Am Morgen rief ich in meiner Agentur an, man möge die allgemeinen Arbeiten erledigen, das neue Projekt würden wir am Nachmittag besprechen. Ich hätte eine dringende Familienangelegenheit, was ja nicht völlig gelogen war.
So hat es also angefangen —mein Dilemma.
Jetzt, Monate später, der alles entscheidende Tag.
Peter kommt vom Dienst, spät, aber er kommt. Er ist nicht bei ihr geblieben, wie vermutlich in einigen Nächten zuvor. Ein Sonderauftrag werde eine Nachtschicht erfordern. So oder ähnlich sagte er in diesen Fällen. Wenn er dann heim kam, verschwand er sofort im Bett.
Heute glänzte sein Gesicht vor Anstrengung, seine Augen spiegeln Verwunderung. Ich merke ihm an, wie irritiert er ist, dass ich ihm nicht mehr wie früher entgegenlaufe, ihn nicht umarme und mich freue, dass er endlich da ist. Das ist mir seit meiner Entdeckung nicht mehr gelungen. Es wird mir in Zukunft nie wieder gelingen. Inzwischen weiß ich mehr, als einer Ehefrau lieb sein kann
»Du warst bei Jodie«, fragt er ohne Umschweife.
»Nein«, sage ich ganz ruhig. Diesmal bin ich sogar im Recht.
»Lüg mich nicht an, Dana. Ich weiß…«
»Du weißt also? Du weißt? Wie du immer alles weißt. Wenn das eine von deinen korrekten Fragen war, dann habe ich zumindest korrekt geantwortet. Ich war nicht bei …Jodie!« Kaum bekomme ich diesen Namen über meine Lippen. Meine Stimme hat Mühe, nicht zu krächzen, aber die Kraft in mir reicht gottlob nicht aus, dass ich ihn anschreien könnte. »Ich habe sie im Café getroffen. Es ist mein gutes Recht zu wissen, woran ich bin. Du sagst mir ja nichts.«
Peter kommt einen Schritt auf mich zu. Ich rieche sein Aftershave, das mich noch immer betört, nicht weil es der geilste Duft ist, sondern weil es sein Duft ist. Nur in Gedanken sehe ich seine dunklen Augen, die früher mit großer Milde auf mich blickten. Heute werden sie vermutlich boshaft funkeln.
»Ich will die Scheidung, Dana«, sagt er ganz leise, als sei er sich selbst nicht so sicher, oder als müsste er es schnell und ohne Aufsehen hinter sich bringen.
Ich habe für einen Moment nicht den Eindruck, dass Peter zu mir spricht, eher, dass ich den Boden unter den Füßen verliere. Mein Herz geht wie rasend. Ich weiß, ich muss alles auf eine Karte setzen. Jetzt. Keinen Moment später.
»Verstehe«, sage ich wie ferngesteuert, trete ans Fenster und wende ihm den Rücken zu. Als ich die Fassung wiedererlange, wische ich mit dem Handrücken meinen kleinen Ärger aus dem Gesicht. Peter schaut mich an. Er kann nicht verstehen, warum ich seiner offenkundigen Absurdität keinerlei Beachtung schenke. Warum ich nicht tobe, wie sein scharfzüngelndes Flämmchen Jodie vermutlich toben würde. Nun, wo ich sie miteinander gesehen habe, wo ich sogar Jodies schamlose Schwärmerei über ihre wunderbare Zeit mit Peter kenne, kann ich ihn sogar verstehen…
Ihre Stimme war nicht bemerkenswert, lediglich der feine englische Akzent, ihre langen blonden Haare und ihr Sexappeal hatten mich stumm werden lassen. Im letzten Augenblick hatte ich mich zurückgezogen aus ihrer jugendlichen Aura, die mich mit Neid erfüllte.
Wie ein in die Enge getriebenes Tier verharre ich stumm. Ich habe mich auf einiges gefasst gemacht. Auf eine so klare Ansage von Peter indes nicht. Er muss mein Verhalten als Strategie verstehen – was es in Wahrheit auch ist. Leider nicht die Strategie einer abwartenden Ehefrau, die auf die nächste Chance hofft, ihren Mann zurückzuerobern. Von meiner wahren Lage soll Peter nichts erfahren — niemals. Er soll obendrein nicht ahnen, was in den Wochen und Monaten zuvor passiert ist. Bis hierher hat meine Kraft gereicht, nun wird sie für den Rest auch noch reichen. Das bin ich Lasse schuldig…
Nur vier Wochen wie früher
Entgegen meiner Befürchtung bleibt Peter heute über Nacht bei mir – bei uns, wie ich schmerzhaft spüre, worüber ich keinesfalls traurig bin. Den halben Abend verbringt er mit Lasse. Sie lachen viel. Ich höre die typischen Geräusche, wenn Vater und Sohn etwas miteinander ausfechten. Ich lege mich in die Badewanne. Die Wärme entspannt; sie nimmt meinen Schmerz für eine halbe Stunde.
