»Wenn das so weiter geht«, lamentiert sie, »gibt es gute Werbung bald nur noch für den kleinen Katechismus und für Katzenfutter. Was beinahe identisch ist.«
Ich ducke mich innerlich unter diesem Wortgewitter. Genau so, wie ihre kuriosen Worte im Raum stehen, kommen sie mir von irgendwoher bekannt vor. Ich glaube sogar, sie bei Peter gehört zu haben, kann es aber nicht beschwören. Zudem weiß ich bei Gott nicht, warum er derartige Mutmaßungen über Werbung anstellen sollte.
Ava Hawn scheint eine Antenne für meine Gedanken zu haben. Sie verzieht ihren schmalen Mund, was so schadenfroh aussieht, als wolle sie jemandem ein Schnippchen schlagen.
»Zum Glück gibt es Lücken in jedem Gesetz.«
Ava Hawn schaut mich ein bisschen bösartig an. Das ist nicht neu und nicht außergewöhnlich. Es wird sich sogar noch verstärken, wenn die Aufgaben abgesteckt sind und die Kalkulation vorliegt. Erst unlängst hatte ich mich von einem Kunden verabschiedet, der den Eindruck vermitteln wollte, alles besser zu können, nur um den Preis der Leistung zu drücken. Im Stillen erwarte ich noch mehr Worte dieser Art. Also lächle ich still. Bei fremden Menschen fällt mir das nicht schwer und wie es scheint, wirkt es bereits. Der Ton von Ava Hawn wird sachter, ihr Blick milder. In dieser Milde finde ich die Frau sogar attraktiv. Sie ist nicht wesentlich älter als ich, hat graublaue Augen und eine feinporige Haut.
»Ich bin kein Arzt, und das Heilpraktikergesetz besteht seit 1939. Das hat noch der Stellvertreter Eures Führers unterzeichnet. Nach dem Gesetz bin ich frei in der Wahl meiner Methoden.«
»Aus der Gesetzesfreiheit erwachsen noch keine epochemachenden Werbeideen, die das Image einer Branche verbessern, oder gar ein Stigma auflösen.«
» Ich bin ihr Partner, nicht die ganze Branche. Ich erwarte eine professionelle Werbung, die sich von allem Bisherigen abhebt. Es gibt leider verdammt viele Möchtegern-Psychologen.«
Das ist kein guter Einstieg in eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Zum ersten Mal habe ich das Vorgefühl von einem kontroversen Ausgang. Vielleicht ist es sogar eine verkappte Prüfung meines Gewerbes?
»Jede gute Werbung kann scheitern«, sage ich. »Es kommt auf mehr an, als auf eine gute Idee. Schon Henry Ford sagte: Die Hälfte jedes Dollars, die er für Werbung ausgäbe, sei umsonst. Er wisse nur nicht, welche Hälfte.«
Ava Hawn grinst vielsagend.
»Keine Angst. Ich raste nicht aus, wenn es ums Geld geht. Es gibt andere Gründe, die mich mehr fordern…«
Der mehrdeutige Ton in den Worten der Frau gefällt mir nicht, nur das Lächeln, mit dem sie auf meine Hände blickt, verrät noch etwas von Normalität.
Meine Hände ruhen nie wirklich. Wie nervös sie mit dem Stift spielen, fällt mir selbst nur selten auf. Peter greift bisweilen danach — er griff danach, wenn er mir andeuten wollte, ruhig zu werden. Ich befehle mir Selbstdisziplin, obwohl ich noch längst nicht im Klaren bin, ob ich dieses Geschäft wirklich eingehe.
»Klartext, Frau Hawn. Es gibt keine Patentrezepte. Wer das behauptet, sollte Showmaster werden. Wir bemühen uns um Substanz. Der Erfolg unserer Arbeit hängt jedoch maßgeblich von der Mitwirkung unserer Kunden ab.«
»Alles im Leben hängt von etwas ab. Drum prüfe, wer sich ewig bindet…«
Es ist nicht nur das Gesicht der Frau, das sich in diesem Moment total verändert. Es ist nicht der Tonfall, der mein Unbehagen an die Oberfläche zurückbefördert. Es ist eine Geste, die mich an etwas erinnert. Im nächsten Augenblich weiß ich es genau. Ich täusche mich nicht.
