Wie aufs Stichwort bog Alfreds grauer Kombi auf den Parkplatz ein.
„Wann können wir denn nun los?“, fragte Walter. „Ich will heute nicht so spät heimkommen.“
Gerd warf ihm einen höhnischen Blick zu. „Du wirst sogar sehr früh wieder zu Hause sein. Es geht nämlich gar nichts, alles belegt.“
„Ach nö!“
„Eine Dreiviertelstunde gefahren, und alles für die Katz“, schimpfte Gerd und kam nun erst richtig in Fahrt.
Zwischenzeitlich hatte Alfred sein Auto geparkt und machte sich am Kofferraum zu schaffen.
„Hallo!“, brüllte Gerd zu ihm hinüber. „Du brauchst gar nicht erst auszupacken.“ Aufgebracht fuchtelte er mit den Händen in der Luft herum.
Alfred schaute hoch. „Was ist los?“
„Der braucht dringend ein Hörgerät“, murmelte Gerd und machte sich auf den Weg zu ihm.
Walter schaute frustriert auf seinen Golfwagen, das er vor dem Sekretariat abgestellt hatte. Er hatte sich sehr auf die heutige Runde gefreut. Und außerdem wollte er Ben auf den Zahn fühlen, der vor zwei Tagen so auffallend schweigsam gewesen war. Der ließ sich aber heute nicht blicken. Walter beschloss, selbst bei den Damen des Golfplatzes nachzufragen, was eigentlich los war. Schwungvoll stieß er die Tür auf und betrat gesetzten Schrittes das Sekretariat.
Die Dame hinter dem Empfangstresen schaute hoch und setzte sofort eine abweisende Miene auf.
„Guten Morgen“, grüßte Walter artig, aber dann war es auch schon vorbei mit seiner Selbstbeherrschung. „Wir haben keine Tee Time heute, ist das richtig?“, fragte er mit vor Entrüstung bebender Stimme.
„Ich kann es nicht ändern, Ihre Tee Time ist gestern Nachmittag telefonisch storniert worden. Hier steht es.“ Sie zeigte auf den Monitor ihres Computers, von dem Walter allerdings nur die Rückseite sehen konnte.
„Das muss ein Irrtum sein. Wir spielen jeden Dienstag und Donnerstag um dieselbe Zeit. Das wissen Sie doch.“ Walter pflanzte seine stämmigen Beine in den Boden, gewillt, nicht ohne einen positiven Bescheid wieder abzuziehen.
„Tja.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Daraus wird wohl heute nichts werden. Der Platz ist voll gebucht.“
Alfred brauchte einen Moment, um die schlechte Nachricht zu begreifen. „Kein Golf?“, fragte er und starrte Gerd mit offenem Mund an.
Der schüttelte den Kopf. „Wir sind völlig umsonst hergefahren. Es ist eine Frechheit. Und das ist ja nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Letzten Monat hatten wir genau das gleiche. Eine Stunde haben wir blöd herumgesessen, bis wir endlich starten konnten.“
Alfred kratzte sich am Kopf. „Dann brauch ich auch nicht auszupacken“, folgerte er scharfsinnig und knallte die Kofferraumtür zu.
„So geht das nicht“, schimpfte Gerd wieder los. „Das werden wir jetzt ein für alle Mal klären.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und stapfte zurück zum Clubhaus. Alfred blinzelte sein Auto zu und folgte ihm.
Aber auch die geballte Männerpower, die sich vor dem Empfangstresen aufbaute, konnte nichts an der Situation ändern. Stocksauer mussten die drei zusehen, wie sich zwei wildfremde Damen zu ‚ihrer‘ Tee Time am Abschlag Eins spielbereit machten.
„Das ist ein absoluter Chaosladen. Wir zahlen schließlich gutes Geld für unsere Mitgliedschaft. So könnt ihr uns doch nicht behandeln.“ Wie immer war Gerd der Wortführer, und im Eifer des Gefechts war er zum vertraulichen ‚Du‘ übergegangen.
„Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen: Ihre Buchung wurde gestern telefonisch storniert.“ Die Dame wurde jetzt patzig.
„Der Platz ist sowieso völlig verwahrlost. Vorgestern habe ich einen Ball verloren, mitten auf dem Fairway von der Sieben. Das kann doch nicht sein. Wir haben alle gesehen, wo er gelandet ist. Und dann war er nicht mehr auffindbar.“ Die nun schon zwei Tage lang schwelende Empörung machte sich bei Walter endlich Luft.
