Die anderen nickten zustimmend.
„Ist doch klar, je teurer, desto langsamer“, stellte Gerd fest. „Lange werden die sich hier nicht halten, so viel steht fest.“
Der Pächter hatte das Lokal erst vor kurzem übernommen und tat sich noch schwer damit, sich auf das recht eigenwillige Völkchen der Golfer einzustellen.
Selbstgefällig lehnte sich Gerd in seinem Sessel zurück. Das Polohemd spannte über seinem Bauch, und die Speckröllchen, ein deutliches Zeichen dafür, dass er den Kampf gegen gutes Essen und einen Schoppen in schönster Regelmäßigkeit verlor, quollen ringsherum aus dem Bund seiner Hose. Seine dunklen, unruhig hin und her schweifenden Augen musterten die Runde.
Alfred streckte Walter auffordernd die Hand entgegen. „Das macht zehn Euro für die Ladys .“
Der nestelte an seiner Gesäßtasche und zückte schließlich sein Portemonnaie. Es sah so aus, als müsse er sich den Zehn-Euro-Schein förmlich aus den Rippen schneiden, so zögernd holte er ihn heraus und legte ihn neben die ausgestreckte Hand auf den Tisch. „Ich zahle meine Schulden immer sofort“, murrte er. „Da kann man mir nichts nachsagen.“
„Aber nur, weil wir aufpassen“, krähte Gerd fröhlich.
„Das stimmt überhaupt nicht“, protestierte Walter, aber dann befand er, dass es nicht lohnte, sich aufzuregen. Er lehnte sich wieder zurück.
Sie schauten zur Terrassentür in Erwartung der Getränke. Es war ein warmer Tag, und die Golfrunde hatte gehörig Schweiß gekostet.
Alfred verstaute den Geldschein sorgsam in seinem Portemonnaie und kritzelte etwas mit dem Bleistift auf seine Scorekarte , die er dann lange aufmerksam studierte. „Achtzehn Punkte. Kein einziger Strich“, stellte er schließlich fest und warf Ben einen bedeutsamen Blick zu.
„Ihr seid wirklich viel besser geworden“, bestätigte der. „So kriegen wir aber unsere Spielkasse nie voll.“
Die drei älteren Männer lächelten. Dass sie Ben in ihre Runde aufgenommen hatten, war ein absoluter Glücksfall gewesen, golftechnisch und auch sonst. Besonders Walter betrachtete ihn fast so wohlwollend wie den Sohn, der ihm leider nicht beschieden war.
„Eigentlich müsstest du die Kasse führen. Du bist doch der Banker“, meinte er augenzwinkernd.
„Nein, nein, es ist schon besser, wenn das einer von euch übernimmt“, wehrte der ab. „Du weißt doch, Bankleute haben ein einnehmendes Wesen.“
„Na ja, manche schon“, wusste Gerd. „Wenn ich da an unseren Filialleiter denke, da glaubt man, dass in Kürze das Geld abgeschafft wird. Der rafft alles zusammen, was er kriegen kann. Nur wenn’s ans Ausgeben geht, da hat er zugenähte Taschen.“ Er schaute Zustimmung heischend in die Runde.
„Geschenkt“, meinte Alfred trocken. „Wenn es darum geht, anderen das Geld aus der Nase zu ziehen, seid ihr Politiker unschlagbar.“
Diesen Seitenhieb auf Gerds Aktivitäten im Gemeinderat konnte der nicht auf sich sitzen lassen. „So sorgsam, wie wir mit den Steuergeldern umgehen, müsste deine Frau erst mal sein. Da könnte sie noch viel lernen von mir.“
Von Walter und Alfred kam schallendes Gelächter.
„Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Meine Marion und von dir was lernen, da wären wir schon seit Jahren pleite.“ Alfred schüttelte amüsiert den Kopf.
Ben lehnte sich zurück. Diese dahinplätschernden Debatten, die kleinen Sticheleien und die gegenseitige Anmache gehörten nun einmal zu dem Kleeblatt dazu. Anfangs hatte er die Auseinandersetzungen ernst genommen, denn die gingen manchmal ziemlich unter die Gürtellinie. Aber schon bald hatte er festgestellt, dass das Trio, das sich seit Kindesbeinen kannte, sich nie wirklich ernsthaft in die Haare bekam.
