„Die beste Heulsuse bist Du wahrscheinlich“, verspottete ihn der Muskelprotz und Roberto war kurz davor, sich in einen aussichtslosen Zweikampf zu stürzen, aber da kam zum Glück der Lehrer herein und alle gingen auf ihre Plätze.
Der Englisch-Lehrer hatte wohl mitbekommen, dass da ein Konflikt im Raum stand und fragte den Muskelprotz: „What´s up Pedro?“
Pedro war nicht gerade gut in Englisch und wusste nicht, was er sagen sollte, schließlich quetschte er ein „Nothing“ heraus, und der Lehrer stellte die gleiche Frage Roberto.
„I won the surf competition from Rio and I am in the newspaper with a picture and Pedro couldn´t stand that and tried to tease me, because he is not in the news“ („Ich habe den Surf-Wettbewerb von Rio gewonnen und bin mit Bild in der Zeitung. Pedro konnte das nicht aushalten und hat mich provoziert, weil er nicht in der Zeitung ist“), sagte Roberto langsam und mit jedem Wort wurde er ruhiger. Sein Verstand arbeitete glasklar und das „because he is not in the news“ war wie der Schlag zum Kinn beim Boxkampf. Volltreffer! Die Klasse kicherte und Pedro wurde rot im Gesicht. Seine Hände zitterten vor unterdrückter Wut, er stand kurz vor der Explosion.
Der Lehrer merkte, dass die Sache außer Kontrolle zu geraten drohte und sagte schnell:
„Okay, thank you Roberto, and Pedro, don´t worry, next time you will be in the newspaper, when you shoot a goal for Flamengo. Now, let´s return to Hemmingway and his book „The old man and the sea.“ („In Ordnung, danke Roberto, und Du Pedro, mach dir keine Sorgen, nächstes Mal wirst Du in der Zeitung stehen, wenn Du ein Tor für Flamengo schießt. Jetzt lasst uns zu Hemmingway zurückkehren und seinem Buch: „Der alte Mann und das Meer.“)
Pedro war nämlich der hoffnungsvolle Mittelstürmer der Jugendmannschaft von Flamengo und auch beim Fußball standen die Stadtmeisterschaften an. Robertos Vater trainierte die Mannschaft und Pedro war seine große Hoffnung. Ein Grund mehr, ihn zu hassen, für Roberto.
An diesem Tag lernte Roberto die beiden Seiten des Ruhms kennen, die Bewunderung durch die einen und den Neid der Konkurrenten, die nicht gönnen konnten.
Und die Macht der Rede, die stärker sein kann, als ein Faustschlag.
„Ich sollte noch mehr Capoeira machen“, dachte Roberto auf dem Heimweg, „dann kann ich mich verteidigen, wenn Worte nicht mehr reichen.“ Am Strand gab es auch eine Gruppe von Capoeira-Kämpfern, bei denen er schon öfter mitgemacht hatte. Der Kampftanz, den die Sklaven einst erfunden hatten, weil sie keine Waffen tragen durften, hatte ihn schon immer fasziniert. Diese geschmeidigen Bewegungen, das Schlagen mit den Füßen nach dem Kopf des Gegners und die Saltos nach vorne und rückwärts verlangten eine enorme Körperbeherrschung, gute Augen und blitzschnelle Reflexe.
Er bog um eine Ecke und plötzlich stand Pedro vor ihm, groß und bedrohlich, und wollte ihn beim Kragen packen. Blitzschnell wich ihm Roberto seitlich aus und er griff ins Leere. Wenn er ihm jetzt noch einen Schubs gegeben und ein Bein gestellt hätte, dann wäre Pedro unweigerlich gestürzt, aber das hatte Roberto nicht geübt und vielleicht wollte er es auch gar nicht, denn immerhin kannten sie sich schon von Kindesbeinen an und waren im selben Verein. Schon früh hatte sich eine gewisse Rivalität zwischen ihnen entwickelt, aber bis vor einem Jahr war es ein ganz normales Kräfte messen gewesen und keine Feindschaft.
Jetzt aber standen sie sich gegenüber und Wut blitzte in Pedros Augen, blinde Wut.
„Du kleine Kröte“, schrie Pedro, „ich zertrete dich!“
Und er trat in Richtung Bauch, aber Roberto tänzelte etwas zurück und der Tritt ging ins Leere.
„He, King Kong, geh zurück in den Dschungel, wo du hingehörst“, rief Roberto und war selbst erstaunt über seine blitzschnelle Reaktion.
