"Wie soll das gehen? Wenn ich euch begleiten soll, muss ich mich immer wieder mit Kohle einreiben. Wie willst du Stücke davon mitnehmen, ohne dass es auffällt? Wie falle ich nicht auf? Die anderen werden doch merken, dass ich nicht zu euch gehöre. Das ist absolut unmöglich. Es geht nicht."
Masut musste lachen. Johann machte sich viel zu viele Gedanken. Er hatte nicht alles verstanden, was sein Freund ihm gesagt hatte, aber all diese Sorgen brauchte er sich nicht zu machen. Er sollte die Dinge auf sich zukommen lassen, dann würde man sehen. Entdeckt würde Johann sicherlich, aber er war erst einmal von dem Schiff runter, wo er sich nicht wohlfühlte.
"Warte ab. Die Zeit wird es zeigen. Dein Schicksal wird dich führen."
"Schicksal?" Johann war sprachlos. An so etwas wie Schicksal glaubte er nicht. Seit dem Tod seiner Eltern war all das Unglück über ihn hereingebrochen, wie er es sich in seinem noch jungen Leben nicht hatte vorstellen können. Doch was sollte er erwarten? Schlimmer als sein bisheriges Leben konnte es nicht werden.
"Schicksal, genau. Es hat gewollt, dass wir uns treffen. Es wird dafür sorgen, dass du mit mir kommst." Masut spürte, dass Johann nicht ganz überzeugt war. Die Idee schien ihm zu gefallen, doch er wusste nicht, was ihn erwartete, was aus ihm würde, wenn diese Völkerschau vorüber war. Dies wusste Masut selbst nicht, dennoch wollte er Johann nicht entmutigen. "Du wirst sehen, es wird alles gut werden."
Johanns Augen begannen zu leuchten. Endlich war der Augenblick gekommen, wo er dieses Schiff verlassen konnte. Seitdem im April die Titanic, die als das modernste Schiff ihrer Zeit galt, mit einem Eisberg kollidiert und gesunken war, obwohl sie als unsinkbar galt, hatte Johann bei jeder Fahrt Angst, dass etwas passieren könnte. Was ihn noch erwarten würde, darüber machte er sich keinen Kopf. Er war beseelt von dem Gedanken mit seinem neuen Freund gemeinsam das Schiff zu verlassen.
"Dann hole ich die Kohle. Um diese Zeit haben alle mit sich zu tun, und das Vorratslager wird erst am Ende der Reise überprüft. Es wird niemandem auffallen, dass ein paar Stücke fehlen."
Schnell rannte er zur Luke, sah sich noch einmal kurz um und verschwand in einem hellen Loch.
Masut blieb allein zurück. Ganz allein war er nicht, seine Dorfnachbarn befanden sich am Ende des Raums und unterhielten sich angeregt. Als er sich mit Johann unterhalten hatte, war er von den anderen argwöhnisch beäugt worden. Glücklicherweise hatten sie nicht verstanden, worüber sie sich unterhalten hatten. Dazu hätten sie der Sprache mächtig sein müssen und das waren sie nicht. Verstanden allenfalls einige Wörter, doch einem Gespräch konnten sie nicht folgen. Aber es würde schwierig werden, Johann als einen der ihren auszugeben. Sie würden ihn nicht akzeptieren, ihn eventuell sogar ausliefern. Dies musste er verhindern und dazu würde ihm der Unheilsbringer in seiner Hand helfen.
Hamburg-Barmbek, April 2009
Der Krug hatte den Transport in seine Wohnung heil überstanden und stand nun auf seinem Küchentisch. Er war aus Ton und schien alt zu sein. Die Schriftzeichen hatte er früher einmal irgendwo gesehen. Im Fernsehen, als er durch die Programme gezappt hatte. Die Griechen, Ägypter oder Römer - irgendein altes Volk halt - hatten diese Schrift benutzt. Eine Ahnung hatte er davon nicht. Geschichte war ihm immer fremd gewesen, wie fast die ganze Schule, durch die er sich gequält hatte. Dabei war er nicht dumm gewesen, er war nur einfach nicht mit dem Unterrichtsstil der Lehrer zurechtgekommen.
In seinem Leben hatte er nie viel Glück gehabt und manchen Schicksalsschlag erlitten. Doch er hatte sich nie unterkriegen lassen. Nun, nach etlichen Jahren des Niedergangs, schien ihm das Glück hold zu sein. Dieser Krug war alt, schien nicht wertvoll zu sein. Doch die Kette war aus purem Gold. Bei dem jetzigen Goldpreis würde er ein hübsches Sümmchen dafür bekommen. Möglicherweise waren auch die kleinen Perlen etwas wert. Er konnte die Kette im Internet anbieten, doch vorher würde er sie schätzen lassen. Wenn er an die Adresse eines verrückten Kunstsammlers kommen könnte, würde er womöglich ein kleines Vermögen für dieses Goldkettchen bekommen.
