»Diesmal verlier ich den Kerl nicht wieder«, schwor sich Salim, während Keen bereits die anderen Einheiten per Funk alarmierte.
»An alle Wiesel! Der Fuchs ist im Busch! Haltet die Wunderkerzen und Zaubertüten bereit. Beam me up, Scotty!«
Felix, der hagere Deutsche, der in seine dunkle Kampfuniform schlüpfte, sich die Gesichtsmaske – eine Tarnkappe aus schwarzem Gummi – über den Kopf zog, lachte brüllend. Er lachte jedes Mal, wenn sie in Geheimcodes sprachen, und Keen fand, dass der Junge nicht alle Schrauben locker hatte. In atemberaubender Schnelligkeit waren die fünf einsatzbereit. Der Fahrer brachte das Kunststück fertig, sich im Sitzen schneller anzuziehen als seine Kollegen es im Stehen vermochten.
Die Wunderkerzen und Zaubertüten krachten aus ihren Arretierungen des verborgenen Waffenschranks. Die Wunderkerzen waren nichts anderes als Flammenwerfer, die Zaubertüten erwiesen sich als hochmoderne Lasergeschosse mit Infrasuchautomatik. Diese Waffen schossen nie daneben. Sie fanden ihr Ziel mit mörderischer Sicherheit. Die gebündelten Laserstrahlen verdampften einen Menschen im Bruchteil eines Augenblicks, und Keen musste mit Ironie an die Star Wars Filme denken. IHRE Ausstattung würde es sogar mit den imperialistischen Sturmtruppen aufnehmen. Wobei dafür sicher keine Notwendigkeit bestanden hätte. Menschen von ihrem Schlage tendierten eindeutig zur dunklen Seite der Macht. Man hatte schließlich seine Prinzipien. Keen wusste nichts von deren Entwicklung und Herstellung. Er ahnte nicht, dass er in seinen Händen eine Waffe des überaus seltenen Fabrikats extraterrestrisch-amerikanisch hielt. Zudem ahnte er ebenso nicht, dass eines jener Wesen, die man in Roswell gefangen nahm, eine Miniaturausführung einer solchen Waffe bei sich trug, und dass es Jahrzehnte dauerte, die Konstruktionsweise zu kopieren, wenn auch im größeren Format.
Insgesamt befanden sich dreiundvierzig Mann im Einsatz, von denen jeder zu seiner ursprünglichen Bewaffnung einen »Giant-Laser«, wie er bezeichnet wurde, bei sich trug. Crimley behauptete, der Feind wäre geschwächt und verletzt, was seine Abwehrfähigkeit deutlich reduzieren würde. Keen war sich sicher, wenn sich dieses Peilsignal nicht wieder einmal als ein Schuss in den Ofen erwies und sie wirklich auf die Außerirdischen trafen, diese nicht die geringste Chance haben würden. Ihm wurde nur mulmig bei dem Gedanken an den Versuch, diese »Dinger« lebend in die Hände zu bekommen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Scheusale braten lassen, doch die Militärs und der CIA wollten diese lebenden Kampfmaschinen auf jeden Fall unversehrt. Nur im äußersten Notfall durfte Keen den Tötungsbefehl geben. Keen schwor sich, diesen Befehl nicht länger als nötig aufzuschieben. Er war beileibe kein Angsthase, doch er wusste nur zu gut, was den Einheiten in Tretmond zugestoßen war. Er dachte nicht daran, eine ähnliche Schlappe zu erleiden.
Keen sah Salim mit verbissenem Gesichtsausdruck auf den Monitor starren, auf dem ein roter Punkt signalisierend blinkte.
»Er ist es«, rief Salim zu ihm gewandt. »Diesmal ist er es. Ich fühle es.«
Keen nickte nur. Ihm erging es nicht anders.
Das Xenomorph füllte mit seiner Masse den großen Saal immer mehr aus. Es drängte hinauf ins zweite Geschoss, wo einst lachende und liebende Paare an der Brüstung standen, die tanzende Meute unter sich. Das Plasma floss den vier noch lebenden Menschen hinterher, die schreiend in die Männertoilette stürmten. Die zwei Mädchen und Jungen standen am Rande des Irrsinns. Sie wussten zu genau, was mit ihnen geschah, sobald die weiße Masse sie eingeholt haben würde. Der blonde Junge riss das Fenster auf, sah hinaus und stöhnte.
»Gott, das ist zu tief. Zwei Stockwerke, oh Gott, wir werden sterben.«
In diesem Augenblick drückte das Xenomorph die verschlossene Tür von außen ein. Die vier schrien. Das schwarzhaarige Mädchen, das sich bisher verzweifelt an ihrem Bruder geklammert hielt, drehte durch und sprang kopflos aus dem Fenster. Ein leicht angeheiterter Passant erschrak zu Tode, als direkt vor seinen Füßen ein Körper mit schwerem Schlag auf den Asphalt klatsche. Fassungslos starrte er in die gebrochenen Augen des Mädchens, einen Herzschlag nach dem ihr Genick in zwei Teile brach.
