chance gegen sie, ihren Ehrgeiz, ihrem mütterlichem Pflichtgefühl und mußte zur Prüfung antreten.
Ich bestand sie nur bedingt und durfte eine Klasse wiederholen.
Denn dass "Akkusativ“ den vierten Vall bezeichnete, daß Tcharles Tarwin schuld an meiner Blödheit war, daß x plus x plus x nicht die Unterschrift eines Analphabeten bedeutete, daß Ta Vintschi das berühmte Porträt einer angeblich hübschen Nutte mit Flaum auf der Oberlippe gemalt hatte, daß Maria Theresa schuld war, daß ich hier hungrig nach Weisheit schwitzen und sitzen mußte, wusste ich natürlich nicht und das hat mich ein Jahr meines schönen Lebens gekostet.
Verzweifelt war ich vor den Fragebogen gesessen, in einem einsamen Kämmerchen, aus dem Fenster in eine andere Freiheit lugend, schweißgebadet ob meines Unwissens, die Welt, meine Blödheit und meine ehrgeizige Mutter verfluchend: "Mama, ma che fai!"
Und also kam ich trotzdem widerwillig ins Gymnasium, das meiner alten Hauptschule gegenüber lag.
Wie gelähmt und traurig blickte ich zurück, als ich die neue, hell strahlende Schule betrat.
Parkettböden und große in die Zukunft lachende Fenster.
Licht, Licht, Licht!
Gut bekleidete junge Menschen, die bedächtig und gelassen durch die Pausenhalle schlenderten. Intelligente Gespräche murmelten über die polierten Fußböden.
Eine wohltemperierte Atmosphäre der gutbetuchten Biederkeit.
Schüchtern und gramgebäugt schlurfte ich hinter dem respekteinflößenden Professor über das gebohnerte Parkett.
"Professor!“, allein das Wort war furchteinflößend!
“Herr Fachlehrer“, war die Bezeichnung meiner ehemaligen Lehrer gewesen.
Die Türe munter aufgeschlagen:
"Hier ist euer neuer Klassenkamerad“, stellte mich der Klassenvorstand vor, „er kommt aus der Hauptschule gegenüber und beginnt hier sein neues Leben. Gebt auf ihn acht!“
Dreiundzwanzig Augenpaare waren auf mich gerichtet. Erschwerend kam noch dazu, dass sechs davon von Mädchen stammten.
(In der Hauptschule gab es nur pickelbeladene Knaben).
Ich fühlte mich wie der pfeildurchbohrte Johannes der Täufer und wünschte mir Flügel, um aus dem offenen Fenster in den Himmel flattern zu können.
Hoch hinauf in das blendende Azur.
Sich in die Wolken betten.
“Dear Prudence, won`t you come out to play...dear prudence, it`s a brandnew day...“
Leicht gebückt und mit geröteter Gesichtshaut schlurfte ich in die letzte Bankreihe, in der noch ein Platz frei war.
Ich verfluchte meine Mutter. Ich verfluchte mein nachgiebiges Ich.
Wie konnte sie mir das antun!I
Ich hatte das Frühstück trotz Nußkipferl und Kakao nicht hinuntergebracht und war mit Bauchweh und Durchfall am Klo gesessen.
Und jetzt saß ich da, als Frankfurter Würstel unter steakgewohnten Mitsitzern.
Da hatte ich den Salat! Das Pult vor mir hochglanzpoliert. Keine Vertiefung mehr für das einst gebrauchte Tintenfäßchen in der alten Schule. Die Tafel vor mir grün, nicht schwarz, und dreigeteilt wie ein Tryptichon.
Ehrfurcht, Ehrfurcht, Ehrfurcht!
"Der werde ich wohl bald mein mangelndes Wissen ankreiden müssen", dachte ich verzweifelt.
"Ich bin Arthur“, sagte meine neuer Banknachbar und reichte mir die Hand.
"Servus, ähh... Ernsti“, antwortete ich und fühlte mich gleich besser und nahm Platz.