Es stellte sich nur die Frage, wo er diese Gegenstände verstecken sollte. Vor allem dieser sperrige Krug stellte ihn vor ein Problem. Er würde noch den passenden Ort dafür finden. Als erstes würde er die Kette schätzen lassen, dann würde er weitersehen.
Bereits am nächsten Tag machte er sich nach der Arbeit auf den Weg zu einem Juwelier. Dieser sah sich die Kette an.
"Ein schönes Stück. Woher haben Sie die Kette, wenn ich fragen darf?"
Für solch eine Frage hatte er sich eine Geschichte ausgedacht, die plausibel schien und keine weiteren Fragen aufwarf. Denn mit so einer Frage musste er rechnen. Diebesgut wurde überall angeboten und gerade bei diesem Stück musste man annehmen, dass es gestohlen war. Ein altes Erbstück sollte es sein, gefertigt zu einer Zeit, als das alte Ägypten eine Renaissance unter der Bevölkerung erlebte. Nach mühevoller Suche im Internet, hatte er schließlich herausgefunden, dass die Motive auf der Kette ägyptisch waren. Er mochte keine Ahnung von Geschichte haben, aber er wusste, wie er sich informieren musste, um das nötige Wissen zu erhalten. In Zeiten des Internets war alles möglich und viel leichter als früher.
"Geerbt, das Stück befindet sich seit langer Zeit in Familienbesitz."
Der Juwelier hielt kurz inne, ließ sich aber nichts anmerken. "Aha", sagte er nur. Es klang misstrauisch. Die Kette war weitaus älter, als der Kunde vorgab. Diesen Stil hatte er noch nie gesehen. Jemand, der ein Könner seines Faches war, hatte diese Kette gefertigt. Doch diese Kunstfertigkeit besaß heute niemand mehr. Die Schriftzeichen, so klein sie waren, das Bild auf dem Goldplättchen, das alles war von jemandem gefertigt worden, der Erfahrung hatte und die Kunst beherrschte, naturgetreue Darstellungen der alten Ägypter zu fertigen.
Der Juwelier wurde das Gefühl nicht los, dass die Kette so alt war wie das alte Ägypten selbst. Doch dafür brauchte er ein Foto, um es einem Experten zeigen zu können. Vielleicht würde er das Geschäft seines Lebens machen, wenn es sich nicht um Diebesgut handelte. Er musterte den Mann, der vor dem Verkaufstresen stand und durch den Raum blickte. Vom äußeren Erscheinungsbild deutete nichts darauf hin, dass es sich bei dem Mann um einen Einbrecher handelte. Doch wie sah ein Einbrecher heutzutage aus? Von einem harmlosen Bürger war er nicht zu unterscheiden. Möglicherweise stimmte die Geschichte, die der Mann zum Besten gab und es war ein altes Familienerbstück. Doch dessen konnte er sich nicht sicher sein, weshalb er misstrauisch blieb. Vor allem brauchte er Bilder.
"Ich muss mit Ihrer Kette kurz nach hinten, um zu überprüfen, um welche Goldlegierung es sich handelt. Wenn Sie mich bitte entschuldigen. Ich komme gleich zurück."
Der Mann sah ihn an, wirkte unschlüssig, ob er die Kette nicht einfach wieder mitnehmen sollte. Dann entspannte sich das Gesicht seines Gegenübers.
"Gut, tun Sie, was Sie tun müssen. Ich werde warten."
Unbehaglich fühlte er sich, als der Juwelier in seine hinteren Räume ging. Was machte der jetzt? Wie wollte er in der Schnelle die Goldlegierung herausfinden? Würde er dafür die Kette beschädigen, etwa ein kleines Stück abkratzen? Er hätte dem nicht zustimmen sollen, sondern hätte lieber die Kette an sich nehmen und den Laden verlassen sollen. Der Juwelier wollte ihn an der Nase herumführen, doch das würde er sich nicht gefallen lassen. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, würde er die Kette noch schätzen lassen und dann gehen.
Minuten vergingen, die ihm wie Stunden, eine Ewigkeit vorkamen. Das Warten war unerträglich. Die Ungewissheit, was der Juwelier im Hinterzimmer machte, ließ ihn schier wahnsinnig werden.
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