»Mist!«, entfährt es mir und in Sekundenschnelle gehe ich in die Hocke.
Gott, bin ich vielleicht bescheuert. Da steht einmal ein hammermäßiges Geschöpf von einem Mann vor mir und ich Kuh lass mein Handy auf dem harten Boden zerschellen , rattert es in meinen Gedanken. Schnell sammle ich die Einzelteile auf. Während mir die Situation und sein nun belustigt wirkender Blick erst jetzt richtig bewusst werden, kann ich nicht verhindern, dass mein Kopf eine rötliche Färbung annimmt.
Beladen mit vielen kleinen Einzelteilen, die eigentlich ein Ganzes ergeben sollten, schaue ich verunsichert zu ihm auf und verfluche mich in meinem Inneren für meinen Fauxpas.
»Clara?«, fragt er mich schmunzelnd, während er eine Augenbraue in die Höhe zieht.
Atme, Clara, atme!
Ich nicke verlegen und antworte einsilbig: »Ja.«
Sein Lächeln wird breiter, als er entgegnet: »Freut mich, ich bin Jack.« Er reicht mir seine Hand. Von dieser Begrüßung in einem Tattoo–Studio bin ich keineswegs ausgegangen und jongliere mit den Überbleibseln meines Smartphones in meinen Fingern, sodass ich nur mit Mühe eine Hand frei bekomme, um sie Jack zu reichen. Sein Händedruck ist angenehm, ich hätte ihn mir stärker vorgestellt. Jack ist groß, recht muskulös – was ich persönlich sehr ansprechend finde – und aufgrund seines harten, intensiven Blickes wirkt es fast zärtlich, wie er meine kleine Hand sanft in seiner großen hält. Nicht, dass ich mich beschweren würde, es ist sehr angenehm. Ich genieße seine Berührung, die einen Moment länger als nötig anhält. Wie sagt man so schön, Gegensätze ziehen sich an.
Und Gegensätze sind wir – der große, starke Jack und die kleine, zierliche Clara.
Jack zieht mich in seine Richtung und legt mir seine freie Hand auf den Rücken. Damit lotst er mich in einen der hinteren Räume, den er bereits für meinen Termin vorbereitet haben muss, denn es liegt alles bereit.
Als Erstes puzzle ich fix mein Handy wieder zusammen. Auch mein Motiv, das ich ihm per Mail geschickt hatte, liegt schon ausgedruckt auf seinem Tisch. Er greift danach und betrachtet es kurz, aber intensiv.
Jack bittet mich, auf einer Liege Platz zu nehmen. Seine raue Stimme und sein auffordernder und zugleich forschender Blick lösen regelrechte Herzrhythmusstörungen in mir aus. Etwas angespannt und nervös komme ich seiner Bitte nach, während er mich eingehend dabei beobachtet. Sein Blick ist so durchdringend, dass ich tief einatmen muss, während ich auf weitere Anweisungen von ihm warte. So richtig weiß ich nicht, was er jetzt von mir erwartet. Fragend blicke ich ihn an, und mit einem Schmunzeln im Gesicht fragt er schließlich: »Clara, wärst du so nett und sagst mir, wo du das Tattoo hinhaben möchtest?«
Völlig unfähig, auch nur ein Wort zu sagen, deute ich auf meine rechte Rumpfseite. »Dann zieh doch bitte dein T-Shirt aus, Clara.« Seine Aufforderung lässt eine Gänsehaut über meinen Körper krabbeln. Schon allein, wie er meinen Namen ausspricht und dabei klingt, als hätte er ein Reibeisen verschluckt, ist der absolute Wahnsinn. Schnell überlege ich im Kopf, welchen BH ich heute trage, doch ändern könnte ich es sowieso nicht mehr, sollte es der falsche sein. Dafür ist es jetzt eindeutig zu spät.
Ich räuspere mich kurz und sage: »Klar.« Ich versuche locker rüberzukommen, doch ich weiß, dass mir das nicht so wirklich gelingt. Es klingt alles andere als locker, eher gezwungen und verunsichert. Als verklemmt würde ich mich normalerweise allerdings auf keinen Fall bezeichnen. Doch da sitzt mir ein Mann gegenüber, bei dem ich völlig meinen Kopf vergesse und der mich unendlich nervös macht. Da mir das bisher noch nie passiert ist, bin ich ziemlich verzweifelt und weiß beim besten Willen nicht, wie ich diese Sitzung hier überstehen soll. Immerhin wird er mir gleich ziemlich nahe sein und mir dabei den ein oder anderen Schmerz zufügen.
