»Hab ich mir’s doch gedacht,« bestätigte sie den Verdacht, der sich in ihr Denken gestohlen hatte. Den plötzlichen und ungewöhnlichen Verkehr zu dem Vorgängerlokal der heutigen »Flüsterecke« hatte sie sofort wahrgenommen. »Den hat’s aber erwischt. Gut, dass ihr ihn versteckt habt. Wer ist das denn?«
»Brad Pitt«, hätte Finn beinahe geantwortet, konnte sich die Worte aber gerade noch verkneifen. Das war so gut wie unmöglich, dass der berühmte Schauspieler hin in der alten Kneipe lag. Nur wer war es dann?
Das festzustellen, hatte sich noch niemand wirklich die Mühe gemacht, von der Gesichtserkennungssoftware abgesehen. Finn und Sophia sahen sich erstaunt und auch ein wenig verliebt an. Dies war ihr erstes gemeinsames Abenteuer. »Ich kucke mal in seine Taschen«, gab sich Finn schließlich einen Ruck. Er kniete vor der Leiche nieder und fasst vorsichtig in die vorderen Hosentaschen. Aus der einen förderte er sieben Euro zweiundzwanzig in Münzen und eine angebrochene Packung Präservative zutage, aus der zwei von drei Überziehern fehlten. »Lelo Luxuriös«, las er vor. »Gute Marke!«
Sophia sah ihn stirnrunzelnd an. »Woher weißt du das denn?«
Finn wandte sich schnell ab und der zweiten Hosentasche zu. Dort steckte ein kleines Tütchen aus Papier mit der Aufschrift Herbstzeitlose . In der Tüte konnte er ein paar harte Samenkörner fühlen.
»Komisch, keine Schlüssel«, stellte er fest. »Vielleicht hat er ja kein Auto. Ich muss den mal etwas drehen, um hinten dran zu kommen. Sophia, hilf mir mal.«
»Iih, nee!« Seine Freundin weigerte sich.
»Ich mach das«, hörte er Auguste sagen, und schon kniete die alte Dame neben ihm und zog den Toten am Hosenbund zur Seite. Finn kam an die linke Gesäßtasche, in der eine Art Visitenkarte steckte. »Die ist vom Kaffeelino«, erklärte er. »Der Kaffeerösterei aus unserem Nachbarort Fredelsloh. Wichtiger Hinweis. Vielleicht war er vorher dort.«
»Da waren wir alle schon mal«, motzte Auguste. »Andere Seite, Finn!«
In der anderen Gesäßtasche fand sich nichts außer ein paar Grashalmen und einem kurzen, abgeknickten Zweig. Finn stopfte den Fund zurück in die Tasche.
Auguste das Auge war wieder aufgestanden und besah sich Brad Pitt von oben. »Vielleicht sollten wir ihn ganz ausziehen«, schlug sie vor und schluckte. »Vielleicht trägt er seinen Ausweis aus Sicherheitsgründen in der Unterhose?«
»Ich fühle einfach mal«, schlug Finn vor, der seiner Freundin den Anblick des Wettbewerbs gern ersparen wollte. Obwohl Brad Pitt ja schon aus dem Rennen war. Also eher aus statistischen Gründen. »Ausziehen muss ihn irgendwann ein richtiger Arzt, wenn der Markt vorbei ist, denke ich.«
»Dieser Schnitt da im Bein, dieser tiefe Riss«, sinnierte Auguste das Auge. »Das habe ich als Kind schon mal gesehen. Eine ganz furchtbare Wunde. So etwas macht kein Messer und kein Beil. Das ist vom wilden Jäger, vom Hackelberg! Seine Verletzungen sind immer tödlich.«
Sophia und Finn sahen sich entsetzt an. Wer war das, der wilde Jäger Hackelberg? Von dem hatten sie noch nie gehört. Im Dorf wohnte der jedenfalls nicht.