Benommen blickte der Mann, ein Puerto Ricaner gesetzteren Alters, zu dem Gebäude hinauf. Er schrie und fuhr entsetzt zurück. Mit wildem Schrei stürzte ein weiterer Körper nach unten. Der kleingewachsene Mann – sein Name war Carlos Moreno – würgte, als das Blut des Jungen in sein Gesicht spritzte. Dann geschah etwas Merkwürdiges. Er vernahm entsetzliche Schreie, und obwohl es ihm innerlich widerstrebte, musste er abermals zu dem Fenster des zweiten Stockes hinaufsehen. Er sah ein Mädchen, das ängstlich auf das Fensterbrett stieg, und einen Jungen, der sie daran zu hindern versuchte.
Moreno wollte schreien: »Nein, tu das nicht«, als etwas weißes, das aussah wie Kautschuk, den man in die Länge zog, den Jungen einhüllte, ihn zurückzog und das Mädchen, das soeben zum Sprung ansetzte, mit einer Art Tentakel am Fußgelenk umfasste. Das Mädchen klatschte von ihrem eigenen Schwung getragen mit dem Kopf gegen die Hausmauer und wurde von dem lebenden Kaugummi zurück ins Innere des Gebäudes gezerrt. Zurück blieb ein blutiger Fleck an der Hauswand, der dem Schwarzen den Beweis lieferte, nicht geträumt zu haben.
Plötzlich hatte es Moreno eilig. Er rannte die paar Schritte, die ihn von der nächsten Telefonzelle trennten, so schnell wie nie in seinem Leben. Hastig wählte er den Notrufdienst und erzählte von den beiden Leuten, die aus dem zweiten Stock eines Hauses sprangen, und das sich möglicherweise noch weitere Personen in Gefahr befänden. Von dem Kautschukwesen, wie er das Phänomen insgeheim betitelte, erzählte er nichts. Oh nein, Carlos, den Gefallen tust du ihnen nicht. Seine beiden Kinder würden die Gelegenheit sofort nutzen, um ihn in eines dieser Altenheime zu stecken, wo er ihrer Meinung nach sowieso schon lange hingehörte. Doch er verspürte keinen Drang danach, mit sabbernden, bettnässenden alten Weibern seinen Lebensabend zu verbringen. Er legte den Hörer auf die Gabel, nachdem er seinen etwas wirren Bericht beendet hatte, und sah mit mulmigem Gefühl in Richtung der beiden Leichen. So jung, verdammt, dachte er. Sie waren noch so verdammt jung.
Und dann kam der Moment, indem er sich wünschte, lieber den ganzen Tag mit einem Dutzend seniler alter Knacker Rommé zu spielen, und den Uringeruch der ungepflegten Räumlichkeiten, die man für den menschlichen Abfall genannt Rentner reserviert hatte, zu ertragen, als den Irrsinn dieses Abends noch einen Augenblick länger ertragen zu müssen.
Carlos Moreno bemerkte nicht das leise Wimmern, das sich seiner Kehle entrann. Seine Augen saugten sich an einer Szene fest, die ihm förmlich den Passierschein in die nächste Klapsmühle zu präsentieren drohte. Er bedachte nicht, dass bereits einige Fahrzeuge anhielten, um das Phänomen gleichermaßen zu begaffen. Die beiden Leichen am Straßenrand mutierten zu Objekten der Nebensächlichkeit. Wen interessierten schon zwei zermatschte Jugendliche, die sich in ihrem Heroinrausch aus dem Fenster stürzten? Dies war Atlanta, die Metropole Georgias, eine Großstadt, da passierte so etwas in jeder Stunde mehrmals. Seltener, oder man könnte fast sagen nie, geschah es, dass ein knapp drei Meter großes Ungetüm in futuristischer Kleidung auf dem Vorsprung eines Daches stand und mit wahnsinnigem Getöse aus einer noch futuristischeren Waffe das Obergeschoss des Dance-House pulverisierte. Fast enttäuschend wirkte es dann auf den Beobachter, wenn dieses Wesen mit einem wagemutigen Sprung in der selbstgeschaffenen Öffnung verschwand. Kurz darauf heulten die Sirenen, und der Spaßverderber Nr. 1 in diesem Land, der Gesetzeshüter, mein Freund, dir helf' ich, hat nichts Besseres zu tun, als den ehrlichen Bürger von der Straße zu verdrängen, die dieser mit seinen Steuergeldern teuer bezahlen musste.
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