Mit einem ploppenden Geräusch, den Mund zu einem wilden Schrei geöffnet, fiel Sue Brannigan kopfüber in die Kloschüssel, aus der das Xenomorph seine fließende Masse herausquellen ließ. Der Schrei erstickte, da die eklige Substanz in ihren Mund fuhr, sich sekundenschnell durch die Speiseröhre hindurch in den Magen drückte und dort mit unaufhaltsamer Präzision den Prozess der Auflösung in Gang setzte. Fast gleichzeitig umschloss das Wesen den menschlichen Körper mit seiner Plasmahülle und nahm die begehrte Nahrung in sich auf. Es vermochte jedoch aufgrund seiner genmanipulierten Konstitution keine Sättigung empfinden. Die Tatsache, dass es mit jeder Nahrung, die es zu sich nahm, neue Erkenntnisse, neues Leben, zu gewinnen schien, machte es süchtig. Süchtig nach Nahrung. Um Wissen und Intelligenz zu erlangen, musste es immer und immer wieder Eiweißstrukturen in sich einbinden. Das Xenomorph bebte vor Gier, als es das blanke Skelett Sue Brannigans wie einen Kirschkern ausspie. Es spürte, wie ringsherum das Leben pulsierte. Und es zog ihn an wie einen Magneten.
Robert J. sah mit Ungeduld auf seine Uhr. Wenn sich die Kleine bei ihrem Geschäft noch länger Zeit ließ, gefährdete das seinen Zeitplan nicht unerheblich. Die Uhr zeigte fast vier Uhr morgens, und wollte er mit der schönen Fremden noch eine ereignisreiche Nacht verbringen, so durften sie sich nicht mehr allzu lange hier aufhalten. Gegen die Mittagszeit hatte er eine Verabredung mit einem Typen, der ihm möglicherweise sein Studio verkaufte. Robert J. arbeitete erst seit kurzer Zeit als Musikproduzent, doch er schaffte es binnen weniger Monate, sich in der Szene einen Namen zu machen. Einige namhafte Promis klopften bereits bei ihm an. Da dieses Date existenziell wichtig für ihn war, und er keinen Wert darauf legte, seiner Verabredung in übernächtigten Zustand gegenüberzutreten, musste er notfalls das Mädchen sausen lassen. Es lag nicht in seiner Art, Frauen nach einer Stunde ins Bett zu schleifen, doch er wusste, dass die Ausnahme die Regel bestätigte. Insbesondere bei dieser heißen Braut. Wenn sie nur endlich ...
Da war sie auch schon ... oder vielmehr erst. Robert J. registrierte sofort, dass ihr Gesicht einen veränderten Ausdruck trug. Er hatte die Kleine schon den ganzen Abend im Visier und sich jede Einzelheit eingeprägt, die er in dem diffusen Discolicht erhaschen konnte. Sie war nicht der Typ, der sich gleich einlullen ließ, das sah er sofort, aber das störte ihn nicht. Diese Frau konnte durchaus mehr werden als nur ein kurzer Flirt. Sie hatte etwas. Nun jedoch wirkte sie nicht mehr so attraktiv auf ihn. Ihr Blick war leer und ihre Mundwinkel nach unten verzogen. Ja, es erschien ihm fast so, als hätte sie Mühe, ihrem Gesicht überhaupt einen Ausdruck zu verleihen. Vielleicht hatte sie ja Probleme.
»Hallo, alles klar?«, trat er ihr lächelnd entgegen. Er sah ihren Blick durch ihn hindurchgehen. Sie sah ihn gar nicht an, als sie monoton antwortete: »Alles … klar ... ja.«
Er beschloss, seine Verwirrung zu verbergen. Der Abend schien gelaufen. Etwas stimmte nicht mit ihr. Was konnte in einer Damentoilette Weltbewegendes geschehen, das einen Menschen derart veränderte?
»Wollen wir jetzt tanzen?«, fragte er lauernd, rechnete aber nun nicht mehr mit einer positiven Antwort. Umso erstaunter sah er drein, als sie plötzlich wieder zu lächeln begann und ihm mit veränderter fröhlicher Stimme antwortete: »Ja, lass uns tanzen.«
Von einem Moment zu anderen standen seine Chancen wieder gut. Zufrieden schob er sie zart durch die Massen der Discobesucher. Das Programm hatte sich geändert, und er fühlte sich wie ein Fremdkörper in der wildgewordenen Meute, die sich zu den Beastie Boys mit ihrem »No sleep ‘till Brooklyn« austobten. Sein Metier lag mehr in dem Bereich der seichten Musik, der er sich auch als Produzent verschrieben hatte. Während er überlegte, wie er darauf am besten abtanzte, ohne albern zu wirken, schwang Sue schon aufreizend die Hüften. Sie ahmte jede Bewegung ihrer Nachbarin nach, ein siebzehnjähriges Mädchen, das sich regelrecht in Ekstase steigerte.
