Vorsichtig, um den noch feuchten Nagellack nicht zu gefährden, schmiegte sie sich an ihn. Ihr Busen bohrte sich mit provozierender Festigkeit in seine Brust, aber er schien es gar nicht zu bemerken. Mit einem gereizten Schnauben machte er einen Schritt beiseite, so dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte.
„Das verstehst du nicht. Es gibt halt Leute, die sich um das öffentliche Wohl Gedanken machen. Die sich einbringen und aufopfern im Dienste der Allgemeinheit.“
Sie zog die Augenbrauen hoch. Aufopfern war wohl kaum der richtige Ausdruck. Ihrer Meinung nach ging es dabei hauptsächlich um Selbstbestätigung und jede Menge Testosteron. Aber sie hütete sich, das laut zu sagen. Gelangweilt drehte sie sich zu dem niedrigen Wohnzimmertisch um und beugte sich vor, um die Maniküreutensilien einzusammeln. Ihr kurzberocktes Hinterteil ragte in die Luft.
„Wir könnten mal wieder schön essen gehen, nur wir beide. Ich hab da von einem neuen Restaurant gehört, ganz romantisch. Mit französischer Küche, die magst du doch so gern.“ Sie drückte provozierend das Kreuz durch. „Und den Nachtisch gibt es dann zu Hause.“
Diesen Wink mit dem Zaunpfahl musste er einfach verstehen. Aber hinter ihr blieb es still. Sie drehte sich um. Das Zimmer war leer, Gerd saß vermutlich schon wieder in seinem Arbeitszimmer und spielte mit dem Handy herum.
„Verdammt!“, schimpfte sie und gab dem Wohnzimmertisch einen deftigen Fußtritt. Der plötzliche Schmerz in ihren Zehen ließ ihr die Tränen in die Augen schießen. Sie schleuderte die rosa Pantoffeln von den Füßen und warf sich schluchzend auf die Couch, wobei es ihr tatsächlich gelang, die Finger mit dem noch feuchten Nagellack nach oben zu strecken.
Es hatte nicht lange gedauert, bis aus dem redegewandten, witzigen und großzügigen Gerd ein ganz normaler Ehemann geworden war. Marlene war das unerklärlich. Sie tat alles, um ihr Äußeres makellos in Schuss zu halten und quälte sich durch Diäten und Gymnastikstunden, um nirgendwo auch nur ein Gramm anzusetzen. Auf der Straße drehten die Männer die Köpfe nach ihr, wenn sie an ihnen vorbeistöckelte. Nur bei Gerd hatte mit dem Trauschein offenbar eine Phase völliger Blindheit eingesetzt. Bei einer Frau wie Marlene war eine solche Ignoranz äußerst gefährlich.
Ihr Schluchzen ebbte schnell ab und verwandelte sich in kalte Wut. Wenn er ihre Vorzüge nicht mehr zu schätzen wusste, dann musste sie sich eben anderswo Bestätigung suchen. Sie brauchte einfach eine stete Flut von Komplimenten, und lechzte nach dem Flirten wie eine Blüte nach Sonnenlicht. Und da gab es ja durchaus probate Mittel. Ein wenig Eifersucht hatte schon manchen Mann wieder auf Trab gebracht.
Alfred war es wieder einmal langweilig. Mit der Fernbedienung in der Hand zappte er sich durch sämtliche Kanäle, die das Fernsehen zu bieten hatte. Es gab nur Schrott, und dafür zahlte er auch noch Gebühren! Er drückte genervt die Aus-Taste und stand auf.
Ziellos schlenderte er hinaus auf die Terrasse und schaute sich um. Der große, fast parkähnliche Garten war in einem äußerst gepflegten Zustand. Der Rasen sah aus, als wäre er mit der Nagelschere geschnitten worden. Und in der Mitte prangte Alfreds ganzer Stolz, ein großer Teich, der von einem üppigen Pflanzengürtel eingefasst wurde. Im klaren Wasser schwammen ein paar herrlich gefärbte Koifische herum. Es war ein wahrhaftiges Idyll, und der Blick von der großzügig angelegten Terrasse bereitete ihm immer wieder große Freude. Auch das Haus, das er höchstpersönlich entworfen hatte, war ein Traum.
Ja, Alfred hatte es geschafft, wie man so sagt. Er hatte vor vielen Jahren eine Baufirma aus dem Boden gestampft, mit der er ein Vermögen gemacht hatte. Fleiß und der richtige Riecher für lukrative Projekte, dazu das Quäntchen Glück, dass die Baubranche genau in dieser Zeit boomte, waren die Grundsteine für einen sorglosen Lebensabend gewesen.
Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, als er an die Zeit damals dachte. Knochenarbeit war es gewesen, und der Schweiß war in Strömen geflossen. Aber das erhebende Gefühl, etwas zu bewegen, war alle Strapazen wert gewesen. Und auch der Spaß war nie zu kurz gekommen. Das Feierabendbier hatte genauso dazu gehört wie die jährliche Betriebsfeier, bei der sie alle auf den Tischen getanzt hatten.
Vor ein paar Jahren, gerade rechtzeitig bevor die Konjunktur einbrach, hatte er den größten Teil der Firma verkauft. Nur ein bescheidenes Gebäude und einen kleinen Fuhrpark hatte er behalten, mehr aus Gewohnheit und aus einem gewissen Spieltrieb heraus. Schon als kleiner Junge hatte er stundenlang Bauklötze aufeinander gestapelt und mit seinem kleinen Plastikbagger eifrig Sandberge aufgetürmt. Und im Grunde gab es auch heute nichts, was er lieber tat.
Nun stand er da und schaute auf sein Eigentum, das so makellos durchgestylt war, dass ihm fast schlecht davon wurde. Immer noch stand er jeden Morgen um fünf Uhr auf, eine Gewohnheit, die er nicht ablegen konnte. Aber dann, schon nach dem Frühstück, wurde das Leben langweilig. Es war einfach nicht normal, dass man nichts zu tun hatte. Er schaute auf seine kräftigen Hände, die trotz professioneller Maniküre immer noch die unauslöschlichen Spuren harter Arbeit zeigten. Sie lechzten förmlich danach, wieder einmal kräftig zuzupacken. Das einzige Highlight seiner meist recht ereignislosen Woche waren die Golftermine. Dienstags und donnerstags wusste er zumindest, wofür er aufstand. Er stöhnte leise. So hatte er sich den Wohlstand nicht vorgestellt.
Marion kam irgendwie besser damit zurecht, das musste er zugeben. Sie beschäftigte sich immer mit irgendwas, allerdings meistens mit Sachen, die ihn nicht interessierten. Die Kleckserei zum Beispiel war ihr neuestes Steckenpferd. Sie kniete sich da richtig hinein, und er stand neidisch daneben, die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt. Er brauchte dringend wieder eine richtige Aufgabe, sonst würde er durchdrehen. Aber was?
Er drehte sich um und ging wieder ins Wohnzimmer zurück. Im Haus war es totenstill, es kam ihm vor wie ein Mausoleum. Mein Gott, er war doch nicht schon tot und hatte es womöglich gar nicht mitgekriegt? Aber nein, er stand ja noch in der Blüte seiner Jahre. Allerdings knackste und knirschte es hörbar in den Gelenken, als er sich jetzt dehnte und die Arme nach oben streckte.
Mit einem Klick stellte er wieder den Fernseher an. Vielleicht gab es ja wenigstens auf dem Sportkanal ein Golfturnier. Von den Profis konnte man sich das eine oder andere abgucken. Zumindest ging dabei die Zeit herum. Er setzte sich in seinen Ledersessel. Aber dort hielt es ihn nicht lang. Er sprang auf und tigerte wieder hinaus auf die Terrasse. Irgendetwas musste es doch zu tun geben, das ihn interessierte. Er starrte auf den Garten und sinnierte vor sich hin.
***
„Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Mit zorngerötetem Gesicht stürmte Gerd aus dem Sekretariat des Golfplatzes. Um ein Haar hätte er Walter über den Haufen gerannt, der gerade mit seinem Golfwägelchen über den Vorplatz geschlendert kam.
„Hey, was ist denn mit dir los?“, fragte der gut gelaunt.
„Du kannst gleich wieder kehrt machen. Die haben unsere Tee Time vergessen.“
Walter schaute ihn ungläubig an. „Kann nicht sein.“
„Doch, ist aber“, brauste Gerd sofort auf. „Die behaupten glatt, dass wir uns nicht angemeldet haben.“
Walter überlegte. „Alfred hat das letzte Woche übernommen, da bin ich ganz sicher. Er hat sein Golfbag im Auto verstaut, und dann ist er extra noch einmal ins Sekretariat zurückgegangen.“
Gerd schaute auf seine Armbanduhr. „Wo steckt der überhaupt? Wir haben in zehn Minuten Abschlag . Also – wenn wir eine Tee Time hätten, hätten wir in zehn Minuten Abschlag “ korrigierte er.
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