Das gewisse Etwas hat er ja – die dunklen Augen sind zusammen mit diesem Teint eine hammermäßige Kombination. Dann noch sein fast schwarzes Haar. Man könnte durchaus sagen, dass er einen südländischen Touch hat. Er ist auch nicht so zugepierct, wie ich es zunächst bei einem Tätowierer erwartet hatte. Der einzige Schmuck, den ich bei ihm ausmachen kann, sind die dominanten Tunnel-Ohrringe, die er trägt. Sein Gesamtbild und seine ganze Person, wie er sich mir gegenüber gibt, sprechen mich sehr an, machen mich nervös. Vor allem, da mir mein größtes Problem noch bevorsteht – das Tattoo selbst. Ausgerechnet er wird es mir stechen.
Heute trage ich ein, wie ich finde, zuckersüßes korallenfarbiges Shirt, welches mit Spitze besetzt ist und perfekt zu meinen Hotpants aus Jeans passt. Leicht zögerlich ziehe ich es mir über den Kopf und lege es neben mich. Erleichtert atme ich auf, als ich mich selbst dabei betrachte, wie ich mich so vor ihm auf der schwarzen Lederliege präsentiere: Meine Ballerinas sind farblich passend zu meinem Oberteil, ansonsten trage ich nur meine ultrakurzen Hotpants sowie einen braunen BH.
Jack beobachtet jede meiner Bewegungen aufmerksam, kurz verweilt sein Blick auf Höhe meiner Brüste, und ich bin froh, mein B-Körbchen gut auszufüllen.
Mich würde ja brennend interessieren, auf welchen Typ Frau er steht. Er ist bestimmt vergeben – so ein Typ wie er. Wie seine Freundin oder gar Frau wohl aussieht? Ob er eher schlanke oder wohl geformte Linien bevorzugt? Ich kann meine Gedanken einfach nicht unterdrücken, dafür sieht er zu gut aus.
»Auf die rechte Seite wolltest du es haben, richtig?«, fragt er schließlich, schaut mir dabei wieder ins Gesicht und entreißt mich meiner Neugier. Seine Stimme klingt leicht kratzig, sodass er sich kurz räuspern muss. Er schüttelt leicht seinen Kopf, hat sich einen Augenblick später aber wieder unter Kontrolle und gibt sich nun professioneller. Meinem Selbstwertgefühl hat diese kleine, aber feine Reaktion einen Kick gegeben. Ich drehe mich auf meine linke Seite und präsentiere ihm die entscheidende Stelle. Mit einem langen und tiefen Atemzug ziehe ich den gerade so bitter nötigen Sauerstoff in meine Lunge, als Jack mit seinen Fingerspitzen über meine Haut fährt und mir sogleich wieder den Atem raubt. In mir macht sich Begeisterung breit, als ich in seinen Augen ein loderndes Feuer erkennen kann.
Ihn lässt diese Situation also auch nicht kalt , denke ich zufrieden. Oder irre ich mich?
»Das wird fantastisch aussehen, wenn es fertig ist«, sagt er und sieht mich dabei erneut forschend an. »Obwohl es schon fast schade um deine makellose Haut ist«, ergänzt er und lässt noch einmal seinen Blick über die Stelle an meinem Körper, welche ich für das Tattoo vorgesehen habe, wandern.
»Bist du dir auch wirklich sicher, Clara?«, fragt er, nur um sicherzugehen.
Ich antworte ihm mit einer Gegenfrage: »Wird es wehtun?«
Entgeistert schaut Jack mich an, sein Blick fixiert direkt meine Augen. Einen Moment später bricht er in schallendes Lachen aus und seine Lider ziehen sich dabei zusammen.
»Du bist der Hammer, Clara. Das fragst du mich jetzt, wo du schon halb nackt vor mir liegst?«
Mir wird bewusst, wie bescheuert meine Frage ist. Schmerzempfinden ist bei jedem anders und das hätte ich mich wirklich eher fragen können. Nach einem kurzen Moment der Fassungslosigkeit hat Jack sich wieder beruhigt, neigt seinen Kopf leicht zur Seite und schaut mich abermals schmunzelnd an.
»Ein bisschen vielleicht, aber du packst das sicher. Bisher haben es noch alle geschafft, die ich gestochen habe. Außerdem wird es wunderschön an dir aussehen«, versucht er mich zu beruhigen, und seine Worte berühren etwas tief in mir, sodass ich kräftig schlucken muss. Vertrauensvoll sehe ich zu ihm auf. Er hält meinem Blick stand und fragt mich kurz darauf: »Hat es eine Bedeutung für dich? Das Motiv, meine ich?«
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