1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Als mein Telefon läutete, war ich nicht verwundert, ich hatte unterwegs, schriftlich – per SMS – bereits mitgeteilt, dass wir auf dem Weg waren, dass wir Tangtse bereits passiert hatten und nun weiterfuhren. Die Antwort aus der Schweiz kam umgehend - wir wurden erwartet, ein Komitee sei bereits an der Straße, um mich an einem bestimmten Punkt in Empfang zu nehmen. Alles lief wie geplant, keine Störung im Getriebe.
Gerade als wir den großen See von Ladakh erreichten, den Pangong Tso, ein Naturereignis für sich, sahen wir die kleine Gruppe von Mönchen, sie hatten Tragtiere dabei, eines davon wartete auf mich.
Die Mönche bedeuteten dem Fahrer, den Uniformierten und den Trägern, dass man sie ab hier nicht mehr benötigte, sie würden für das weitere Fortkommen sorgen, hatten deshalb ja auch ihre Tiere mit dabei, um die Lasten zu tragen. Wobei ich anmerken muss, ich war sparsam ausgerüstet, hatte nur zwei Gepäckstücke, meinen eigenen Rucksack und einen weiteren Rucksack mit Geschenken, teilweise von Rimpong aus der Schweiz, teilweise von mir gekauft,als Gastgeschenke. Ich wollte nicht mit leeren Händen kommen. Ihre Unterstützung würde ich von nun an wohl brauchen, ohne sie war ich hier verloren, in dieser von Eis und Schnee starrenden tibetischen Welt.
Ein Detail gab es noch, das mich doch verwunderte, aber andererseits, auch das war verständlich, sie wollten keine Störungen von der Außenwelt erfahren, Touristen brachten nur Verwirrung.
Man verband mir die Augen und die künstliche Finsternis dauerte lange an, da waren Aufstieg auf einen Berg und auch der Abstieg, dann eine lange Wanderung durch ein Tal. Erst nach einer kleinen Ewigkeit, wie es mir schien, kam ein scharfes, kurzes Kommando, die Tragtiere hielten an. Die Augenbinde wurde entfernt, das Tageslicht schmerzte in meinen Augen, man machte eine kurze Rast an dem Fluss, der da gemütlich und unaufgeregt durch das Tal plätscherte. Zwei Mönche entfachten rasch ein kleines Feuer, zwischen zusammengeschobenen Steinen, eine Kanne mit Tee wurde aufgesetzt. Bald schon gab es einen heißen wohlduftenden Trunk, der meine Geister wieder belebte. Anschließend ging's weiter, über Stock und Stein, im wahrsten Sinne des Wortes, Berg und Tal, sogar unter einem Wasserfall vorbei, der Sprühregen war eisig kalt.
Es erinnerte mich unwillkürlich an ein Buch, das ich in meiner Jugend fasziniert gelesen hatte, die Geschichte von Shan-Gri-La, dem geheimnisvollen Ort, wo tibetische Mönche gar wunderliche Dinge vollbrachten, unter anderem sogar fliegen gelernt hatten.
Es gab aber auch andere Erzählungen, in denen von sogenannten "Elevationen" berichtet wurde. Mönche, die schwebten, über dem Erdboden, ohne jeglichen Bodenkontakt. Das war zwar kein "Fliegen", aber dennoch ein Abheben von der Erde. Natürlich glaubte ich solche Geschichten nicht, weder damals noch heute, aber es war ein schönes Märchen gewesen, ein moderneres Märchen, ohne Hexen oder verwunschene Prinzessinnen.
Und doch, als wir dem Kloster nahekamen - die Tragtiere beschleunigten unwillkürlich ihr Tempo, sie rochen den heimischen Stall - war es, als ob man in eine verzauberte Welt eintauchte. Der Wind trieb die Wolken über den Himmel, aber hier im Tal war es vollkommen still, kein Hauch regte sich.
"Rimpung Che !" sagte der Führer der kleinen Karawane, deutet auf einen Hügel, der sich an den Berg schmiegte, von ihm gewissermaßen den Rücken frei gehalten bekam. Die linke Seite des Hügels war eine steile Felsklippe, mit einem Überhang, unüberwindlich, bis vielleicht auf westliche Freikletterer, die auf solche Aufgaben geradezu spezialisiert waren. Es gab nur einen Weg hinauf, der führte in Serpentinen, in endlosen Schleifen, hinauf zu dem einzigen Tor, das Einlass zu dem Anwesen bot.
