„Du hörst nicht zu. Das ist auch so eine neumodische Krankheit, dass keiner richtig zuhört. Ich hab gesagt: Mir war langweilig.“
„Und dann hast du in der Nase gebohrt und dir den Finger verstaucht.“ Gerds Stimme troff vor Ironie.
„Wenn es euch nicht interessiert…“ Beleidigt wandte sich Alfred ab.
„Nun erzähl schon“, gab Walter ihm endlich das erhoffte Stichwort.
„Und dann hab ich angefangen, ein bisschen Erde zu schieben.“ Alfreds Augen funkelten plötzlich.
„Haste wieder mal mit dem Bagger im Sandkasten gespielt?“ Gelangweilt schaute Gerd auf das Display seines Handys.
„Ich hab einen ziemlich großen Bagger, wie du weißt.“ Alfred ließ sich nicht beirren.
„Ja und?“, hakte Walter nach. Besser, man brachte es hinter sich. Der Lange hatte manchmal völlig abgedrehte Ideen, vielleicht konnte er etwas zur allgemeinen Aufheiterung beitragen.
Alfred drehte seinen Kopf demonstrativ in Richtung Driving Range und grinste.
Gerd und Walter starrten ihn verständnislos an.
„Hast du nervöse Zuckungen?“ Genervt klappte Gerd sein Handy zu.
Wieder diese ruckartige Kopfdrehung, und endlich schwante Walter etwas.
„Die Driving Range ?“, fragte er gedehnt.
Alfred nickte heftig.
Jetzt fiel der Groschen. „Du baggerst doch nicht etwa an einer Driving Range ?“ Walter schaute ihn entgeistert an.
Alfred strahlte wie ein kleiner Junge.
Auch Gerd durchzuckte es jetzt. „Im Ernst? Du baust wirklich eine Driving Range ?“
„Nein, aber eine Spielbahn. Es ist natürlich erst der Anfang. Ich hab das Feld hinten am Ortsausgang ein bisschen eingeebnet. Und eine erhöhte Plattform gebaut, so was wie einen Abschlag .“
„Ist das nicht Walters Acker?“ Plötzlich war Gerd sehr interessiert. Er stieß Walter seinen Ellenbogen in die Rippen. „Komm, das schauen wir uns an.“
Eine knappe Stunde später standen die drei Freunde am Ort des Geschehens. Es war nicht wirklich viel zu sehen, aber mit etwas Fantasie konnte man sich durchaus einen passablen Abschlag vorstellen.
Walter staunte. „Wann hast du das denn alles gemacht?“
„Gestern Mittag.“ Alfred gab sich bescheiden. „Das war keine große Sache.“
„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Gerd, dessen Augen flink über das Areal huschten. Er wusste nicht genau, wo Walters Besitz endete, aber soweit er blicken konnte, war alles mit Brachland bedeckt, das vermutlich dem Freund gehörte.
Alfred zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mir war nur so langweilig, und da habe ich halt mal was gemacht.“
In Gerd baute sich allmählich eine Erregung auf, die sich durch hektisches Hin- und Herlaufen Luft verschaffen musste. Er warf einen Blick auf Walter, der es sich auf einem großen Feldstein gemütlich gemacht hatte und einer Lerche nachschaute, die hoch in der Luft unermüdlich zwitscherte und sang. Diese zwei Schlafmützen! War sich denn keiner der Bedeutung dieses Moments bewusst? Genau jetzt, in diesem historischen Moment, wurde die Idee zu etwas ganz Großem geboren. Visionsartig schoss ihm durch den Kopf, was das alles nach sich ziehen konnte: Neue Arbeitsplätze, Prestige, Umsätze, Steuerzuwachs – es war einfach gigantisch. Es haute ihn fast um, als er am Ende seiner Gedankenkette angelangt war. Das hier war eindeutig der Weg zum Bürgermeisteramt, der Schlüssel zum Rathaus.
„Wisst ihr eigentlich, was ihr hier seht?“, flüsterte er mit vor Aufregung heiserer Stimme.
„Eine ziemliche Sauerei, würde ich sagen. Schau dir nur mal den Schlamm an“, kommentierte Walter trocken.
„Oh nein! Ihr seht genau hier die Anfänge des Golfplatzes Gelnhausen.“
Zwei Köpfe ruckten herum.
