„Ich habe gut geschlafen. Du bist eine schöne Frau. Die Sonne scheint. Schon mal drei Gründe für einen gelungenen Tag.“
Paul beugte sich im Auto zu Emma hinüber und küsste sie auf die Wange. Emma sah ihn erstaunt an. Dann schüttelte sie den Kopf. Verstehe einer die Männer, dachte sie bei sich. Morgens war er eklig und mies drauf und nachmittags machte er ihr Komplimente. Verwirrend. Sie hatte ein eigenartiges Kribbeln im Bauch.
Sie fuhren nach Eltville an den Rhein und saßen in dem netten Restaurant direkt am Wasser, wo sie öfter zu Mittag aßen. Schiffe glitten sanft vorbei. Die Augustsonne hatte noch viel Kraft.
Paul sagte in die angenehme Stille hinein: „Ich habe nachgedacht und kann mir auch gut vorstellen, dass es eine Frau war.“
Emma zog die Augenbrauen hoch.
„Nanu? Jetzt doch? Erklär es mir!“
„Also“, begann Paul, „ich habe die Situation im Kopf noch einmal durchgespielt. Und du hast recht. Wenn sich ein Typ auf mich setzen würde, würde ich mich wehren. Doch es weist nichts darauf hin. Darum kann es nur eine Frau gewesen sein. Aber sie muss riesig und stark sein. Cem war nicht gerade ein Weichei. Nicht mal du könntest mich so überrumpeln.“
„Wir sollten es mal testen. Dann können wir einschätzen, wie groß sie sein muss.“
Emma rief Reiner Jossings an und berichtete. Der war nicht begeistert von dem Gedanken an eine Frau, wollte aber am nächsten Tag kommen und fand die Idee mit dem Selbstversuch ganz gut. Er hatte am Computer alles für ein Täterprofil eingegeben. Der einzige Polizeipsychologe für den Bereich Rheingau-Taunus war im Urlaub und seine Vertretung hatte ihm einen Link für das Internet geschickt, weil er total überlastet war. Die Recherchen hatten ergeben, dass der Täter ein Mann zwischen zwanzig und vierzig Jahren mit akademischer Ausbildung sein musste. Aber wahrscheinlich gab es noch viel zu wenige Fakten zum Vergleich. Ähnliche Fälle gab es nicht im Computer. Reiner Jossings glaubte also an einen Mann als Täter.
Er stürmte am nächsten Morgen genauso rasant wie beim ersten Mal ins Zimmer, nur dieses Mal ohne anzuklopfen.
„Guten Morgen“, rief er laut, für Paul viel zu laut. „Dann mal los. Wollen wir euch gleich hier im Büro auf den Boden legen oder lieber in den romantischen Weinbergen?“
Emma erwiderte: „Guten Morgen. Vielleicht können wir erst einmal darüber reden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es sich beim Täter um eine Täterin handelt.“
„Ich selbst denke an einen Mann. Und Sexspielchen. Vielleicht wollte dieser Cem Dingsbums da mal etwas ausprobieren. Frauen morden subtiler. Das hat auch der Computer gesagt.“
„Aber wenn eine Frau richtig hasst“, mischte sich Paul nun ein, „dann ist sie locker zu so einer Tat fähig. Ich habe schon von so manch einem kleinen Fräulein eine geklatscht gekriegt.“
Emma lachte und sagte: „Das glaube ich dir direkt. Aber du hast recht. Ausschließen kann ich es einfach nicht.“
Reiner Jossings grummelte vor sich hin.
„Dann spielen wir das Ganze mal durch. Also Cem Irgendwas trifft sich mit einer Frau zum Sex in den Weinbergen. Er legt sich hin, sie will ihn beglücken und setzt sich auf ihn. Cem Sowieso macht die Augen zu und schwupps hat er ein Messer im Herzen. So in etwa?“
„Warum macht sie sich die Mühe, extra in die Weinberge zu fahren? Wohnt sie da?“
Paul hatte die Szene vor Augen. Er nahm sich vor, selbst mal so etwas zu tun. Nur mit wem? Im Moment hatte er keine Fickmaus, wie er die jungen Dinger gern bezeichnete, die sich ihm hingaben, am Start. Er sah Emma an und eine seltsame Gänsehaut überzog ihn. Mann, dachte er, sie ist eine echt tolle Frau.
Emma sagte: „Los. Wir fahren hinaus und testen die Szene.“
Sie holte eine Decke aus dem Schrank, denn draußen war es noch nicht wieder ganz trocken. Die drei Kommissare hatten nur ein Auto genommen und hielten hinter Martinsthal. Dort stellten sie das Auto ab und liefen in die Weinberge. Als sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen waren, breitete Emma die Decke aus und forderte Paul auf, sich auf den Rücken zu legen. Gut, dachte Emma, dass ich heute eine lange Hose anhabe. Sie setzte sich auf Pauls Schenkel. Mit ihrem Kugelschreiber hätte sie ihn jetzt gut erstechen können.
