Ich folge ihnen und hole ein Glas Wasser. Als ich es vor Carolin auf den Tisch stelle, sieht Ellen mich lächelnd an. Sie soll jetzt bloß nicht wer weiß was denken.
Carolin greift danach und trinkt. Dabei zittert ihre Hand, als wäre sie auf Entzug.
Daniel lässt sich auch auf einen Stuhl fallen, während ich mich lieber wieder an die Tür lehne. Diesmal habe ich eher das Gefühl, so eventuell schneller gehen zu können, wenn ich glaube, gehen zu müssen.
„Das war kurz vor einer Alkoholvergiftung, würde ich sagen“, meint Daniel grinsend. „Hammer!“, fügt er noch hinzu.
„Toilette?“, stammelt Carolin plötzlich.
„Komm, ich zeige sie dir“, sagt Ellen mitleidig und zieht sie vom Stuhl.
Ich weiß nicht warum, aber ich schiebe mich in den Türrahmen und verstelle ihnen den Weg. Dabei knurre ich aufgebracht: „Sei froh, dass Ellen da war. Du wärst sonst heute Morgen wer weiß wo aufgewacht.“
„Lass sie in Ruhe. Das kann sie jetzt echt nicht gebrauchen“, brummt Ellen und schiebt mich an die Seite, um Carolin an mir vorbei zu dirigieren.
Daniel lacht nur und ruft hinter ihnen her: „Dann wäre es schon vorbei … mit deinem „männerfreien“ Vorsatz.“
„Was?“, murmelt Carolin verunsichert, bevor Ellen sie durch die Tür ins Badezimmer schiebt.
„Die weiß nichts mehr. Ob das wirklich nur Alkohol war?“, frage ich.
„Keine Ahnung. Ich bin auf jeden Fall froh, dass sie das überstanden hat. Zeitweise habe ich heute Nacht gedacht, ich muss sie doch noch ins Krankenhaus bringen“, antwortet Daniel und sieht mich seltsam an.
Ich habe meinen Killerblick aufgesetzt, damit er nicht denkt, dass ich auch nur ein bisschen Mitleid mit Carolin habe.
Die Badezimmertür geht auf und Ellen schiebt das blasse Etwas direkt vom Flur wieder in das Zimmer, in dem sie die Nacht geschlafen hatte. Scheinbar geht es Carolin zu schlecht und sie muss sich wieder hinlegen.
Als Ellen wieder zurückkommt, wirkt sie besorgt. Sie lässt sich wieder auf den Küchenstuhl sinken und meint: „Die ist noch immer völlig fertig. Der ganze Stress und der viele Alkohol …, ich weiß gar nicht, wie wir die wieder auf die Füße bringen sollen. Und keiner weiß, wo sie wohnt. Auch wenn sie hierbleibt, braucht sie für morgen etwas zum Anziehen und ihre Schulsachen.“
„Die hat doch bestimmt ihr Handy dabei?“, frage ich Ellen und sie nickt.
„Gib es mir. Ich finde schon raus, wo sie wohnt.“
Ellen sieht mich überrascht an, steht dann aber auf und kommt wenig später mit Carolins Handy wieder.
Ich finde schnell, was ich suche. Die beiden wissen nicht, was ich weiß. Ich rufe Tim an.
„Hey, Süße“, säuselt der nach ein paarmal Klingeln ins Telefon. Der kann so froh sein, dass er nicht in der Nähe ist, sonst würde ich ihm jetzt eine reinhauen.
„Nein, ich bin es, Erik“, knurre ich deshalb auch ziemlich barsch.
Daniel und Ellen sehen mich beunruhigt an.
Um nicht lange mit dem Schleimer reden zu müssen, bringe ich gleich auf den Punkt, was los ist. „Carolin war gestern Abend unterwegs und hat sich so betrunken, dass sie fast eine Alkoholvergiftung hatte. Ellen und Daniel haben sie mitgenommen und nun müssen wir wissen, wo wir sie hinbringen sollen, wenn es ihr nachher etwas bessergeht.“
Tim scheint völlig irritiert zu sein. Er sagt keinen Ton.
„Tim?“, brumme ich ungehalten und weiß, dass Ellen und Daniel sich gerade fragen, warum ich ausgerechnet den anrufe. Wahrscheinlich dachten sie, ich rufe Marcel an.
„Ich weiß nicht“, raunt Tim abwehrend.
„Du kannst dir das überlegen. Entweder ich bringe sie zu Marcel oder in deine Wohnung. Mir ist das scheißegal“, knurre ich wütend.
