Es war genau da, als Champa eingriff, den Mönch mit einem scharfen Kommando zur Ordnung rief, ihm befahl seinen Arm wieder in die Höhe zu richten, seine Intervention abzubrechen. Ein kurzer Satz in der Landessprache beendete das kurze Intermezzo, der Adler konnte nun mit seiner Beute davonfliegen.
Champa lächelte geheimnisvoll, als er mir in die Augen sah.
"Auch Adler haben Junge, die Hunger haben. Es geht immer um das rechte Gleichgewicht, das muss unter allen Umständen erhalten bleiben, sonst gerät alles aus dem Lot und das Chaos greift Raum."
Ich sah in seine Augen, wollte bestätigt haben, was ich eben miterleben durfte, nämlich den Einsatz von Kräften, die die westliche Welt als "übernatürlich" bezeichnete.
Champa lächelte mich an, nickte kaum merklich mit seinem Kopf, hielt meinem Blick stand, ohne mit einer Wimper zu zucken.
"Ja, das war es, worauf Sie gewartet haben, ein Zeichen, einen Hinweis und es ist ja auch genau deshalb, weshalb Sie hier sind, um zu davon mehr zu erfahren, zu lernen, ich weiß."
An den folgenden Tagen begann mein wirklicher Unterricht. Was ich bisher gesehen hatte, war ganz außergewöhnlich, was die Sitten und Gebräuche der Mönche anlangte, aber es war nicht "sensationell". Es war gut für meine Reportage, ich war nicht nur ein aufmerksamer Beobachter, sondern ich hatte auch immer meine kleine Kamera mit dabei, und ich hatte bereits Material für drei Filme. Aber ab nun war alles anders, denn nun kam man auf den Punkt !
Es war klar, dass ich lernen musste, mit dem was mir "gegeben" war, umzugehen, und es richtig einzusetzen, wann immer, wo immer ich wollte oder es vonnöten war.
Champa sprach dann auch gleich den Hauptpunkt an, aber nicht ohne die ethische Seite des Unternehmens nochmals klar und deutlich zu betonen. Nämlich, dass diese "Kräfte" einer geläuterten moralischen Haltung, nicht in "falsche Hände" geraten durften, denn man könne damit auch viel Schaden anrichten. Man durfte diese "Kräfte" nur dann einsetzen, wenn es zum Nutzen der Menschen diente.
Ich wusste nur zu gut, dass man mit diesen Kräften nicht spielen durfte, und natürlich hatte ich auch keinerlei Bedenken, den strengen ethisch-moralischen Gesetzen Rechnung zu tragen. Ich hatte ja tatsächlich vor, den Menschen zu helfen, ganz konkret und unbürokratisch, mit sofort eintretender Wirkung. Ich musste mich bemühen Champa nicht anzulachen, ob der leichten Variation seiner Regeln, zu meinen Gunsten. Ich befand mich noch immer im Fahrwasser derselben Regeln, wenngleich ich sie eben ein bisschen abwandelte oder erweiterte. Es war alles eine Frage der Position, die man einnahm. Ich hatte vor, tatkräftige Hilfe zu leisten, so viel war mir schon klar gewesen, als ich hierher aufbrach.
Der Schwan und vielleicht auch mein Lehrer… sie standen gewissermaßen als Taufpaten dabei, wenn ich meine Fähigkeiten hier im Kloster nun verfeinerte und handzuhaben lernte. Ich war noch immer im Rohzustand, ein unbehauener Stein, aber das änderte sich ab dem nächsten Morgen. Und es war Champa selbst, der den Unterricht vornahm, gelegentlich aber zog er seinen talentier- testen Meister hinzu, um die graue Theorie auch mit praktischen Beispielen zu untermauern. Das sah beim ersten Mal so aus, dass Djetsun, der Meister, fast geräuschlos eintrat. Ich hatte gar nichts gehört, aber auf einmal stand er hinter mir und lächelte mich an, als ich mich erschrocken umdrehte. Ich vermeinte seinen Atem in meinem Nacken zu verspüren, obwohl er doch mindestens 3 Meter von mir weg stand, seltsame Dinge gingen hier vor.
Er richtete seinen Arm nach hinten, die Tür schloss sich, wie von Geisterhand bewegt, fiel ins Schloss. Er grinste wie das berühmte und in solchen Fällen oft heranzitierte Honigkuchenpferd. Zumindest meine Vorstellung von einem, solchen wurde nun mit seinem Bild in Deckung gebracht. Ich lächelte zurück, kannte ihn ja schon von verschiedenen Begegnungen, bei denen mir aber nie aufgefallen war, dass genau er, der Großmeister in der Disziplin dieser übernatürlichen Veranlagungen und Kräfte war.