Nach einer Schrecksekunde fing Alfred an zu lachen. „Du spinnst doch.“
Walter ließ sich mehr Zeit, um über Gerds Satz nachzudenken. „Wieviel Platz braucht man eigentlich für einen Golfplatz? Und was könnte so was kosten?“
Ausgerechnet Walter, der sonst manchmal eher langsam im Denken war, hatte es voll erfasst. Begeistert klopfte Gerd ihm auf den Rücken. „Das werden wir alles noch herausfinden. Stellt euch das doch nur mal vor: Keine langen Anfahrten mehr. Keine arroganten Tussis im Clubhaus, die unsere Tee Time verbummeln.“ Er lachte fröhlich. „Uns gehört dann schließlich der Platz, und wir können spielen, wann immer wir wollen.“
Er sah es schon vor sich, wie die Leute respektvoll zur Seite wichen und Spalier standen, wenn er und seine Jungs zum ersten Abschlag marschierten. Das Clubhaus würde direkt neben der Driving Range liegen. Gute, deutsche Küche würde es geben, nicht so einen italienischer Fraß, wie es ihn heutzutage fast nur noch gab. Eine weitläufige Terrasse, von der aus man den halben Platz überblicken konnte, musste natürlich auch her. Dieser Golfplatz würde die gesamte Region aufwerten, etwas vom Feinsten sein. Und das direkt vor den Toren Frankfurts. Begeistert von seiner brillanten Idee reckte er die Arme in die Luft. Das alles war seinem genialen Geist entsprungen.
„Du siehst aus, als wolltest du gleich abheben“, holte ihn Walter aus seinen Tagträumen.
Gerd starrte ihn verwirrt an. „Aber das muss einen doch einfach vom Hocker reißen“, sagte er in völligem Unverständnis dieses bäuerlichen Phlegmas.
„So langsam kapier ich es auch. Dann kann ich endlich wieder baggern. Sogar sehr viel baggern.“ In Alfreds Augen lag plötzlich ein unternehmungslustiger Glanz. Tschüss, Langeweile! Ade, Altersruhestand! Wieder mit dreckbespritzten Gummistiefeln herumzulaufen, mit den Kumpels ein Bierchen zu zischen, hach, das wäre schön. „Aber wir werden einen ganzen Haufen Kohle brauchen.“
„Nun mal ganz langsam“, stoppte Walter die Gedankenflüge. Er hatte das Gefühl, dass er als einziger noch klar denken konnte. „Das ist doch eine völlig aberwitzige Idee. Keiner von uns hat eine Ahnung davon, wie man so einen Golfplatz anlegt. Geschweige denn betreibt. Ganz davon abgesehen, was das kostet. Und wie wir eine Genehmigung für so was kriegen, wissen wir auch nicht.“
Gerd winkte ab. „Alles machbar.“ Das waren doch nur Kleinigkeiten, die ganz sicher in den Griff zu kriegen waren.
Er sah im Geiste schon die Zufahrtsstraße vor sich, vielleicht würde sie sogar nach ihm benannt werden. ‚Gerd-Scheurich-Allee‘, das hatte was. Dankbar würden sie ihm alle sein, ihn förmlich dazu drängen, den Bürgermeisterposten anzunehmen. Sein Blick verfinsterte sich kurzzeitig, als er an seinen Erzfeind Schneider dachte. Der sollte am besten direkt auswandern, denn wenn er erst einmal am Ruder war, würde der keinen Fuß mehr auf die Erde kriegen.
„Das ist doch ausgemachter Blödsinn.“ Walter ließ sich von Gerd Beschwichtigungen nicht beirren. „Wenn ich das richtig verstehe, wollt ihr diesen Golfplatz genau hier bauen. Aber bevor Alfred auch nur eine weitere Baggerschaufel in meinen Grund und Boden versenkt, habe ich ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Gerd in die Augen.
Du sturer Kerl, dachte der, auch du wirst noch kapieren, dass das der Grundstein für ein Vermögen ist. Aber im Moment war da nichts zu machen, und so gab Gerd erst einmal klein bei.
„Hahaha“, lachte er gekünstelt. „Da bist du mir aber schön auf den Leim gegangen. Das war doch nur so daher gesagt. Da braucht es schon ganz andere als uns drei, um so etwas auf die Beine zu stellen. Und außerdem weiß ich ja, wie sehr du an deinem Land hängst. Das würdest du doch nie und nimmer für einen Golfplatz hergeben.“
Das saß und sollte genügen, um Walter und Alfred zum Nachdenken anzuregen. Nun musste er sich in Geduld fassen und abwarten, bis die beiden das Ganze in aller Ruhe überlegt hatten.
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