Die Dame lächelte süffisant. „Da haben Sie wohl doch ins Rough geschlagen. Dafür können Sie kaum den Golfplatz verantwortlich machen.“
Walter verschlug es angesichts einer solchen Unverschämtheit kurzfristig die Sprache.
Gerd hatte endlich Zwei und Zwei zusammengezählt. „Wahrscheinlich ist Ben was dazwischengekommen, und er hat seine Startzeit abgesagt. Und ihr habt dann kurzerhand den ganzen Flight storniert.“ Da Ben immer noch nicht aufgetaucht war, sprach viel dafür, dass es sich genau so abgespielt haben musste.
„Dann müsst ihr halt sehen, wo ihr uns dazwischenschiebt. Das ist schließlich nicht unsere Schuld“, wetterte nun auch Alfred los.
Die Dame starrte verbissen auf ihren Monitor.
„Was ist jetzt?“, raunzte Gerd sie an, aber da fuhr sie auf wie eine Klapperschlange.
„Ich kann mir doch keine Tee Time aus den Rippen leiern. Wenn alles belegt ist, dann ist das eben so. Dann müssen Sie halt an einem anderen Tag wiederkommen.“
Dagegen war nicht anzukommen. Die drei Herren buchten ihre Abschlagzeiten für die kommende Woche und verzogen sich dann nach draußen. Wie verlorene Kinder standen sie da und wussten nicht, was sie jetzt machen sollten. Zur Beruhigung steckte sich Alfred erst einmal eine Zigarette an.
„Dass du das nicht lassen kannst“, ereiferte sich Gerd und wechselte den Platz, denn eine Rauchwolke schwebte genau in sein Gesicht.
Er schnappte sich eines der Hochglanzmagazine, die zum Lesen auslagen, und blätterte lustlos darin herum. Im Mittelpunkt standen die Fotos des letzten Masters-Turniers mit strahlenden Profis in Siegerpose. Und ein paar Promis, die erstaunlicherweise alle einstellige Handicaps hatten, eröffneten feierlich einen neuen Golfplatz, bereits den vierzehnten der Firma ‚Golf Unlimited‘, wie der rotgesichtige Firmensprecher stolz verkündete. Gelangweilt legte Gerd das Magazin auf ein Tischchen zurück. Es stand nicht wirklich etwas Interessantes darin.
Alfred setzte sich auf die Bank vor dem Clubhaus. „Schade um das Benzin, das wir verfahren haben.“ Seine Augen schweiften über den Golfplatz und hefteten sich kurz darauf auf die beiden Damen, die inzwischen den Hügel der Bahn Eins erklommen hatten. „Na, das Gelbe vom Ei ist das auch nicht, was die da zusammenspielen“, bemerkte er mit unverhohlener Schadenfreude.
Die Spielerinnen eilten mit gesenkten Köpfen auf dem Fairway hin und her, offensichtlich auf der Suche nach einem Ball.
„Sag ich doch: Der Platz ist einfach ungepflegt. Hier findet man keinen Ball wieder.“ Gedankenverloren lehnte sich Walter zurück. „So etwas hätten wir uns früher nie erlauben dürfen. Pfusch und Nachlässigkeit, das gab’s nicht. Da hätten wir gleich einpacken können. Aber heute sieht man das ja alles nicht mehr so eng.“
Gerd nickte heftig. „Genauso ist es. Daran krankt unsere Gesellschaft, dass jeder nur an sich selbst denkt. Aber wir sind ja selbst schuld. Wir haben eine Generation von Egoisten groß gezogen. Denen wurde alles zu leicht gemacht, da fehlt der Charakter, die innere Härte. Verhätschelt sind die und maßlos verzogen. Keiner ist mehr bereit, Verantwortung für irgendetwas zu übernehmen. Wenn sich das nicht schnellstens ändert, geht alles den Bach runter.“
Er schaute sich Beifall heischend um, aber Walter beäugte weiterhin fasziniert das Golfspiel der Damen, und Alfred war wie so oft geistig abwesend.
„Was machen wir denn jetzt?“ Nervös spielte Gerd mit seinem Handy.
Die beiden Damen waren in einer Bodenwelle verschwunden, und Walter drehte sich zu seinen Kumpels um. „Heimfahren, was sonst?“ Er zuckte mit den Schultern.
Aber keiner bewegte sich von der Stelle.
„Mir war langweilig“, sagte Alfred plötzlich in die Stille hinein.
„Dir ist doch immer langweilig.“ Gerd hatte keine Lust auf die Jammerarie, die jetzt wohl mal wieder fällig war.
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