Wir gingen den Weg hinauf zu Fuß, es wäre zu gefährlich gewesen, auf den Tieren zu reiten, ein Absturz wäre zweifellos tödlich verlaufen, für Tier und Mensch. Das Tor war schon geöffnet und ein quasi offizielles Komitee aus ehrbaren Mönchen erwartete uns. Sie schlugen Schellen, Glocken klangen aus den Räumen, die Mönche lachten übers ganze Gesicht. Es war eine Sensation in ihrem Gefüge, ein Besuch aus fremden Landen. Die meisten hatten noch nie einen Fremden gesehen, bestaunten mich mit unverhohlener Neugier, umrundeten mich sogar, um mich von allen Seiten betrachten zu können. Ich lachte sie ebenfalls an. Der Lama kam mit langsamen, bedächtigen Schritten die Treppe vom heiligen Haus heruntergeschritten, näherte sich in gemessenen, ruhigen Schritten, blieb kurz vor mir stehen.
Er murmelte ein schnelles Gebet, sah in den Himmel hinauf und verbeugte sich anschließend vor mir. Dann kam er ganz nah an mich heran, fasste mich bei den Schultern und sah mir schweigend, fragend, in die Augen. Ich wusste nicht, wie lange das dauerte, denn auch schon dabei wurde mir ein bisschen mulmig, als ob mein Magen revoltieren wollte. Aber der Mönch lachte mich an und sprach in nahezu akzentfreiem britischen Englisch, fragte ob ich müde sei oder Hunger habe, ein Raum sei bereit, um mir Erholung von der Reise gönnen zu dürfen.
"Ich heiße Champa und bin der Khenpo, der Abt des Kosters, und ich habe schon viel von Ihnen gehört, Rimpong, in der Schweiz, hat ja regelrecht geschwärmt von ihnen – ich freue mich sehr, dass Sie nun wirklich hier sind, in Rimpung Che… und Ich freue mich auch, dass wir Sie hier unterrichten dürfen !"
"Guten Tag, ja, ich freue mich auch, dass ich hier bin, endlich da, wo ich mehr erfahren werde. Ich bin hergekommen, um von Ihnen, von Euch allen zu lernen, das ist der Weg, den ich gehen muss."
Man geleitete mich in mein Zimmer, das man extra mit westlichen anmutenden Stoffen und Schmuck hergerichtet hatte, sogar ein kleines UKW-Radio stand da auf dem Fensterbrett. Das Bett war weich, es roch nach Räucherkerzen. Nach einem kleinen Mahl mit Brot und Buttertee, legte ich mich schlafen. Erst am Tag darauf fühlte ich mich wirklich ausgeschlafen, begann meine Umgebung zu erkunden.
Ein junger Mönch kam heran, bedeutete mir in den Raum zu folgen, wo der Khenpo, der Abt, seinen Arbeitsbereich hatte. Auch einen Schreibtisch gab es da, einen Computer sogar, aber dieser war nur in Betrieb, wenn der Stromgenerator in Gang gesetzte wurde, was nicht allzu häufig der Fall war. Eine Verbindung zur Außenwelt gab es auf diesem Wege jedoch nicht, hier gab es kein "Netz", in das man sich einloggen konnte. Aber, ganz zentral am Tisch, das knallrote Mobiltelefon, man verfügte über einen Satellitenzugang, über ein indisches Netz. Telefonieren also konnte man, das war ja schon die halbe Miete. Ich lachte den Khenpo an, er wies mich an, mich zu ihm zu setzen, noch eine Tasse Tee mit ihm zu trinken. Er schlug mir jovial auf die Schulter, lachte aus vollem Herzen. Ich konnte nicht umhin, mit einzustimmen, obwohl ich keine Ahnung hatte, warum er lachte, lachte er vielleicht über mich. Nein, sein Lachen war frei von jeglichem negativen Unterton.
"Nein, ich freue mich sehr, dass Sie hier sind, denn nicht nur Sie werden hier etwas lernen, auch wir werden von Ihnen lernen, wir sind schon ganz, wie sagt man, neu-gierig…"
Champa stand auf, zog mich an der Schulter mit sich, wir traten auf die Plattform hinaus, das gesamte Bergpanorama vor uns, der Himalaya, rein und weiß, weiter rechts der gleißende See, die Sicht war atemberaubend. Der Mönch lächelte mich an.
"Verstehen Sie nun, warum das Kloster genau hier gebaut wurde, es hätte an keinem anderen Platz stehen können oder dürfen. Hier ist man ganz nah am Himmel dran, hier wohnt die Kraft, hier kann man sie manchmal wirklich mit den Händen greifen, dies ist der Ort dafür."
Ich stand wortlos, blickte in die gewaltige Arena, die sich da unter uns auftat, es war fürwahr, ein gewaltiger Anblick, man konnte sich der Kraft nicht entziehen. Ich fühlte ein seltsames Ziehen in meinen Muskeln, meine Nervenbahnen spielten verrückt, ich konnte nicht umhin, mich zu dehnen und zu strecken, es knackte in meinen Gelenken. Champa lächelte mich wissend an.
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