Tim lenkt ein. „Ne, bringt sie bitte in meine Wohnung. Da wohnt sie jetzt.“
„Ich weiß!“, schnaube ich. „Und wo ist die?“
„Hast du ein Navy in deinem Mustang?“
„Sicher! Also gib mir einfach die Adresse und fertig.“ Je länger ich mit dem Typ spreche, umso mehr geht mir die Galle hoch, weil er Carolin in seine Wohnung verfrachtet hatte und sie dort auch noch vernaschte. Der bloße Gedanke daran lässt etwas in mir zum Tier werden. Sein Glück, dass er unerreichbar weit weg auf einer Musicaltour ist.
„Aber ich weiß wirklich nicht …“
„Verdammte Scheiße, gib mir jetzt die Adresse oder es passiert was!“, tobe ich los.
Tim lenkt ein. „Schon gut.“
Er sagt mir die Straße und die Hausnummer und erklärt mir kurz den Weg.
Carolin ist also in Alfhausen. Ich kenne den Ort nur vom Durchfahren.
„Alles klar“, brumme ich.
„Kann ich Carolin eben sprechen?“, fragt Tim vorsichtig.
„Nein, die schläft wieder“, fauche ich, füge aber ein „Danke!“, hinzu, dass mir wirklich schwerfällt und lege auf.
Ellen und Daniel sitzen nur da und starren mich an. Meine Schwester fängt sich als erstes. „Woher weißt du, dass sie in Tims Wohnung wohnt?“
„Ist doch völlig egal!“, fauche ich auch sie an. „Daniel, ich wollte mit dir noch zu Walter fahren, die Lage checken. Hier können wir eh nichts tun“, wende ich mich brüsk an ihn.
Der steht langsam und unschlüssig auf und Ellen meint: „Ich halte hier die Stellung.“ Sie scheint froh zu sein, dass ich gehe und das scheint für Daniel ein Anlass zu sein, mich besser schnellstmöglich aus der Wohnung zu bringen.
Er gibt ihr einen Kuss und raunt ihr zu, dass sie anrufen kann, wenn etwas ist.
Säusel, säusel … Mich kotzt das ziemlich an.
Es ist noch zu früh, um zu Walter zu fahren. So steuere ich den Mustang auf die Bundesstraße nach Alfhausen und wir schauen, wo die Adresse ist, zu der Carolin gebracht werden muss.
„Da hätten wir auch gleich den Schlüssel mitnehmen und ihre Sachen für morgen holen können“, murmelt Daniel.
Ich sage nichts dazu. Will er sie unbedingt noch eine Nacht bei sich behalten?
Wir machen noch einen größeren Schlenker und ich erzähle Daniel endlich, warum ich bei Walter schauen will, was los ist. Ich will Daniel wieder auf meine Seite ziehen. Er ist schließlich mein Freund und daher mir gegenüber verpflichtet … und lässt die Finger von Carolin.
So berichte ich ihm, dass jemand das gleiche Geschäft macht, was eigentlich ich aufziehen wollte. Plötzlich liegt mir daran, dass er weiß, dass ich auf der Seite der Guten stehe und nicht einen eigenen Drogenring aufbauen will. Ich halte es für besser, er weiß das. Mir ist plötzlich wichtig, dass er sich auf keinen Fall von mir abwendet.
„Wer?“, fragt Daniel und wirkt erleichtert.
„Das wissen sie nicht und ich habe auch überhaupt keine Ahnung. Aber wir sind es definitiv nicht“, sage ich. Uns hatte Daniel schließlich ausgebremst, als die Hamburger da waren. Heute können wir froh darüber sein.
Bei Walter finden wir an diesem Nachmittag nichts heraus. Er ist gar nicht da und auch Sam und Teddy scheinen unterwegs zu sein. Sie sind Walters richtigen Söhne und wie er Zuhälter. Aber während Walter ein Bordell führt, haben sich die beiden auf den Straßenstrich spezialisiert.
Ich finde ihre Abwesenheit ziemlich ungewöhnlich, weil eigentlich immer einer von denen im Haus ist und schaut, dass alles seine Richtigkeit hat und nicht irgend so ein Flachwichser einen der Nutten böse angeht.
Wir fahren zu Daniel zurück und setzen uns zu Ellen, die sich eine DVD von To fast and to furios anschaut. Es gibt auch noch zwei weitere Teile und ich sitze auf dem Sofa und sehe sie mir in Seelenruhe mit an.
Die beiden wären vielleicht gerne allein, aber das interessiert mich nicht. Ich tue so, als möchte ich diese Filme unbedingt sehen. Aber meine Antennen sind auf das Zimmer gerichtet, das neben der Küche liegt. Ich muss mich zwingen, nicht aufzustehen und nach Carolin zu sehen, die immer noch dort ihren Rausch ausschläft. Und ich rauche viel zu viele Zigaretten.
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