»Mein Sohn«, antwortete der Meister. »Du hast bereits die ersten Forschungsflüge hinter dir, und eine deiner Reisen führte dich bestimmt auf Welten, die bereits intelligentes Leben trugen, nicht wahr?«
»Jawohl, Meister.«
»Hast du nicht erleben müssen, wie Wesen sich bekämpften, ihre Welten verseuchten und entsetzliche Dinge taten?«
»Ich habe es erlebt, Meister, und es kostet mich noch heute schlaflose Nächte. Nie werde ich derartiges Verhalten auch nur ansatzweise begreifen. Wie kann intelligentes Leben danach trachten anderes intelligente Leben zu vernichten? Tag für Tag denke ich darüber nach, ohne Antworten zu finden. Ich weiß, dass in unserem Sonnensystem in jeder Sekunde schreckliche Dinge geschehen, ausgeübt von Wesen, die sich trotz ihrer bereits errungenen Intelligenz auf einer niedrigen Evolutionsstufe befinden.«
»Glaubst du, von ihnen drohe Gefahr?«, fragte der Meister. Zodiac musste lächeln.
»Nein, Meister, wie sollte auch? Sie haben noch nicht den Schritt in den Kosmos getan.«
»Siehst du, damit hast du dir selbst eine Antwort erteilt. Auch die Zargonier befanden sich irgendwann einmal am Beginn ihrer Entwicklung. Die bisherigen Forschungen beweisen, dass wir die älteste Art in dieser Galaxis sind. Die Unreife, der Wille zur Gewalt, beruht auf Unwissen. Wenn diese Völker, deren Schicksale wir seit Jahrtausenden studieren, erst einmal den Schritt in den Kosmos wagen, dann setzt die Reife ein. Durch die Reinheit des Ganzen hindurch werden sie die Wahrheit erkennen. Nie wird ein Volk, das einmal das Licht der Sterne aus unmittelbarer Nähe erblickte, noch einen Gedanken an Verwerflichkeiten verschwenden. Deshalb, mein Sohn, droht uns von den Unreifen keine Gefahr. Sie alle tragen Schuld, und die Allmacht wird sie dafür sühnen lassen wie auch unsere Vorfahren gesühnt haben.
Merke dir, Zodiac, das All gehört den Reinen. Alle Geschöpfe, die es wagen können, durch Zeit und Raum zu walten, all jene Wesen sind Brüder, Teile des Ganzen.«
Zodiac nickte zufrieden. Nie hätte er es gewagt, an diesen Worten zu zweifeln. Wenn Zweifel vorhanden war, dann lag er zu jenem Zeitpunkt tief im Unterbewusstsein verborgen. Geheim, ungeahnt von seiner selbst. Doch gab es da noch einen Punkt.
»Meister, Deine Worte sind weise und ich verehre Dich ob deiner Klugheit. Verzeih mir aber, wenn ich frage, wie es einem reinen Volk geschehen kann, sich in dem Besitz einer ... Waffe zu befinden.«
Der Lehrmeister musterte seinen Lehrling mit einem strengen Blick, der Zodiac mahnte, ab jetzt zu schweigen.
»Oberstes Gebot wird für dich sein, über dieses Wissen zu schweigen, es jedoch tief in deinem Innern zu versenken. Das Tabu ist unbedingt zu respektieren. Die WAFFE ist etwas Furchtbares, denn sie kennt in ihrer Vernichtungskraft keine Grenzen. Es ist die Waffe unseres Geistes, Zodiac. In den Energien unserer geistigen Sphären schlummert eine grausame Macht. Die Erkenntnis dieser schrecklichen Macht führte unser Volk damals wieder zusammen.
Das Gehirn ist ein unergründbares, geheimnisvolles Labyrinth, und nur der Schöpfer mag wissen, warum er ausgerechnet unserer Art diese zerstörerische Gabe verlieh. In jedem von uns schlummert diese Kraft, Zodiac, in dir so wie in mir. Jeder Zargonier könnte durch einen einzigen heftigen Impuls seiner gebündelten Gedankenkraft diesen Planeten in Stücke reißen.
Wichtigster Bestandteil des Obersten Gebotes, und dies merke dir, Sohn, bevor du diese Höhlen verlässt, ist: Gebrauche nie diese Macht in dir, Zodiac aus dem Clan der Kulaans, was immer auch geschehen mag. Sprich nie darüber, bis zu jenem Tage, an dem auch du deine Nachkommen auf die große geistige Ebene führen wirst. Langes Leben und Wohlsein, mein Sohn!«
Die Erinnerung verblasste.
Zodiac empfand Trauer. Er wusste, er würde seinen Vater und Lehrmeister nie wiedersehen, und so wie es aussah, nahte sein Tod ebenso.