»Wer ist das denn? Ist der noch hier?«, fragte Finn das allwissende Auge.
»Der ist doch schon lange tot«, erklärte die Alte, hob dabei aber einen warnenden Zeigefinger. »Das ist die Rache des Keilers. Einem Jäger war zu alter Zeit prophezeit worden, dass er bei einer Jagd auf einen riesigen Wildschweineber durch diesen umkommen würde. Der würde ihn töten. Da ist der Jäger Hackelberg aus Vorsicht gar nicht erst mit auf die Jagd gegangen.«
»Und?« Sophia wollte mehr wissen.
»Dann kam die Jagdgesellschaft zurück, mit dem Keilerkopf als Trophäe. Den hatten sie ganz normal erlegt.«
»Wie das Wappen der Hardenberger?«, fragte der junge Mann, der ganz gern am Hardenberger Korn nippte. Vor allem, wenn er selbst eine Packung Lelo Luxuriös in der Tasche hatte. Dann brauchte er seinen ganzen Mut für das, was er anschließend geplant hatte.
»So ungefähr«, bestätigte Auguste das Auge. »Nur dass er die Trophäe dann in beide Hände genommen und hochgehalten hat. Hab ich dich, du konntest mir nichts anhaben , soll er gesagt haben. Der schwere Schädel ist ihm dann runtergefallen, ein Hauer hat ihm das Bein tief aufgerissen, so wie bei dem da.« Sie zeigte auf den Toten. »Eine schlimme Wunde. Daran ist er kurz darauf gestorben, an einer Blutvergiftung, wie in der Prophezeiung. Also gestorben wie in der Vorhersage, dass das wegen einer Blutvergiftung sein würde, hatte ja niemand geweissagt. Niemand konnte ihn kurieren. Seitdem geistert der Jäger hier in der Gegend herum und bringt alle sieben Jahre jemanden auf diese Weise um. Als Keiler. Das war der Hackelberg, keine Frage. Armer Kerl.«
Finn schwor sich insgeheim, künftig die Finger vom Hardenberger Schnaps zu lassen. Falls das den Hackelberger Killerkeiler anzog.
»Wir wissen trotzdem immer noch nicht, wer das ist«, kam Sophia aufs Thema zurück.
»So hübsch wie der war, wird ihn schon jemand vermissen«, fand Auguste das Auge. »Ich höre mich mal vorsichtig um. Aber nicht weitersagen. Wir müssen zusammenhalten, Leute.«
Auguste verließ das Haus durch den Hintereingang und sicherte nach allen Seiten, bevor sie nach Haus ging, zwischen all den Besuchern des sich füllenden Marktes hindurch. Auf dem Thie, dem Dorfplatz, wäre sie fast ausgerutscht. Warum fegt denn hier keiner die Lindenblüten weg , dachte sie und ärgerte sich über die Unordnung. Das war ja noch viel schlimmer als eine Leiche. Gestorben wurde schließlich immer. Aber was da alles von den Bäumen herunterfiel, Zweige, Blüten und Blätter, das konnte man doch immerhin wegmachen.
Auf dem Weg stieß sie auf ihren Nachbarn Hermann Brennecke, der gerade eine Vase verschenkte, die ihm nicht mehr gefiel. Er war der Sohn des verstorbenen Dorfarchäologen, der von der Steinzeit bis zur Römerzeit Funde gemacht hatte. Auguste korrigierte sich in Gedanken. Er war natürlich nicht seit der Steinzeit im Dorf gewesen und hatte Funde gemacht. Er hatte zu seinen Lebzeiten nur wichtige Dinge aus all diesen Zeiten gefunden und das Dorf auch damit berühmt gemacht.
Sie nahm ihn beiseite. »Hermann, es ist was passiert«, weihte sie ihn ein. »Geh mal in die alte »Flüsterecke«, aber vorsichtig. Da liegt ein Toter. Der muss weg. Aber pass auf!«
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