Meine Besonnenheit, gemischt mit Christophs Höhenflügen bewirken bisweilen erstaunliche Resultate. Meistens jedenfalls. Wenn Christoph etwas zu diskutieren hat, ist es im Gegensatz zu Britta immer erquicklich, nie sind es alte Hüte.
Für einen Moment tut sie mir leid. Ich weiß, wie sensible Menschen fühlen. Auch wenn man den rechten Weg nach Konfuzius΄ Weisheiten finden sollte, bleibt eben die Erfahrung als der bitterste Weg. Den habe ich jetzt zu gehen – bis zum Ende.
Punkt zehn Uhr klopft es energisch an der Tür. Diese Momente sagen mir stets, wie unvorteilhaft der direkte Zugang zu meinem Büro ist. Andererseits bin ich nicht der Typ Chef, der sich abschirmen lässt.
Eine Frau erscheint, ohne mein «Herein» abzuwarten. Im ersten Moment wirkt sie bescheiden. Erst die Art ihrer Worte verrät alles andere als Bescheidenheit:
»Ava Hawn, guten Morgen, ich habe einen Termin…«
Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, wenngleich ich nicht sagen kann woher. Unter Schmerzen erhebe ich mich und lächle, so gut es geht: »Hallo Frau Hawn, ich bin Dana Simon, nehmen Sie bitte Platz.«
Ich sehe Verwirrung im fremden Gesicht. Sie legt lächelnd ihre Visitenkarte auf den Schreibtisch.
Ava Hawn ist groß und schlank. Sie hält ihren Kopf etwas schräg. Das scheint entweder eine Manie zu sein, oder ihre Art, Menschen zu mustern. Sogar als sie Platz nimmt, änderte sie diese Kopfhaltung nicht. Wenn dabei ihr hell schimmerndes, fein glänzendes Haar auf die Schulter fällt, wölbt sich ihre Frisur. Das vermittelt diesem Gesicht mehr Lockerheit und dem Haar mehr Fülle.
»Sie sind die Chefin hier, das ist doch richtig?«
Ich nicke. Mechanisch greife ich nach einer Blanko-Mappe für Kundenunterlagen.
»Ich frage… nun ja, N.JOY hat nichts mit dem Namen Simon zu tun?«
»N.JOY ist ein Kunstname.«
Während ich mich rechtfertige, mustere ich die Frau.
Ich weiß nicht, ob ich sie mag oder nicht. Zumeist mache ich mir darüber keine Gedanken. Heute schwingt etwas mit, das neu ist, das wie eine Vorahnung schmeckt.
Ich schaue auf drahtige Beine, die verkrampft aus dem leidlich über die Knie gezogenen Rock staken. Ihre Körperhaltung hat den Anschein von Unsicherheit, dabei weiß ich nur zu gut, ich bin in der Beurteilung meiner Kunden längst nicht mehr gerecht. Das fällt besonders schwer, wenn man hautnah erfahren hat, wie sie reagieren, wenn es erst um den Preis der Leistung geht. Im nächsten Moment scheint mir die Täuschung durch die Frau beabsichtigt. Sie beugt sich vertrauensvoll nach vorn, als wolle sie mir ein Geheimnis zuflüstern.
»Es ist ein grauenvoller Name.«
Auch, wenn ich der Kundin in spe Recht geben würde, so selbstherrliche Äußerungen hört man selten. Zum ersten Mal spüre ich eine leise Befriedigung in mir aufsteigen. Ich weiß, diese Frau hat Recht, und ich weiß, dass der Kompromiss, den ich damals mit Peter eingegangen war, kein guter ist. Plötzlich freut man sich über so viel Ehrlichkeit.
»Sie sind, wie ich an Ihrem Slang höre, von hier«, redet Ava Hawn weiter. Keine Frage, eher ein Vorwurf. »Bedeuten Ihnen Ihre Wurzeln so wenig, oder waren die deutschen Namen vergriffen?«
Hier fällt es mir zum ersten Mal auf. Die Frau spricht mit feinem englischem Akzent.
»Nein, es ist…«
Mir bleibt nur, süßsauer zu lächeln. In mir kämpft oberflächlich Scham mit tiefer Genugtuung. Ich kann einem Kunden schließlich nicht sagen, was mein Mann vor der Gründung der Agentur über den Mainstream sagte, dem man zu folgen habe oder kläglich scheitern werde. Also erkläre ich: »Unsere Berater meinten, der Name würde gewisse Assoziationen auslösen.«
»Das ist ja der Punkt. Wer immer Ihre Berater waren, man will Ihren Kunden vorgaukeln, dass sie es mit einer weltoffenen Agentur zu tun haben.«
Ava Hawn spricht konzentriert, nur ihre Augen sind ständig in Bewegung, suchen, staunen, kiebitzen beinahe unhöflich über Aktenordner und Computer-Bildschirm. Ich kann in diesen Dingen sehr tolerant sein. Ich habe nichts zu verbergen, aber auch nichts leichtfertig offen herumliegen. Selbst der Monitor spielt nur mit dem Schriftzug N.JOY. Trotzdem schalte ich das ständige Gewusel vollständig ab, während ich mir eine Antwort zurechtlege.