Alle waren sie angesehene und gut situierte Geschäftsleute aus Gelnhausen, einer Kleinstadt, die eine Dreiviertelstunde entfernt lag. Jeder hatte es im Laufe seines Lebens zu etwas gebracht. Wie es genau dazu gekommen war, dass sie ihn vor gut einem Jahr aufgegabelt und als eine Art Coach in ihren Flight geholt hatten, hätte er nicht mehr sagen können. Aber sein Golfspiel war ganz passabel, und im Laufe der Zeit hatte er mit seinen Tipps und Hinweisen die drei soweit gebracht, dass auch sie stetig besser geworden waren. Er fühlte sich wohl in der Runde. Die Kabbeleien und schlagfertigen Bemerkungen bereiteten ihm großes Vergnügen, und die wöchentlichen Golftermine waren stets ein Highlight.
Bis auf das gemeinsame Hobby, das sie verband, hätte ihre Lebenssituation unterschiedlicher nicht sein können. Während sich Walter, Gerd und Alfred allmählich auf ihren beruflichen Lorbeeren ausruhen konnten, stand Ben erst am Anfang seiner Karriere. Sein Einkommen als junger Bankkaufmann war nicht gerade üppig, und der Jahresbeitrag für den Golfclub war der einzige Luxus, den er sich leistete. Leise seufzte er vor sich hin. Wie lange das allerdings noch weitergehen würde, stand in den Sternen. Vor ein paar Tagen hatte seine Pia ihn mit einer Neuigkeit überrascht, über die er sehr glücklich war. Eigentlich. Allerdings kam das freudige Ereignis zwei Jahre zu früh. Nachwuchs hatte sich angekündigt. Und auch wenn Ben davon ebenso begeistert war wie Pia, stellte das doch seine finanzielle Planung völlig auf den Kopf. Nun standen Heirat und Baby an, beides wichtige, aber auch kostspielige Ereignisse. Ben war sich völlig darüber im Klaren, wo die Prioritäten lagen. Wenn es hart auf hart kam, musste er eben den Golfsport aufgeben, auch wenn er mit großer Leidenschaft daran hing.
„So, die Herren.“ Die schlafmützige Bedienung verteilte die Getränke.
„Na endlich“, knurrte Alfred und begann sofort, durstig zu trinken.
Auch die anderen griffen zu ihren Gläsern. Ben schreckte aus seinen Gedanken hoch und bemerkte Walters prüfenden Blick.
„Alles in Ordnung?“, raunte der Ältere ihm zu.
Er nickte und rang sich ein Lächeln ab. „Ich muss mal wieder Abschläge üben. In letzter Zeit bin ich überhaupt nicht zufrieden damit.“
Walter nickte wissend, das Problem kannte er nur allzu gut. Aber er hatte das Gefühl, dass das nicht der eigentliche Grund für Bens Nachdenklichkeit war. Er ahnte seit langem, dass es für Ben finanziell nicht ganz einfach war. Die anderen leisteten sich ab und zu einen neuen Golfschläger in der Hoffnung, mit ihrer neuen Errungenschaft einen Quantensprung zum Besseren zu machen. Nur Ben spielte stets mit derselben verschrammten Ausrüstung, die schon deutliche Kampfspuren aufwies. Und die Zeit, die sie gemeinsam auf dem Golfplatz verbrachten, war mit vielen Überstunden bezahlt, wie Walter sehr wohl wusste. Gerne hätte er dem sympathischen jungen Mann unter die Arme gegriffen, wenn er nur gewusst hätte, wie er das anstellen sollte, ohne seinen Stolz zu verletzen.
Alfred hatte sein Glas als erster ausgetrunken. Nach einem hektischen Blick auf seine Armbanduhr stand er auf. „Ich muss heim“, erklärte er überflüssigerweise.
Man wusste Bescheid.
„Tja, wenn Marion mit der Suppe wartet…“ Walter lächelte vor sich hin. Da hatte er mit seiner Annelie einen besseren Griff getan. Die ließ ihm genügend Luft zum Atmen und seine kleinen Freiräume, die er nun einmal brauchte. Auch sonst war sie eine tüchtige, patente Frau mit einem großen Herzen. Sie stand mit beiden Beinen auf dem Boden. Eine einzige Schwäche hatte sie allerdings. Das waren Astrologie, Wahrsagen und andere dubiose Formen der Zukunftsdeutung. Darauf war sie richtiggehend versessen. Warum das so war, hatte er nie begreifen können. Aber leben und leben lassen, mit diesem Motto war er zeitlebens gut gefahren.
„Die Regierung darf man nicht warten lassen“, kommentierte Gerd staatsmännisch.
Mit säuerlichem Gesicht winkte Alfred ab. „Ihr mich auch“, brabbelte er, schon im Weggehen.
Die anderen blieben noch einen Moment lang sitzen.
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