„Gib ihm ruhig meine Adresse“, sagte Franz Heindl und wunderte sich, dass Lord Huber kichern musste.
„Da kennst du Ferdinand schlecht“, sagte Lord Huber. „Er liebt geheimnisvolle Botschaften. Bevor man ihn zu Gesicht bekommt, muss man meistens ein bis zwei Rätsel lösen.“
„In diesem Fall auch?“, fragte Franz Heindl.
Lord Huber nickte.
„Ich habe ihn gefragt, wo und wann wir ihn treffen sollen.“
„Und? Wie war die Antwort?“
Lord Huber seufzte. „ Frag Jonathan . Dann hat er aufgelegt.“
„Frag Jonathan? Das war’s? Na gut. Kennst du einen Jonathan?“
Lord Huber schüttelte den Kopf.
Er sah Herrn Jaromir fragend an. Auch der schüttelte den Kopf.
„Ich kenne hier auch niemanden, der Jonathan heißt“, überlegte Franz Heindl. „Aber – wir werden das Rätsel schon lösen. Lasst uns weiterfahren. Auf zur nächsten Station!“
Sie gingen zum Auto.
Franz Heindl zeigte ihnen eine Abkürzung nach Strem, dem nächsten Ort Richtung Güssing. Sie fuhren kurz durch ein Waldstück, dann kamen links und rechts ausgedehnte Wiesen, auf denen schwarze und weiße Pferde zu sehen waren. Nach einigen Kurven standen sie vor der Ortstafel.
Franz Heindl fuhr die Hauptstraße entlang, am Dorfrand bog er plötzlich ab und blieb nach einigen Metern bei einer Abzweigung stehen.
„So, da wären wir“, sagte er. Er deutete auf eine schmale Straße, die vom Dorf wegführte. Sie sah aus wie eine Allee, links und rechts standen alte, knorrige Bäume.
„Der Apfelweg“, sagte Franz Heindl. „Er führt über Urbersdorf bis nach Güssing. Er ist wie ein Freilichtmuseum – ein Museum der Apfelbäume. Hier findet ihr viele unterschiedliche Apfelsorten. Jeder Baum trägt andere Früchte. Lasst uns ein paar Schritte gehen!“
Sie stiegen aus und atmeten die frische Luft ein. Ein intensiver Apfelduft lag in der Luft.
Sie spazierten langsam die Allee entlang. Beim dritten Baum blieb Lord Huber stehen.
„Ich begrüße Sie“, sagte er zum Erstaunen von Herrn Jaromir und Franz Heindl laut. „Ich kenne Sie.“
„Mit wem sprichst du?“, flüsterte Franz Heindl. Er sah sich vorsichtig um.
Lord Huber klopfte mit seinem Stock gegen den Baumstamm vor ihm. „Ich rede mit diesem Apfelbaum. Er sieht genauso aus wie der Apfelbaum im Hof meiner Eltern. Wahrscheinlich ist er ein naher Verwandter.“
Lord Huber verbeugte sich vor dem Baum. „Ihr Verwandter war der wichtigste Freund meiner Kindheit“, sagte er ernst. „Ich bin stundenlang in seinen Ästen gesessen. Er hat mir immer zugehört. Und er hat mir viele Äpfel geschenkt. Schön, an ihn erinnert zu werden.“
Franz Heindl sah abwechselnd Lord Huber und den Apfelbaum an. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Da bellte Herr Jaromir los.
Er rannte aufgeregt vor einem kleinen, schiefen Apfelbaum auf und ab und hörte gar nicht mehr zu bellen auf.
Lord Huber und Franz Heindl gingen mit raschen Schritten zum kleinen Baum, der Herrn Jaromir so zu beschäftigen schien.
„Jonathan. Würziger Tafelapfel“ las Lord Huber den Namen laut vor, der auf einem kleinen Schild neben dem Baum zu lesen war.
„Natürlich!“, rief Franz Heindl. „Jonathan! Eine bekannte Apfelsorte! Die Äpfel kenne ich! Sehr schmackhaft!“
„ Frag Jonathan. Frag Jonathan“ , murmelte Lord Huber. Er stocherte mit seinem Stock in der Wiese herum und klopfte dann auf einige Äste des Baumes.
Herr Jaromir war inzwischen ganz nahe an den krummen Stamm des Apfelbaums herangelaufen. Er hatte etwas Weißes aufblitzen sehen.
