1982: „Macht doch mal richtige Musik, macht doch mal Dixieland!“
Wie es ist, wenn ein „fremder Geist“ in die Familie einzieht, habe ich 2006 als Vater selber erlebt. Deutschland feierte damals sein „Sommermärchen“ und mein fußballbegeisterter Sohn Finn erkor einen gewissen „Poldi“ als Helden aus. Anders als mein Vater wollte ich die neue Welt, die meinen Sohn in ihren Bann gezogen hatte, kennenlernen und begreifen.
Um zu wissen, was ihn im Innersten bewegt und so den Kontakt zu ihm nicht zu verlieren. Deshalb habe ich einige Jahre lang alle Informationen, die ich über Fußball bekommen konnte, wie ein Schwamm aufgesogen. So kann ich heute leidlich mitreden. Wenn kein Fremder in der Nähe ist, nenne ich Finn manchmal immer noch zärtlich „Podolski“. Auch, wenn er längst andere Kicker als Vorbilder hat und heute auf dem Weg ist, selber Profifußballer zu werden.
Finn steht vor mir (2006).
Mein Vater war nicht motiviert, sich meinetwegen dafür zu interessieren, was John Lennon fühlte und dachte. Sein Interesse für die Beatles tendierte gegen Null. So nannte er mich auch nicht „John“, sondern „Plüschi“, nachdem ich mich geweigert hatte, mir von ihm weiter die Haare scheren zu lassen. Sein Talent als Herrenfriseur stand leider im krassen Gegensatz zu seinen anderen handwerklichen Fähigkeiten. Er beherrschte nur den „Je-kürzer-je-besser“ Schnitt. Als ich dann plötzlich zum ersten Mal im Leben sichtbare Haare auf dem Kopf hatte, kämmte ich mir diese gleich stilsicher ins Gesicht. Und Sebastian hörte auf, mich mit meinem präventiven Bundeswehrhaarschnitt aufzuziehen. Er war kurz davor, sich für zwei Jahre zu verpflichten und hatte wohl Angst, dass ich es nach der Schule besser haben könnte als er. Anders kann ich mir seinen damaligen Lieblingsspruch: „Dein Helm ist auch schon gepresst!“ im Nachhinein nicht erklären.
Die Beatles waren im Hause Porath allerhöchstens geduldet. Offiziell propagiert wurde bei uns die Klassik. Ein Theaterabo zwang drei von vier Poraths regelmäßig in die Oper und ins Konzert. So richtig „gegeben“ hat das keinem von uns etwas. Wobei mein Vater meistens kniff und den Pflichtbesuch im Stadttheater meiner Mutter, meiner Schwester und mir überließ. Aus für mich unerklärlichen Gründen gaben meine Eltern nie offen zu, dass sie die leichte Muse in Form von „schmissiger Musik“ und Schnulzen liebten.
Eine unserer wenigen, aber heiligen Familientraditionen war, das Segelwochenende im Sommer mit der „Deutschen Schlagerparade des NDR“ ausklingen zu lassen. Mein Vater achtete peinlich genau darauf, dass wir in Kiel-Schilksee rechtzeitig beim ersten „Neueinsteiger der Woche“ im Auto saßen. Nach einer guten Stunde Fahrt lief dann, kurz bevor wir zu Hause ankamen, der Siegertitel. Ich glaube die Sendung hatte in den Sommermonaten keine treueren Hörer als uns. Die offizielle Ausrede im Auto bedauerlicherweise keine Klassik hören zu können war die, dass nur auf NDR II Verkehrsnachrichten gesendet wurden. Da hatte er aber Glück gehabt!
Meine Begeisterung für Gesang wurde auf diesen Fahrten geschürt. Auf dem Rücksitz zwischen den Lautsprechern war ich fasziniert, wie zum Beispiel die Stimme von Peter Alexander, die die Vorzüge des menschlichen Miteinanders in einer kleine Kneipe propagierte, schwerelos und doch so sicher mitten im Raum schwebte. Vermutlich sind meine Eltern die einzigen Vertreter ihrer Generation, die es in ihrer Jugend geschafft haben, Rock’ n’ Roll, Elvis und die Beatles komplett auszublenden und zu verpassen. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als mein Vater irgendwie herausgefunden hatte, dass die Beatles auch Filme gedreht haben. Noch vorm Frühstück nahm er mich im Badezimmer beiseite. Er echauffierte sich darüber, dass diese „langhaarigen Nichtskönner“ in ihrem Hochmut jetzt auch noch dächten, sie wären Schauspieler. „Das seien sie nämlich nicht!“ Dass die Beatles sich selber nie für Schauspieler hielten, spielte – wie viele andere Tatsachen auch – in Auseinandersetzungen mit meinem Vater keine Rolle. Er kannte sich problemlos auch auf Gebieten aus, mit denen er sich nie beschäftigt hatte.