»Diese Assoziation war nicht gemeint, sondern die im Sinn des Wortes.«
»Die Freude also. Haben Sie so viel mehr Freude an Ihrer Arbeit als an Ihren Wurzeln?«
»Das hieße, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. In erster Linie sollen unsere Auftraggeber Freude an uns haben.«
»Wer freut sich schon wegen eines Namens«, sagt die Therapeutin. Das klingt nicht freundlich und nicht wohlmeinend. Ich muss mich sehr zurücknehmen, um meine kurze Erleichterung über so viel Offenheit nicht gleich wieder zum Teufel zu wünschen.
»Man beschrieb Sie mir als eine Werbeagentur, an die ich hohe Erwartungen knüpfen darf.«
Also doch Mona?
»Und nun zögern Sie?«
»Nicht wirklich.«
Die Frau wühlt in einer scheußlichen Tasche herum. Offensichtlich sucht sie etwas Wichtiges. Für einen Moment habe ich so fremde Gedanken im Kopf, dass ich selbst erschrecke. Ich könnte schließlich auch ehrlich zu ihr sagen, wie grauenvoll diese Tasche ist. Ich könnte fragen, ob die modernen bereits vergriffen waren. Derlei Eigenschaften habe ich mir manchmal im Leben gewünscht, leider blieben sie völlig unterentwickelt. Daher bewundere ich Menschen, die unverblümt sagen können, was sie denken.
Erst einmal greife ich zum Telefon und bitte Britta mit Engelszungen, uns zwei Tassen Kaffee zu kochen. Seit ich meine Agentur leite, habe ich einen leichten Gesprächseinstieg zu meiner Gewohnheit gemacht. Es ist allemal höflicher, als mit der Tür ins Haus zu fallen, obwohl ich in letzter Zeit die Kunden lieber gehen sehe als kommen. Meine diffusen Nächte verschleiern zunehmend den Ausgang meiner Tage.
»Ich betreibe eine kleine Praxis«, schnauft die Frau in ihr Taschentuch, das sie endlich gefunden hat. Sie betupft ihre sehr schmale Nase mehrmals ungeniert und schiebt wie nebenbei ihre Visitenkarte weiter zu mir heran. Entgegen meiner Gewohnheit habe ich sie noch nicht an mich genommen — ein unverzeihlicher Lapsus. Jetzt schaue ich genauer hin: Dieses Stückchen verunstaltete Identität sieht aus, als wäre sie das Werk eines Fliesenlegers; eine geballte Scheußlichkeit typografischer Missgriffe. Um mich dazu zu äußern, sehe ich noch keinen Grund, schließlich kommt diese Frau nicht von ungefähr zu einer Werbeagentur.
So denke ich noch –eine halbe Stunde später denke ich anders.
Es ist ihre Entscheidung, auf den Smalltalk zu verzichten.
»Sie läuft in der Tat gut«, fährt sie über ihre Praxis fort. »Aber das reicht mir nicht.« Sie schaut mich so durchdringend an, so fordernd, dass meine Lippen wie von selbst zucken. »Kaum ein Mensch ist damit zufrieden, was er hat…nicht wahr?«
»Sie wollen also eine Imagekampagne?«
»Es geht mir nicht um das, was Sie Image nennen«, fällt sie mir ins Wort. »Ich habe meine Praxis mit dem Ziel eröffnet, psychotherapeutische Behandlungen durchzuführen.« Sie hebt ihre Schultern und wippt ein wenig damit. »Die Menschen haben Vorbehalte gegen alles Psychische. Die gilt es abzubauen.«
»Ist es nicht so bei allen intimen Dingen?«
»Mag sein. Was würden Sie machen, wenn niemand braucht, was Sie anbieten? Bisher war ich gezwungen, physiotherapeutische Methoden anzubieten. Darin bin ich zwar erfolgreich, aber der Körper ist nicht mein Spezialgebiet. Eine einfallsreiche Werbung könnte nutzen.«
»Sofern es das Gesetz erlaubt. Ich muss mich da erst schlau machen.«
Ihre Geste wirkt abfällig, die Worte nicht minder.
»Die heutigen Gesetze sind schizophren.«
Vielleicht hat sie damit Recht. Ich selbst bin schließlich eine von denen, die die kuriose Wirklichkeit als unabänderlich hinnehmen, ohne Aufbegehren, ohne Kritik zu üben. Warum ich nicht sein kann wie diese Frau, bereitet mir schon mein Leben lang Unbehagen.
Читать дальше