„Ich bin schnell“, dachte er, „und wenn ich außer Reichweite bleibe, dann kann er mir nichts anhaben.“
Pedro hatte sich die Sache anders vorgestellt, denn er hatte große Kräfte vom Hanteltraining, das er seit einiger Zeit betrieb, seine Oberschenkel waren dick wie junge Baumstämme, aber seine Schnelligkeit hatte darunter gelitten, da er viel Muskelmasse bewegen musste.
Er schlug in Richtung Roberto, aber der wich mühelos aus und verhöhnte ihn:
„He Gorilla, Du bist zu langsam, Du kriegst mich nicht!“
Pedro trat nach ihm, aber wieder ging der Tritt ins Leere.
Schließlich verloren beide die Lust an dem Kampf und Roberto drehte sich einfach um und ging davon. Pedro blieb keuchend zurück.
„Wir sehen uns wieder, wenn ich dich zu packen kriege, dann gnade dir Gott“, rief er Roberto hinterher und der drehte sich noch ein Mal um.
„Wenn, ja wenn das kleine Wörtchen wenn nicht wär´, dann gäb es viele Millionär“, rief er zurück und ging seines Weges.
Isabella hatte zufällig das Foto von Roberto in der Zeitung gesehen und weil ihr das Bild irgendwie gefiel, hatte sie auch den Artikel gelesen über Roberto Marrom, den kleinen Surf-Champion.
„Auf den Wellen tanzen, ob das wohl auch ein Sport für mich sein könnte?“, dachte Isabella.
Die Typen sahen wirklich cool aus mit ihren kleinen Brettern auf den großen Wellen.
In der Zeitung stand, dass am Wochenende die Weltmeisterschaften im Frauen-Surfen stattfinden und dass vorher auch die Jugend-Stadtmeisterschaft für Mädchen bis 16 Jahre ausgetragen wird. Sie beschloss, sich das einmal anzuschauen.
Am Samstag fuhr sie mit dem Bus nach Ipanema. Nur durch den Tunnel durch, der Botafogo mit Copacabana verbindet und auf der Avenida Atlantika am Meer entlang durch Copacabana, dann war sie schon in Ipanema. Als sie die vielen Leute und den großen LKW, mit der Aufschrift „Rede Globo“ und einer Satellitenschüssel auf dem Dach, sah, stieg sie aus.
Das war ein anderes Meer als in der windgeschützten Bucht von Botafogo, das war der offene Atlantik! Heute war schlechtes Badewetter, mit hohen Wellen und viel Wind, aber toll zum Surfen! Sie zog ihre Schuhe aus und genoss den warmen Sand unter ihren Füßen.
Der Wettbewerb war schon in vollem Gang, immer vier Surferinnen zeigten parallel ihr Können auf dem Brett und wurden von einer Jury bewertet. Je nach Schwierigkeitsgrad und Performance erhielten sie mehr oder weniger Punkte. Nach und nach wurden es immer weniger Sportlerinnen, die noch im Wettbewerb standen und dann kam das Finale. Die letzten vier Mädchen wurden von jungen Männern auf Jet-Skiern hinaus aufs Meer gefahren.
Die Mädchen saßen seitlich im Damensitz auf der Bank und klammerten mit der einen Hand ihr Board fest und mit der anderen Hand hielten sie sich an dem jungen Mann fest.
„Wie eine Prinzessin auf dem Pferd des Prinzen“, dachte Isabella und musste selbst lachen über ihre Mädchen-Fantasie.
Draußen auf dem Meer glitten die Mädchen ins Wasser und suchten „ihre Welle“. Dann erhoben sie sich und fingen an, ihre Kunststücke zu zeigen und die Wellenkämme hoch und runter zu tanzen.
Der Fernsehsender „Rede Globo“ machte eine Reportage über das Ereignis und hatte zwei Kameras mit riesigen Objektiven auf zwei Podeste am Strand postiert, drei Kameraleute fuhren als Sozius auf Jet-Skiern mit den Surferinnen, die Mädchen trugen winzige Helmkameras und über ihnen kreiste ein Helikopter mit einer Kamera mit Superteleobjektiv. Die großen Kameras übertrugen ihre Bilder per Kabel oder Funk in die Regie, wo sie gemischt und aufgezeichnet wurden. Nach dem Lauf wurden den Mädchen die Helmkameras abgenommen und in den Regiewagen gebracht. In Windeseile wurden die Effekt-Bilder von den Mini-Kameras in das Masterband geschnitten und ab ging es über den Sender und per Satellit in die Wohnstuben im ganzen Land von Porto Alegre im Süden, nahe der Grenze zu Uruguay, bis Fortaleza im Norden, direkt am Äquator.
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