“Ernstele, va nel Kaufause, bring Burro und Brote“! Oder immer wieder:
“Mio Ernstele gib Akte, Mensche sinde bese!“
Lyrik war Musik, ein Hineinfallen lassen in Gefühle, die schwer auszudrücken waren mit den üblichen Mitteln.
Weder Belletristik noch Malerei sind fähig, ähnliche Empfindungen hervorzurufen wie Lyrik und Musik.
Ingeborg Bachmann: “Die Anrufung des großen Bären“, du weißt schon, ist schließlich ums Eck von unserer Wohnung aufgewachsen (ein paar Jährchen früher) und das traf mich schon.
Ich las sie kopfschüttelnd, verstand wenig und verspürte viel.
Aus der Provinz ins Weltall der Literatur raketet! So etwas war möglich! Da stürzten sie über mich her, all die Wortgewaltigen!
Schon war ich Christine Lavant, Rose Ausländer, Paul Celan und Gottfried Benn (erst später hab ich von seiner Nazivergangenheit erfahren, aber wortgewaltig war er, der dicke Pathologe aus der Morgue).
Schon lauschte ich früh des Morgens den Vögeln und tatsächlich riefen sie mir zu:
„Mithuit, mithuit, miteinander, huit huit, zueinander“.
Ich hab das gehört und verstanden wie Franz von Assisi, ich schwöre!
Mir war mulmig zumute und ich dachte schon, ich gehöre in die Psychiatrie.
Ich habe es aber bis heute Niemandem erzählt.
Du bist der Erste.
Ich bin ja nicht so blöd mich hier zu blamieren.
Es war ein früher Morgen in der Osterwoche, in der die Glocken nach Rom flogen wie üblich
(wahrscheinlich mit Brian Air),
um dann am Ostersamstag zurückkehrend die Auferstehung zu verkünden: "Ding dong, ding dong! Weiht eure Schinken, laßt das Brot segnen, kocht die Eier hart, rubbelt den Kren, Gott ist auferstanden. Die Abmagerungskur sei beendet! Der Ramadan der Christen!"
Im Hof vor mir standen die Bäume schon im Saft.
Ich konnte nicht mehr schlafen vor Glück, weil ich Ferien hatte und stand um fünf Uhr morgens im sanften Frühlicht am Fenster und lauschte ins hellwerdende Grün.
Wir wohnten in einem Nazibau, hundert Meter im Quadrat, mit einer großen mittigen Wiese und vielen Bäumen und Sträuchern.
Eine Trauerweide stand genau vor meinem Fenster. An ihren langen Zweigen schwang man sich wie Tarzan durch die Lüfte.
Wunderschön
Romantisch
Herzerwärmend
Nervenkitzelnd
Der Vierkanthof war nur ein Stockwerk hoch. Eine durchdachte Architektur, so schwer es mir fällt den Nazis etwas Positives abzugewinnen, aber auch die Autobahn war eine gute Idee.
"Dass dir nur ja nichts entgegenkommt!“,
stand da ungeschrieben. Das nur so nebenbei. (Ich will ja hier nicht politisch werden).
Die Morgensonne stieg schon langsam über die gegenüberliegende Häuserfront. Das Kreuz des dahinterliegenden Kirchturms zeichnete sich scharf am Horizont ab. Es roch nach Frühling.
Es zwitscherte um mich herum.
Und so kam es wie schon erwähnt: Die Sprache der Vögel wurden von mir entziffert!
Sie sprachen einen erschreckenden Text, den ich verdrängt habe.
Da wusste ich: "Ich bin ein Teil des Ganzen“.
Nie wieder habe ich sie verstanden. So oft ich es auch versuchte. Manche Dinge passieren eben nur einmal.
Wenn man es versäumt, hat man wahrlich Pech gehabt.
Und nichts gehört!
Wer nicht aufmerksam ist, den strafen die Götter.
Die Tage stehlen sich
in meine Zeitlosigkeit
Gesichtergirlanden
Wortspiele der Verständigung
so vertraut
dass sie mir fremd wurden
Sirenenton des Kinderkreisels
du trägst mich fort
fort fort
welche Welten
zwischen
mir
und
mir
als ob ich
tausendfach beäugt
zu einem Staubkorn wachse
verblüht das Gestern
Sirenenton des bunten Kreisels
es kreischt in meinen Ohren
nimmermehr
nimmermehr
nevermore
Chinaski, 1971
Es war nicht ein Postsack, den ich mir umhängte wie Chinaski, dem alter Ego von Charles Bukowski, sondern meinen Gitarrensack, als ich wie jeden Samstag in die Straßenbahn stieg um zum Auftritt zu gondeln.