Verlegen stopfte ich meine Utensilien ins Bankfach.
Hin und wieder drehten sich Mitschüler um, mich kritisch betrachtend.
Meine Mutter hatte mich "festlich“ gekleidet und das fiel etwas auf. Hose mit pfeilgerader Bügelfalte, weißes Hemd ohne Kravatte, Schuhe mit „Erdal“ Creme zum Glänzen gebracht.
Arthur belächelte meine Nervosität, aber ohne Zynismus.
Arthur war ein cooler Typ, älter als ich, denn er wiederholte die Klasse und schien mir ziemlich abgeklärt. Braungebrannt, die Haare nach hinten gegelt, ein lockeres Schmunzeln um die vollen Lippen.
“Mach dir keine Sorgen, das wird schon, du hast eine nette Ausstrahlung“, flüsterte er mir zu.
Er hat mir über die ersten Hürden sehr geholfen, denn die Schule und der Erfolg waren ihm wurscht.
Er würde das Teppichhaus seines wohlhabenden Vaters übernehmen und auch ohne Matura einen Porsche fahren.
Er lud mich später auch zu sich nach Hause ein und gab mir Boxstunden.
Aber nachdem seine boxhandschuhbewehrte Faust schmerzlich auf meiner Nase gelandet war, gab ich auf. „Schmerz ist eine wirkliche Erfahrung“, meinte Arthur „und äußerst lehrreich, glaub mir!“
„Ich scheiß auf körperlichen Schmerz, was meine Seele zittern lässt, ist Schmerz genug“, antwortete ich. „Schon gut, kleiner Poet, lass uns was trinken“.
Wir saßen dann auf "Prauses“ Polstermöbeln (so hieß die Firma), gestyled von seinem Vater ,
ich trank mein erstes Cola und ich rauchte meine erste und letzte Zigarette in dieser Zeit.
Ich mochte ihn.
Im nächsten Schuljahr war er dann verschwunden. Wie Pollen vom Löwenzahn fortgeblasen.
Leider. Ich habe ihn nie wieder gesehen...
Damals gab es Gewand von "Hilfiger“ "Armani" und Konsorten noch nicht.
“Dandy, dandy, where you gonna go now...“ sangen die Kinks.
Trotzdem konnte man den Sozialstatus der Schüler am Äußeren erkennen. Untereinander waren wir uns dessen nicht so bewusst, aber die Mütter waren auf der Hut!
Die meisten von uns stammten aus dem Geldadel von Kleinöd:
Papiergeschäft
Gynäkologe
Fahrschulbesitzer
Autoverkäufer
Nationalratsabgeordneter
etc.
Ich hab nicht sehr darunter gelitten als Vorstadtcowboy und ich hab sie später überzeugt, dass auch in mir etwas steckte, obwohl ich in altbackene Klamotten gewandet war und mein Maul nur aufmachte, wenn ich etwas gefragt wurde.
"Schule ist der Finanzfahnder des Staates auf der Suche nach Genies, die man auf zukünftiges Duckmäusertum hin pfändet“.
Wenn ich heute darüber nachdenke, warum mir vom Geschichte Unterricht nur
“drei drei drei, bei Issos Keilerei“ geblieben ist,
von der Infinitesimalrechnung gerade die Überschrift,
von Chemie gerade noch H2O,
das man braucht, wenn man einen Brand nach übermäßigem Alkoholkonsum hat hat,
von Musik nicht einmal der Quintenzirkel,
(meine Musiklehrerin hatte auch noch gemeint: “Aus diesen Beateles wird nichts. Sinnloser Eunuchengesang“)
dann weiß ich genau, was Matura bedeutet:
"Wie der Darm, unser zweites Hirn, sinnlose Ballaststoffe so schnell wie möglich ausscheidet, so erkennt unser Oberstübchen rechtzeitig, was man nie mehr brauchen wird und löscht es sofort von der Festplatte.
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