Meinen Entschluss, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen, habe ich nicht umgesetzt. Das ist nicht mehr nötig, seit Peter nur noch selten neben mir schläft. Wenn er überhaupt zum Schlafen nachhause kommt, dann sehr spät. Zumeist bleibt er dann auf der Liege im Arbeitszimmer. Für Lasse hat er immerhin eine plausible Erklärung gefunden, für mich braucht er keine zu finden.
Es ist eine sternenklare Nacht. Mein Medikament macht mich müde, aber die Umstände wühlen mich auf. Ich betrachte meinen Mann, der noch immer mein Mann ist. Diesen Anspruch würde ich laut in die Welt hinaus schreien wollen. Doch ich weiß genau, wie endlich jedes Dauern ist.
Der Lichtschein fällt durch die Gardine. Er liegt ruhig, beinahe friedlich zu meiner Seite geneigt. Seine dunklen Haare sind wie stets sorgfältig geschnitten, sein Gesicht ist glatt rasiert. Die Arme, die über der Decke liegen, zeugen von männlicher Kraft und vom Zupacken, wenngleich ich sie außerordentlich sanft und liebevoll kenne, es nur mitunter vergesse.
Ich denke an Jodies Worte von «ihrer» Zeit. Ich weigere mich, mir vorzustellen, wie er mit seinen Schenkeln ihren Körper dirigiert, wie seine Arme sie umschlingen und seine Hände ihre Lust beflügeln, so, wie sie noch vor Monaten meine Lust beflügelt haben. Warum ist mir seit langem nicht mehr nach Lust, eher nach Weinen? Diese verdammten Tränen. Wie stets in meinen letzten Wochen ruinieren sie jeden Versuch, klar über den Morgen nachzudenken. Dieser Morgen wird alles entscheiden. Peter wird mich fragen, er muss mich fragen. Er war immer auf Sicherheit bedacht. Er wird genau kalkulieren, was auf ihn zukommt, sofern er noch ein Fünkchen Anstand in sich spürt, was immerhin wahrscheinlich ist.
Das Fatale an meiner Lage: Ich rede mir ein, alles, was jetzt auf mich einstürmt, ist nur eine vorübergehende Misere, die irgendwann – vielleicht mit ein paar Blessuren – überstanden ist. Ich will nicht sehen, dass der Wendepunkt in meinem Leben zwei Kurven schlägt. Die eine hat mein Körper übernommen, die andere gibt Peter vor, Peter und seine verrückte Jodie.
Ich bin ihm gleichgültig. Weil das keine Einbildung ist, kann meine Strategie nur richtig sein…
Sieben Uhr. Ich bereite das Frühstück für Lasse und Peter. Alles geschieht wie in Trance. Ich gebe in Lasses Tasse Kaffee, obwohl ich weiß, wie sehr er ihn hasst und wie wenig vorteilhaft das Getränk für Heranwachsende ist. Ich entschuldige mich, aber Lasse schiebt lächelnd die Tasse auf meinen Platz, der nicht eingedeckt ist, weil ich keinen Appetit habe.
»Du musst nicht meinetwegen aufstehen, Mam΄.«
Ich lächle zurück, stelle mich morgenverwirrt und nehme einen Schluck aus der fehlgeleiteten Tasse, obwohl ich nur noch selten Kaffee trinke. Noch gab es das nur selten, dass einer allein aß, wenn die Familie nicht vollzählig am Tisch saß.
Sie wird nie mehr vollzählig sein. Nie mehr…
Wenn ich seit dem letzten Abend eine erwähnenswerte Gemütslage habe, dann ist es müde, angewiderte, verächtliche Verbitterung.
Als ich die Badezimmertür höre, richte ich meinen Körper gerade und streiche mein Haar aus dem Gesicht. Ich lächle Lasse noch einmal zu und flüstere: »Du kannst ruhig anfangen. Dein Vater macht sich heute besonders schön.«
Das ist unbeherrscht, zudem alles andere als eine heroische Art, meinen Sohn von den elterlichen Problemen fernzuhalten.
Lasse zögert einen Moment. Es ist vermutlich weniger wegen des Familien-Rituals, als vielmehr wegen meines Vokabulars. Wenn wir bisher mit Lasse über einen von uns gesprochen haben, dann wählten wir seit Jahren seine Worte. Lasse sagt seit seiner Kindergartenzeit Paps zu Peter, nie Vater.
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