Als „Mull of Kintyre“ im Radio rauf und runter lief, gefiel ihm der Song sehr. Da ich ein lieber Mensch bin, habe ich ihm nicht „aufs Brot geschmiert“, dass der Song von Paul McCartney, einem dieser furchtbaren Langhaarigen war. Das erfährt er vermutlich erst jetzt beim Lesen dieser Zeilen. Vor meiner versammelten Band endgültig ins musikalische Abseits gestellt hat sich unser Familienoberhaupt dann ein paar Jahre später. Er streckte bei einer Probe in meinem Zimmer kurz den Kopf zur Tür rein und erheiterte meine Mitmusiker mit der vermutlich auch noch ernst gemeinten Aufforderung: „Macht doch mal richtige Musik. Macht doch mal Dixieland!“ Ein grandioses Statement, das von Sebastian, wenn wir über früher sprechen, immer wieder gerne und mit großer Freude zitiert wird.
Ein Mantra meines Vaters, das nicht so abwegig war, wie einer Band mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und Klavier zu empfehlen, Dixieland zu spielen, inspirierte Sebastian aufgrund seiner Wortwahl zu einem Song. Ich weiß den Anlass nicht mehr, aber mein Vater legte uns nahe, dass man stets über alles informiert sein müsse, was in der Bevölkerung gedacht werde. Das drückte er mit den wunderbaren Worten aus, man müsse immer „das Ohr an der Masse haben“ . Sebastian als passionierter Elektronikbastler hatte da ein schönes Bild vor Augen. Er schrieb ein Lied, in dem er sang: „Mit dem Ohr an der Masse und der Nase an der Phase“ . Autsch!
1982: Flucht unter den Flügel.
Die Feierlichkeiten für das 25-jährige Schuljubiläum des Carl-Jakob-Burckhardt-Gymnasiums standen vor der Tür. Unser Direktor ermutigte uns, eine Kapelle zu gründen, die für Ruhm und Ehre die Musik zum abschließenden Schwof im Musiksaal beisteuern sollte. Warum Geld ausgeben, wenn man an seiner Schule genug Krachmacher hatte? Kern der Formation und Bandleader wurde Walter Kleinkopf, der Orgel und Klarinette spielte und im Duo mit Andreas Braun am Schlagzeug bereits Tanzmusikerfahrung gesammelt hatte. Dazu kamen als weitere schulbekannte Popmusiker Sebastian an der Gitarre und ich. Walter testete mit mir Verschiedenes aus. Er ließ mich auf dem Akkordeon Seemannslieder spielen oder ihn am Klavier begleiten, wenn er zur Klarinette griff und Stücke wie „Hello Dolly“ zum Besten gab. Wir konnten in der Buddeschen „Oberwelt“ proben, denn Vater und Mutter Budde hatten rechtzeitig Reißaus genommen.
Walter war mit Andreas gut eingespielt und Sebastian konnte, was Walter sehr begeisterte, auch Lieder, die er nie zuvor gehört hatte, auf Anhieb mitspielen. Das Sorgenkind war ich. Mir wurde zum Verhängnis, dass ich außer ein paar Mal mit Sebastian noch nie mit anderen zusammengespielt hatte. Bei den Proben konnte ich hochkonzentriert noch einigermaßen mithalten. Aber als es auf der Feier galt, die Tänzer in Schwung zu halten und die Stücke in nahtloser Abfolge abzuspulen, war ich völlig überfordert. Erschwerend kam hinzu, dass im Zusammenspiel mit Schlagzeug, Orgel und E-Gitarre der Flügel so gut wie nicht zu hören war. Ich kam nicht hinterher bei dem, was die anderen spielten und ich konnte mich selber nicht hören.
Meine allererste Live-Erfahrung mit einer Band geriet zum Desaster! Die anderen und die Tänzer hatten ihren Spaß. Ich war das fünfte Rad am Wagen, komplett überflüssig und völlig frustriert. Rückblickend weiß ich, dass mir damals im Eifer des Gefechts keiner der anderen auf irgendeine Art und Weise hätte helfen können. Ich war schlicht und einfach noch nicht so weit.
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