Auf meinem Gesicht zeichnet sich ein immer größer werdendes Lächeln ab.
»Ja, die hat es!«, entgegne ich glücklich, aber bestimmt und unterstreiche meine Aussage mit einem Nicken.
Jack nickt ebenfalls und sagt: »Das freut mich zu hören.«
Nachdem meine Haut desinfiziert und mein Motiv auf der gewünschten Stelle positioniert ist, legt Jack auch schon los.
Der Schriftzug ›Storys can move your heart‹ wird von einer Feder gezeichnet. Dem Ende der Feder entspringen kleine Vögel, die davonfliegen. Das Tattoo soll vom unteren Brustansatz bis zu meinem Hüftknochen reichen. Jack arbeitet sauber und es ist unheimlich schön, ihn bei seiner Arbeit zu beobachten. Seine Kiefermuskeln arbeiten, sobald die Tätowiernadel meine Haut berührt. Er konzentriert sich darauf, haargenau den vorgemalten Linien zu folgen. Seine definierten Oberarme spannen sich an, wenn er die Nadel führt, und zeichnen sich unter seinem T-Shirt ab. Dieser Anblick ist wirklich alles andere als unangenehm und lenkt mich von dem leichten Stechen auf meiner Haut ab. Auch wenn seine Hände meine Haut nicht mehr so zart berühren wie bei unserer Begrüßung, genieße ich es trotzdem.
Immer wieder starre ich auf seine Oberarme und stelle mir gedanklich die Frage: Wieso ist seine Haut nicht mit einem einzigen Tattoo versehen?
Ihn danach zu fragen, kommt mir allerdings nicht in den Sinn, denn das wäre irgendwie zu persönlich. Mir hat sich in der Zeit, in der ich mich mit dem Anblick seines Körpers ablenken wollte, eine andere Frage wie von selbst beantwortet: Der Schmerz. Am Anfang ging es noch, doch je öfter Jack den Schriftzug nachfährt, desto mehr fühlt es sich an, als schabe er auf meinem blanken Fleisch. Immer und immer wieder fährt er mit der Nadel über die geschundene Haut, und so langsam kann ich ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht mehr unterdrücken.
Ja, du dumme Kuh, das hast du nun davon. Wer schön sein will, muss eben leiden. Da musst du nun durch, schelte ich mich gedanklich.
Das Aufleuchten meines Handydisplays, empfinde ich als eine willkommene Ablenkung. Jack lässt in diesem Moment von mir ab. »Geh ruhig dran, ich möchte kurz etwas trinken.«
Dankbar und vorsichtig nehme ich das Handy in meine Hand, immer darauf bedacht, die geschundene Haut nicht zu berühren, und führe es in Richtung Ohr. Daher erkenne ich auf dem Display Leos Namen. Leo – was eine Abkürzung für Leonard ist – ist mein Seelenverwandter. Beim Annehmen des Anrufes muss ich schon schmunzeln. Ich begrüße ihn wie immer: »Na, Sugardaddy, was gibt’s?« Bei meinen Worten kann ich Jacks neugierigen Blick eindeutig auf mir spüren, doch ich möchte ihm nicht das Gefühl geben, dass ich nur darauf warten würde, dass er mich anschaut, also ignoriere ich ihn. Ich höre Leo, meinem besten und homosexuellen Freund, gebannt zu, als dieser zu erzählen beginnt.
»Pass auf, Zuckerschnute, wir gehen heute Abend aus. Zieh dir ein kurzes, knappes Kleid an. Ich habe eine Mission.«
An Leos selbstgefälligem Ton merke ich, dass er auf Rachefeldzug ist. Schmollend gebe ich zurück: »Warum muss ich mir immer knappe Fummel anziehen, wenn einem deiner Zauberstäbe der Sprit ausgegangen ist und er den Weg nicht wieder nach Hause findet?«
Jack kann ruhig wissen, dass der Mann am anderen Ende der Leitung schwul ist, nicht, dass er denkt, ich sei vergeben oder so. Nicht, dass ihn das interessieren würde oder dass es ihn etwas anginge. Nein. Nur so zur Sicherheit , rede ich mir im Stillen ein.
»Zick nicht rum, mach es einfach, okay?«, bittet mich mein bester Freund aufbrausend. Bei Leos Lautstärke bin ich mir sicher, dass Jack jedes einzelne Wort verstehen kann.
»Ich zick überhaupt nicht rum, doch ihr spielt Doktorspielchen für Erwachsene, dann verhaltet euch auch entsprechend.« Wie froh ich bin, dass Jack die Nadel von meiner Haut genommen hat. Bei meinen aufgebrachten Worten zuckt mir der ganze Körper. Unsicher schaue ich zu Jack, der mir seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. Sein Körper beginnt vor lauter Lachen nun ebenfalls zu zittern.
»So, und jetzt lass mich in Frieden, sonst sticht mir der Tätowierer meines Vertrauens noch aus Versehen ›Zauberstab‹ auf die Haut.«
Leo muss prompt lachen, doch kurz darauf hört er schlagartig damit auf und sagt: »Du verarschst mich. Du bist beim Tätowierer, ohne mir etwas davon zu erzählen?« Er klingt fassungslos.