Meine Aknepickel hatten sich in rosige Gesichtshaut verwandelt.
Mein Mund zuckte etwas zynisch vor sich hin.
Altersweisheit schien sich langsam einzuschleichen.
Ich fuhr mir mit den Fingern lässig durch meine dunkelbraunen langen Haare. Der kurze "Niki“ Pullover bedeckte vorsichtig meinen flachen Bauch.
Die Wrangler Jeans seufzten störrisch bei jeder Bewegung, die Stiefeletten knarrten selbstsicher bei jedem Schritt.
"Eggenberg, einfach“,
löste ich meine Karte beim Chauffeur. Ich nahm Platz und blickte aus dem schmutzigen Fenster der Tram.
Ratternd ging es die Allee entlang, vorbei am Bahnhof, die Menschen hasteten zu ihren Zügen, die damals pünktlich verkehrten.
Vorbei am Simmering-Pauker Werk, in dem die Sklaven des Kapitalismus im Akkord ihren später zu versaufenden Lohn erschwitzten,
vorbei an Kreuzungen, an denen Mütter hektisch ihre Kinderwägen über den Schutzweg schoben um ihrem besoffen heimkehrenden Alten noch rechtzeitig Bier und Essen vorsetzen zu können und um mit blauem Auge -
"ich liebe ihn trotzdem“ -
der Nachbarin von ihrer glücklichen Ehe vorzuweinen.
Solche banalen Klischees wanderten durch meine Neuronen. Zum Erwachsensein braucht es halt einen längeren Schienenstrang als den Weg der 7erLinie.
Die Tram tuckerte gemächlich vorbei an Gastgärten, Sexshops und Kino:
"Schulmädchenreport“ konnte ich noch am Plakat entziffern. Diese ersten billigen Sexstreifen waren damals der Renner. Kein junger Mann ging ohne ein Taschentuch ins Kino.
Klingelnd und quietschend nahm sie schließlich die Kurve in die Straße meines Vergnügens und der Geldeinnahmen.
Ich spielte im "Gentleman-Keller“, und der Gentleman, der in diesem Keller abstieg, war noch nicht erfunden. Über ausgetretene Stufen tappte man hinab in die muffige Höhle der Wochenendunterhaltung. "Wochenend und Sonnenschein und du und ich im Wald allein....." , das war Vorkriegszeit. Das hier war kein Ablenkungsmanöver vor vorhersehbarem Unheil. Lockere Wohlfühlzeit war angebrochen. Der Sozialismus hatte den roten Teppich auch für die unteren Schichten ausgerollt.
Zukunkftsängste fortgewischt.
"Komm mit herein, ich stell dich vor!"
Der Chef ein pockennarbiger Fünfziger, sein Ehegespons eine übertrieben gestylte Blume aus dem Untergrund.
Auch die Ladys, die dieses Etablissement frequentierten, waren zwar jung und schön, aber Vorstadt halt, nett und sicher nicht bescheuert, sondern lebenserfahren weil ohne Matura.
Die Jungs kräftig gebaut und testosteronschwanger. Vom Mechaniker bis zum Friseur, vom Tischler bis zu Maler, gestylt wie eben vor dem "Saturday night fever“. Alles erste Sahne.
Mit leichtem Stich.
Charles stieg die obenerwähnte Treppe in den nach abgestandenem Rauch und verdunstetem Alkohol duftenden Keller hinab und begrüßte seine Mannen.
"Good morning Chinaski“ ,
schallte es ihm entgegen.
"Möge die Übung gelingen!“
Er schlenderte zur Bar:
“N' Abend Chef, n`Abend Chefin. Wie ist das werte Empfinden? Wollen wir die Sau rauslassen? Ein Viertel vom Besten. Danke herzlich!“
"Spielt bitte nicht wieder so laut“, tönte die Chefin, "leise und unterhaltsam ist das Zauberwort!“
“More feeling, more Schilling, knarrte Chinaski,
“solange ihr hört, was die Leute bestellen, ist es leise genug. Rock and roll ist kein Bridgeabend“.
Das erste Viertel vom sauren Weißwein hob die Stimmung nicht nur beim Stimmen der Gitarre.
Von langsamem Genießen war da zwar nicht die Rede, aber der Saft musste runter. Die Seele des Vorabends wollte geweckt werden.
Ich sah ganz nett aus, damals.
Mit Roy Black oder Paul Newman konnte ich nicht konkurrieren, aber schöner als Charles oder Kreisky war ich allemal und Saufen vertrug ich wie kein Zweiter.
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