Vorsichtig zog er mit den Zähnen einen kleinen weißen Zettel aus einem Loch in der Baumrinde.
„Danke, Herr Jaromir! Auf Sie ist Verlass“, sagte Lord Huber und nahm den Zettel.
Dann kratzte er sich am Hinterkopf.
„Das nächste Rätsel. Also, manchmal übertreibt es Ferdinand ein wenig.“
Er las laut vor. „Wir sind drei. Ich bin in der Mitte .
Um 12 hab ich frei.“
Franz Heindl klatschte in die Hände.
„Also, zu meiner Zeit als Polizist war das einfacher. Wo bist du? Wann kommst du? Treffpunkt da oder dort . So haben wir miteinander geredet. Ich hätte die Rätsel gar nicht lösen können.“
„Ferdinand sieht das als Training. So muss man immer wieder neu das Nachdenken üben“, sagte Herr Jaromir. „Ich liebe Ferdinands Rätsel. Bisher konnten wir noch alle lösen.“
Lord Huber sah sich um.
„Ich denke, die zweite Lösung werden wir nicht mehr hier finden. Sie wartet bestimmt in der Stadt auf uns.“
Er beugte sich vor und pflückte sich einen Jonathan-Apfel vom Baum. Er schaute Herrn Jaromir und Franz Heindl an.
„Hat noch jemand Lust auf einen würzigen Tafelapfel?“
in dem eine Braut winkt, Lord Huber sich über Feenstaub freut und Herr Jaromir ein zweites Rätsel löst
Es waren nur wenige Kilometer von Strem bis nach Güssing. Schon von Weitem konnte man die Burg Güssing gut sehen, die über der alten Stadt auf einem Berg thronte.
„Das ist ein erloschener Vulkankegel“, erzählte Franz Heindl. „Ein guter Platz für eine Burg. Vor euch steht übrigens die älteste Burg des Burgenlandes. Aber bevor wir sie besuchen, könnten wir am Hauptplatz noch etwas trinken. Dann seht ihr gleich das Zentrum der Stadt.“
Sie fuhren an einem alten Elektrogeschäft, einer modernen Apotheke und an der großen, beeindruckenden Kirche vorbei. Dann standen sie auf dem kleinen Hauptplatz der Stadt.
Tische und Stühle waren auf dem Platz aufgestellt, sie gehörten zu einem Kaffeehaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Kellnerin musste die Straße überqueren, um die Gäste bedienen zu können.
Sie fanden einen Parkplatz direkt an der Hauptstraße, die am Hauptplatz vorbeiführte.
Herr Jaromir sprang aus dem Auto und betrachtete die Auslage eines Fotogeschäfts. „Foto Miku“ war über der Eingangstür zu lesen. Was Herrn Jaromir sofort auffiel: Auf allen ausgestellten Fotos sah man nur Brautpaare – und stets war eine alte Burg im Hintergrund.
„Sie haben recht, mein Freund “, sagte Lord Huber, der plötzlich neben ihm stand. „Auf der Burg Güssing wird anscheinend gern geheiratet. Ob das dem Roten Ritter gefällt?“
Lautes Hupen war zu hören. Es wurde immer lauter.
Sieben, acht mit weißen Bändern und Blumen geschmückte Autos fuhren langsam und unablässig hupend an ihnen vorbei. In einem Auto saß eine Braut in einem strahlend weißen Brautkleid, sie hielt einen Blumenstrauß in der Hand und winkte den Leuten auf der Straße zu. Ein Autofenster wurde geöffnet, eine Kinderhand warf glitzerndes Konfetti in die Luft.
„Feenstaub“, sagte Lord Huber fasziniert. „Ich liebe Feenstaub.“
Die Autos fuhren weiter, das Hupen war noch minutenlang zu hören.
„Hier wird gern geheiratet“, sagte Franz Heindl. „Das ist gut für Erwin Miku, den Fotografen. Da gibt es immer genug zu tun. Jetzt hab ich in dem Trubel den Bräutigam gar nicht gesehen. Vielleicht fahren sie zu einem Gasthaus. Oder zum Fotografieren auf die Burg.“
Lord Huber schien kaum zugehört zu haben.
„Feenstaub ist ein gutes Zeichen“, flüsterte er. „Für die Hochzeit und für unseren Fall.“
„Ich verstehe nicht ganz, was Hochzeiten mit dem Diebstahl auf der Burg zu tun haben sollen“, wunderte sich Franz Heindl.
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