»Leo, wir wohnen zwar zusammen, doch ich muss dir nicht alles erzählen und jetzt lege ich auf. Bis später.« Damit habe ich unser Telefonat beendet und beobachte Jack, der immer noch lacht. »Entschuldige die Störung«, bitte ich ihn. »Wir können jetzt weitermachen.«
»Das würde ich nicht als Störung bezeichnen, eher als eine kurze und erfrischende Pause.« Seine Antwort lässt mich lächeln. Meine Hand samt Handy lege ich vor mir ab.
»Du wohnst nicht mit deinem Freund zusammen?«, möchte er plötzlich von mir wissen, während er die Nadel wieder an meine Haut setzt.
»Nein, ich genieße meine Freiheit und das Zusammenleben mit meinem besten Freund. Bei ihm gibt es genug Herzschmerz, glaub mir, das reicht für zwei.« Weitere Fragen stellt er nicht, eine Reaktion kam auch nicht auf meine Antwort.
Mehr Desinteresse kann man gar nicht zeigen, oder? Aber weshalb hat er dann überhaupt gefragt? Zwangloser Small Talk, oder was? , frage ich mich sichtlich enttäuscht.
Jack stützt sich auf meine Seite, beugt sich zu mir und strafft zwischen seinen Fingern meine Haut, um die aufgebrachten Linien exakt nachstechen zu können. Er kommt mir dabei so nahe, dass eine Duftwolke seines Parfüms mich einhüllt und mir das Atmen erschwert – er riecht einfach zu gut. Leider kann ich diesen Duft nicht so recht zuordnen, doch ich bin mir sicher, dass er mir nicht mehr aus der Nase gehen wird. Es ist nicht stark, eher dezent. Doch es wird reichen, um meine Träume zu beherrschen. Jacks Kraft, die er an mir anwendet, hat zwar überhaupt nichts mit zärtlichen Berührungen gemein, dennoch genieße ich es, wie er zupackt. Ihm so nahe zu sein, seinen Atem leicht auf meiner Haut zu spüren, lenkt mich von den Schmerzen ab. Es lässt meiner Fantasie freien Lauf. Gedanklich mache ich mir Notizen für eine neue Geschichte. Für mich als Autorin sind persönlich erlebte Situationen die besten Ideenstifter für neue Kurzgeschichten.
Nach kurzer Zeit ist es auch schon vorbei und Jack legt die Nadel zur Seite. Meine Qualen, welche dieser geschuldet sind, haben endlich ein Ende. Vom seitlichen Liegen ist mir mein Arm eingeschlafen und deshalb bin ich froh, dass ich endlich wieder aufstehen darf. Ich schüttle meine Hand sowie meinen Arm, um die Durchblutung zu fördern, während ich vor einen großen Spiegel trete. Ich betrachte mich, meine rechte Körperhälfte, die gerade mit Farbe bearbeitet wurde. Ich kann es nicht fassen, der Anblick, der sich mir trotz der Rötung bietet, stimmt mich wahnsinnig glücklich. Ich bin stolz auf mich, es tatsächlich getan zu haben. Dass ich den Mut aufgebracht habe. Am allerliebsten würde ich mit meinen Fingern über die Stelle streichen, um die Schwellung der Haut zu fühlen. Wahrscheinlich grinse ich gerade wie ein Kind, doch das ist mir im Moment egal. Auch, dass ich leicht bekleidet vor einem fremden Mann stehe, kümmert mich nicht weiter. Das Tattoo ist einfach zu schön geworden.
»Jetzt musst du deine hübschen Augen von deinem Tattoo trennen«, sagt Jack und hat damit meine volle Aufmerksamkeit. »Ich mache dir eine Creme darauf, die du bitte zur Pflege daheim einige Zeit weiterverwendest«, ergänzt er und wendet sich ab, um besagte Salbe zu holen. Während ich mir seine Worte im Geiste nochmals sage, steht Jack plötzlich wieder vor mir und legt seine starken Hände an meine Hüften, dreht mich mit leichtem Druck zur Seite und beugt sich nach unten, um meine Haut mit Creme zu versorgen. Sein Gesicht ist nahe meines Busens und die Erkenntnis über diesen Umstand lässt mich schlagartig hektischer atmen. Seine Nähe, sein Duft, sein Auftreten haben eine magische Art, mit mir zu spielen. Als er die Salbe vollständig aufgetragen hat, richtet er sich wieder auf, sieht mir direkt in die Augen und lächelt mich verschmitzt an. Ein Grübchen kommt an seiner linken Wange zum Vorschein. Ich lege meine Hand auf seinen Unterarm und flüstere ein leises »Danke«. Ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren, so nahe sind wir uns. Noch immer schaut er mich intensiv an, wie vorhin schon einmal. Nimmt dabei meine Augen mit seinen gefangen.
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