Es kann nicht darum gehen, mich hier nun in alle Einzelheiten des Unterrichts vertiefen, denn es ist nicht meine Absicht die Geheimnisse der Materie preiszugeben. Wenn jemand über solche Fähigkeiten verfügte, fand sich immer ein Weg damit umgehen zu lernen. Ich denke nicht im Mindesten daran, die gerade modische Neugierde im mystischen Bereich hier befriedigen zu wollen. Die Traumtänzer der Esoterik sollen lieber an ihre Glaspyramiden und Horoskope in den Tageszeitungen glauben. Ich will diese Klientel nicht bedienen, ganz im Gegenteil, die waren mir schon immer ein Gräuel gewesen.
Champa beschrieb mir die Vorgänge, die notwendig waren, um, wie Rimpong in der Schweiz es schon gesagt hatte, Feuer und Wasser ganz plötzlich zu vereinigen, eine "Explosion" herbeizuführen, aber dies eben nur… "virtuell", wie man so schön sagte, in unserer modernen Welt. Der Praktizierende machte sich davon lediglich ein gedankliches Bild und richtete all seine Aufmerksamkeit auf das Objekt, fast, als ob man mit einem Gewehr zielte, alle Energie auf einen ganz konkreten Punkt zu richten, um dann einen gezielten "Schuss" abzugeben. Die geballte Energie auf einmal und unmittelbar zu entladen, sie auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren, einem Brennglas ähnlich, zu fokussieren. Und die eingesetzte Kraft sollte auch nicht unkontrolliert eingesetzt werden, nur eine genau kalkulierte Menge an Energie verwandt werden, um nicht gleich alles zu "übersteuern", wie sich Champa ausdrückte. Haushalten, könnte man sagen - das musste ich lernen und die Energie zu bündeln. Genau dann, wenn es von Nöten, ob es spontan oder ein geplanter Einsatz war. Keine Zufälligkeiten, keine unabsichtlichen Entladungen, auch schon aus Selbstschutz, es konnte ja auch für mich gefährlich werden, wenn etwas "schief ging". Champa erwähnte, dass die Energie auch abprallen und auf mich reflektiert werden könne, was dann auch mein eigenes fatales Ende zeitigte. Ein Spiel mit dem Feuer und das ganz nah am Abgrund.
Mit einem Wort, ich musste lernen, wie beim Fußballspielen, den Ball zu führen, genau dorthin, wohin er sollte, nämlich ins Tor – auch da muss man mit den Kräften haushalten und taktisch vorgehen, um dann gezielt den Ball im Tor zu versenken.
Es waren Konzentrationsübungen, aus denen mein Lehrgang bestand. Ich verstand auch ganz genau, was man mir mitteilte. Es war wie eine Tür zu öffnen und in einen durchaus vertrauten Raum einzutreten, den man eigentlich schon kannte, nun aber, bei Licht, genauer betrachten konnte, um all Kleinodien, die da in Nischen und Ecken wohnten, zu bewundern. Es war eine andere Welt, in die ich da eintauchte.
Nein, nein, falsch, das war kein Fantasy-Märchen, in dem wir auf einem andern Planeten oder mit Hexen, Teufeln, Fabelwesen zu tun hatten. Nein, das waren ganz real existierende Mönche, und ihre Fähigkeiten waren ebenfalls ganz real, die Auswirkungen greifbar, sichtbar, erfahrbar, zumindest für mich, als Schüler.
Ja, Djetsun, der Meister, ließ ebenfalls Gläser zerplatzen, eines nur, weil sie nicht so viele Gläser hatten, eines "mir zu Ehren", wie Champa sagte. Andere Gläser verschob der Meister auf der glatten Tischoberfläche und holte sie auch wieder zurück. Er konnte Türen bewegen, Fenster schließen, aber er konnte auch und das war's was mich am meisten beeindruckte, ein Stück Holz, das man im Hof auf dem Boden platziert hatte, zum Brennen bringen. Um es nur Sekunden später, mit lautem Zischen zu löschen, obwohl da kein Wasser im Spiel war. Djetsun machte es größtes Vergnügen, mir zu zeigen, dass man auch Früchte oder andere Speisen damit zubereiten konnte, er brauchte kein Feuer um Tee zu kochen, das Wasser blubberte in Sekundenschnelle und war eiskalt, als ich den Tee kosten wollte. Djetsun und Champa lachten aus vollstem Halse, ich muss ausgesehen haben, dumm wie Bohnenstroh, völlig Perplex. Wenn man mir das in Europa, an der Theke einer Kneipe erzählt hätte, vor einigen Jahren noch, ich wäre gegangen, weil ich mir solch geballten Unsinn, einfach nicht angehört hätte, solches Zeug schon von Berufs wegen weit von mir wies. Obwohl ich da doch meine eigenen Erfahrungen bereits hatte, der Schwan, als auch mein Lehrer. Ich wollte "so Zeug" nicht glauben, ich lebte in der wirklichen Welt. Wo Dinge vom Sturm bewegt wurden, wenn überhaupt, aber nicht von Konzentration und irgendwelchen fabelhaften Energie-Schüssen.
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