»Peter Simon? Ist das Ihr Mann?«
»Woher kennen Sie … ich meine …Ja, schon…«
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, passen Sie gut auf. Ich muss es auch. Ihr Mann und meine Tochter… ich meine, bei Jodies Alter ist er ein Auslaufmodell.«
Ein gemeines Spiel, denke ich. Ein Spiel mit gezinkten Karten, so sehr ich sie als Mutter verstehen kann.
»Ihrem Gedankenspiel kann ich im Moment nicht folgen«, sage ich. Sie muss spüren, dass ich mich verstelle.
Ich habe keinen Nerv für ein vertiefendes Gespräch um eine Sache, die mich selbst sehr belastet. Ich gebe vor, unser Gespräch habe jetzt den Punkt erreicht, wo wir gemeinsam mit den Kreativen Nägel mit Köpfen machen sollten. Ich bringe Jodies Mutter mit Chris zusammen, der nicht zum ersten Mal das weitere Prozedere wie Briefing oder Brainstorming mit einem Kunden beredet. Ich hoffe, Ava Hawn ist es überhaupt ernst mit einem Auftrag.
Nach diesem Zwischenfall weiß ich nicht, was ich denken soll. Ich nehme zum ersten Mal nicht an diesen Gespräche teil, sondern verpflichte Michaela, Chris zu unterstützen. Ich verlasse meinen Platz mit der Begründung, einen Termin außer Haus zu haben. Christoph kennt in der Regel meine Termine, aber er ist auch froh, hin und wieder allein das Zepter zu schwingen.
Meine Agentur ist nie das Wichtigste in meinem Leben gewesen. Im Augenblick belastet mich sogar alles Berufliche über Gebühr. Im Moment will ich mir keine Gedanken um den Erfolg anderer Menschen machen. Ich will nicht über den Sinn und Unsinn von Werbung nachdenken. Sie ist genauso verlogen, wie Liebe verlogen sein kann, wenn sie nicht auf Wahrhaftigkeit beruht. Werbung beruht nur selten auf Wahrhaftigkeit. Kein Kunde verrät uns die Macken seines Produktes. Alle sinnen nur darauf, Mängel hinter der besten Idee zu verschleiern, Vorteile ins beste Licht zu rücken. Das ist zwischen den Menschen nicht anders, und das liegt in der Natur von uns Menschen. So leben wir. So überleben wir. So findet jeder seinen Platz.
Auf meinem Weg nachhause mache ich mir nicht einmal mehr Gedanken darüber, was mit meiner Firma wird, wenn ich aussteige…
Über die Dinge zu sinnen, ist eine einsame Beschäftigung, geeignet für Leute wie mich, die sich in keiner Gesellschaft wortreich auslassen. In mir kämpfen an diesem einsamen Nachmittag in meinem vertrauen Zuhause bei süßem Tee mit bitterer Medizin zwei Ritter um die Ehre. Der eine fragt: Wie wäre mir jetzt zumute, hätte ich nicht längst von Peters Liebschaft gewusst? Der andere sagt: Die Liebe kennt nur zwei Zustände — Krieg und Frieden.
An Liebe zu denken ist für diesen Tag kontraproduktiv. Derartige Gedanken durchbrechen den selbstgebauten Schutzwall, den ich um mich errichtet habe, weil es für jeden Kampf zu spät ist. Ich weiß nicht, woran ich denken soll — also denke ich an Lasse. Für ihn nehme ich die letzte Anstrengung in Kauf…
Ich schleiche im Haus herum, ohne Sinn und Zweck. Vor dem großen Spiegel erschrecke ich vor mir selbst. Ich fühle mich schuldig. Es liegt an mir, dass Peter diesen Weg für sich gewählt hat. Andererseits fällt wenigstens einer der Menschen, die ich liebe, nicht ins Bodenlose …
Wenn Peter glücklich ist, wird es auch Lasse gut gehen.
Die Wanduhr in der Küche klackt seltsam laut an diesem stillen Tag in meinem Haus. In zwanzig Minuten kommt Lasse…
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