„Soll ich mich wehren? Ach, nein. Hat der Typ ja auch nicht gemacht. Kommst du so auch an die Kehle ran?“
Emma beugte sich ein wenig vor und malte ihm einen blauen Punkt auf den Hals.
„Perfekt. Du bist sowas von tot.“
Sie setzte sich neben Paul, der richtete sich wieder auf, blieb aber sitzen. Reiner Jossings hatte Fotos gemacht.
Emma und Paul saßen noch eine Weile nebeneinander. Zwischen ihnen war eine Handbreit Luft. Paul fühlte sich sehr wohl. Er dachte: Wie gut, dass sie so schnell wieder hoch ist, sonst hätte ich noch einen Ständer bekommen. Auch Emma hatte es im Bauch gekribbelt, wie schon bei dem Kuss neulich im Auto. Darum war sie schnell wieder aufgestanden.
Natalie war zuerst da. Sie hatte sich einen kleinen Tisch in der Ecke des Cafés ausgesucht und beobachtete die Leute, meistens ältere Damen, vor denen Torte und ein Kännchen Kaffee standen, während sie auf Nico wartete. Sie war manchmal mit ihrer Oma hier gewesen. Aber Oma war keine von den Torte-Kännchen-Kaffee-Frauen. Sie bestellte sich immer einen Eiskaffee mit Schuss und dazu einen Schokoladeneisbecher.
Nico kam kurz nach der verabredeten Zeit durch die Tür und steuerte lächelnd auf sie zu. Natalie erhob sich und sie küssten sich links und rechts auf die Wangen. Er sah sehr gut aus. Die blonden Haare waren in einem Zopf gebändigt. Die blauen Augen strahlten. Er trug Jeans und ein weißes Hemd. Sein Handy legte er auf den Tisch. Dann schauten sie in die Karte und bestellten Cappuccino und einen Erdbeer-Eisbecher mit zwei Löffeln.
„Sehr schön“, sagte er, „dass du gekommen bist. Ich hatte schon Angst, du würdest mich versetzen, weil ich dir zu jung bin oder so.“
„Du bist mir zu jung. Aber ich bin ja hier, also bleib locker. Und wir denken doch wohl nicht an eine Beziehung oder so einen Quatsch, oder?“
Natalie hatte ihn ernst angesehen.
„Nein, auf keinen Fall. Keine Angst, ich suche keine feste Freundin. Und was ist schon Liebe? Die gibt es sowieso nicht. Ab und zu ein bisschen vögeln. Mit schönen Frauen Kaffee trinken. Und Spaß haben. Eine Frau alleine ist mir eh zu wenig. Das lastet mich nicht aus. Für eine feste Beziehung bin ich zu jung. Ich hoffe, du verstehst mich.“
Natalie lobte ihn für diese Einstellung. Unter dem Tisch ballte sie ihre Faust und drückte die Fingernägel in den Handballen, bis es schmerzte.
Dann legte Nico seine Hand auf ihr Knie.
„Würdest du mit mir vögeln? Ich stehe auf ältere Frauen.“
Sein Blick hing an ihren vollen Lippen und den schönen, blauen Augen, die sie nun niederschlug. Als sie ihn wieder ansah, hielt er ihrem Blick stand.
„Ja, ein bisschen vögeln können wir gerne mal. Aber heute trinken wir Kaffee.“
Sie sprachen über seine Arbeit im Kindergarten. Er mochte Kinder, das spürte Natalie deutlich. Es war nicht nur ein Job im freiwilligen sozialen Jahr. Es war das, was er tun wollte.
„Kinder verstellen sich nicht. Sie sind ehrlich. Ich mag es, wenn wir zusammen spielen und ich auch noch einmal Kind sein kann. Und wenn sie sagen, dass sie mich mögen, dann meinen sie genau das. Erwachsene sind nicht so ehrlich. Sie sagen, dass sie mich mögen, wenn sie sich daraus einen Vorteil erhoffen.“
„Die Kinder müssen dich gern haben. Du bist genau der Richtige für den Job. Es ist immer so in den sozialen Berufen. Man kann es oder man kann es nicht.“
Natalie erzählte von den anstrengenden Nachtdiensten im Krankenhaus. Sie arbeitete in der Kardiologie. Hier waren hauptsächlich alte, sehr kranke Menschen. Es war eine anstrengende Tätigkeit.
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