Auf den Bildschirmen sah er wiederholt das Aufblitzen vieler weißer Pünktchen, von denen jedes ein weiteres erloschenes Leben verhieß.
Das Oberste Gebot ...
Sie schienen ihn anzustarren, die strengen Augen des Meisters. Juds Lippen formten sich, um ihm erneut einen Satz ins Gedächtnis zu brennen: Leben ist alles, denn Leben ist Reinheit.
Doch jetzt war da etwas anderes in ihm als Reinheit. Die Ablehnung, der Hass auf die FREMDEN, der ihm half, nicht zu zerbrechen und sich seinem Schicksal zu fügen.
Das Oberste Gebot.
Es zu befolgen, hieß sich und seinen Brüdern und Schwestern hilflos den todbringenden Geschützen auszuliefern. Wie vermochte er diese Kraft einzusetzen, die ihm innewohnte?
Die Gedanken freisetzen ... der bloße Wille ... wie sollte er?
Der Monitor schien sich zu verdunkeln. Ein schwarzer Schemen huschte auf den kleinen Diskusraumer zu.
Zodiac sog die Luft ein.
Wo blieb die Todesangst, der Anflug von Panik? Der Zargonier empfing die Mentalimpulse der FREMDEN, deren Todesschwadron mit enormer Geschwindigkeit auf ihn zuhielt.
Kein Zweifel, sie wollten ihn töten. Und sie empfanden nicht das geringste dabei.
Im Feuerleitstand des fremden Schiffes erfasste die automatische Zieleinrichtung innerhalb eines Sekundenbruchteils das Objekt. Unaufhaltsam näherten sich sechs klauenartige Finger dem Feuersensor.
Da geschah es. Schnell und in tödlicher Konsequenz.
Von einer Sekunde zur anderen wurde jegliches Empfinden an Bord des FREMDEN ausgelöscht. Urplötzlich entstand eine Sonne, deren Korona vier weitere Schiffe der Invasoren erfasste und vernichtete.
Zodiac benötige wertvolle Sekunden, bis er begriff, dass sein Wirken dieses Inferno verursachte. Er wunderte sich über die Leichtigkeit, mit der das grausame Spiel ablief. Allein sein intensiver Wille, den fremden Raumer um jeden Preis zerstören zu WOLLEN, sowie ein einziger darauf folgender Impuls, erwies sich als imstande, tödliches Chaos zu gebären.
Sein bloßer Wille hatte den Raumer zerrissen.
Die schwarzen Pupillen zogen sich vor Erregung zusammen, ein typisches Merkmal seiner Rasse. Das matte Grau der Iris verdunkelte sich, so dass die Augen fast gänzlich schwarz wirkten.
ER verfügte über Macht und würde sie gebrauchen, so entsetzlich sie auch sein mochte. Die Überlebenden seiner Art mussten gerettet werden.
Erneut lauschte er auf die Mentalströme der FREMDEN. Der Tod ihrer Gefährten schien sie nicht zu beeindrucken. Dennoch zeigten sie maßloses Erstaunen über den plötzlichen Angriff. Die Attacke erfolgte aus dem Unsichtbaren heraus, scheinbar aus dem Nichts. Die Zargonier kannten keine Waffen, und die FREMDEN wussten dies. Somit war es vollkommen unmöglich, dass ...
Zodiac schlug erneut zu.
Scheinbar ohne ersichtliche äußere Gewalteinwirkung löste sich ein Schiff nach dem anderen in einer Glutwolke auf. Das Chaos war perfekt. Die Gedanken der FREMDEN wirbelten durcheinander, außerstande, das Unbegreifliche zu erfassen.
Die Impulse der Zargonier sandten Überraschung und Entsetzen aus. Doch sie würden nicht lange zu überlegen brauchen.
Jemand brach das Oberste Gebot.
Nun, sie würden bald herausfinden, wer der Verräter in ihren Reihen war, und er sah schwere Stunden vor sich, sollte er die nächsten Minuten überleben.
Gleichgültigkeit umgab Zodiac, zumindest für diesen Moment. Er bestand nur aus geballter Konzentration, schuf ein Werk der Vernichtung nach dem anderen. Weit über die Hälfte der Feindflotte fiel Zodiacs Überraschungsangriffen zum Opfer, bis er erkannte, dass dieser Macht Grenzen gesetzt waren. Erschöpfung und Müdigkeit befielen ihn. Ein schwerer Druck lastete auf seinem Hirn.
Der Wunsch zu schlafen wurde fast übermächtig. Der Feind aber galt noch lange nicht als besiegt. Zodiacs Augen hefteten sich angestrengt auf die Monitoren. Sekundenschnell erfasste er die geschockten Gedankenströme der FREMDEN und löschte sie aus.
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