Robert J. gab sich keine Blöße und tanzte, was das Zeug hielt. Ihm fiel auf, dass der Song doch nicht so übel war. Nach dem Stück fiel ihm Sue in die Arme, tat es damit ihrer Nachbarin gleich, die von ihrem Freund sofort mit einem Kuss dafür belohnt wurde. Robert J. ging das Risiko ein und tat es dem Burschen gleich, indem er Sue einen langen Zungenkuss gab. Das Programm setzte sich fort mit AC/DC’s »Touch to much«, einen Song, den er hasste, diesmal jedoch mit Wohlwollen über sich ergehen ließ. Sie tobten über die Tanzfläche. Er musste lachen als Sue die Arme ausbreitete und eine breitbeinige Pose einnahm. Die Phantasie ging mit ihm durch, seine Hose wurde im Schritt deutlich enger. Er musste sich beherrschen, nicht auf der Stelle zu tun, nach was ihm verlangte. Sie öffnete ihren Mund und ließ ihre außergewöhnlich lange Zunge begierig um die Lippen kreisen, wonach sie rief:
»Ich bin so unendlich geil! Ein gutes Gefühl! Ein sehr gutes und starkes Gefühl. Aaaahhh ... Paaartttyyy ...!«
Robert J. zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Sue Brannigan sackte von einer Sekunde zur anderen zu einem Haufen weißer wabernder Masse zusammen. Robert J., der unmittelbar vor ihr stand, schrie, als der weiße Teppich auseinanderfloss, mit seiner Masse den Boden der Tanzfläche ausfüllte, und er sowie die anderen Tänzer bis zu den Knöcheln in der Substanz verschwanden. Alles geschah unheimlich schnell, so dass erst Roberts J.’s Schrei die Starre der Menschen löste.
Der DJ ergriff panikartig die Flucht, wurde jedoch von der panischen Meute niedergetrampelt, bevor er den Ausgang erreichte. Die Menschen auf der Tanzfläche vergingen wie ein Schneeball in glühender Hitze. Sie sackten zusammen, als ihre Beine sich auflösten, ihre Körper gierig von der Plasmaflut aufgesogen wurden, die somit neue Masse gewann und unverzögert mit der Zellvermehrung begann.
Die ersten Flüchtigen hatten den Ausgang erreicht. Das nackte Entsetzten holte sie in ein, in Gestalt weißer pulsierender Substanz. Sie versiegelte das Portal mit seiner breiigen Masse. Die vorderen Reihen stemmten verzweifelt die Füße in den Boden, da die Nachfolgenden unerbittlich nach vorne drängten. Das verzweifelte Drängen und Schubsen fand erst dann ein Ende, als mehrere Menschen gleichzeitig in dem Plasma verschwanden, um als steril glitzernde Skelette wieder ausgesondert zu werden.
Das Xenomorph fraß und fraß mit stetig wachsender Begierde. Die Todesschreie der Männer und Frauen ignorierte es. Es fand ständig neue Nahrung. Seine Masse bedeckte jeden Tisch, jeden Barhocker, den Tresen, die Wände. Die gewaltige Lichtanlage wucherte regelrecht zu, und das Xenomorph sog die Energie, die zwar kalt und nicht sonderlich nahrhaft war, gierig in sich auf. Dunkelheit legte sich über den Raum, bis Minuten später die Notbeleuchtung ansprang. Doch zu diesem Zeitpunkt befand sich fast niemand mehr am Leben.
2.
Über den Dächern Atlantas huschte ein Wesen, das nicht weniger monströs erschien als jene mordende Kreatur, die seine Artgenossen einst schufen. Im Gegensatz zum Xenomorph verfügte dieses Geschöpf über keine Form angezüchteter Pseudo-Intelligenz, sondern über einen naturellen, wenn auch – aus irdischer Sicht – auf monströse Weise entarteten Verstand. Seinem scharfen Intellekt verdankte es Moart, dass es ihm gelungen war, den Mentalorter wieder instand zu setzen. Als Glück bezeichnete er den Umstand, der die gespeicherten Individualmuster des Zargoniers nicht verloren gehen ließ. Der Mortlat wartete jedoch bisher vergeblich auf das kleine blinkende Signal. Moart, der sein Versteck in einen stillgelegten U-Bahn Schacht verlegt hatte, wurde immer unruhiger. Seiner wilden Natur lag nicht daran, stillzusitzen und auf Ereignisse zu warten. Lediglich die Erinnerung an den Tod seines Gefährten hielt ihn davor ab, den Schutz der neuen Behausung zu verlassen. Dann jedoch erwachte in ihm der Verdacht, das Gerät könne einen irreparablen Schaden erlitten haben. Möglicherweise hatte er einen fehlerhaften Sektor übersehen oder der Fehler ließ sich überhaupt nicht lokalisieren. Der Mortlat öffnete erneut das Gehäuse und testete das Gerät. Eindeutig empfing er die mentalen Ströme der vielen Menschen, die an der Oberfläche vorüberhasteten. Der Bildschirm war regelrecht gespickt mit weißen kleinen Pünktchen. Die Reichweite des Gerätes war auf irdische zwanzig Meilen begrenzt, und die Tatsache, dass jener ersehnte rote Punkt fehlte, schien die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass sich der Zargonier abgesetzt hatte. Schwer verletzt mit Sicherheit, aber er verstand es, Spuren zu verwischen. Doch wie konnte er dann solche Entfernungen zurücklegen? Es musste ihm gelungen sein, die menschlichen Wesen als Helfer einzuspannen. Wie, das war dem Mortlat ein Rätsel. Er tippte auf eine weitere geistige Fähigkeit des Zargoniers, die er zur Manipulation oder Hypnose nutzte. Hilfsbereitschaft und Mitleid zog der Mortlat nicht in seine Überlegungen mit ein. Derartiges erschien ihm zu absurd, fehlte ihm doch auch der innere Bezug zu diesen Worten, deren Definition er nur aus dem Lexispeicher der Lernautomatiken kannte. Hilflos und verärgert bastelte der Mortlat an den Justierungen herum. Möglicherweise hatte er doch etwas übersehen ... eine Kleinigkeit.
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