Verstehen kann man aber auch den Göttergatten, dem angesichts der Unsterblichkeit beider Ehepartner der stete Sex nur mit der einen Frau irgendwann einmal öde vorkommt, wenn man alle Stellungen tausendfach ausprobiert hat und auch der göttlichen Fantasie nichts Neues mehr einfällt. Da ist doch so ein unschuldiges Menschenkind etwas ganz anderes, da kommt es selbst dem hehren Olympier jedes Mal so vor, als wäre es das erste Mal - was ja für die entjungferte Jungfrau auch zutrifft. Und das kann die biedere Hera nun einmal nicht bieten, selbst nicht auf Wolke sieben dort oben am Olymp. Dabei war ihr doch schon in die Wiege gelegt worden, daß sie nach jeder Nacht im Bett des Göttergatten prompt wieder zur Jungfrau wurde. Doch davon hatte Zeus ja nichts, und die Sache mit dem Kuckuck ließ sich auch nicht ständig wiederholen.
Für die Folgen all seiner Ausflüge in die Niederungen der Menschheit läßt sich ein Gott allerdings nicht haftbar machen, vor welchem Gericht sollten die Geschwängerten auch klagen, wenn die oberste Instanz nun einmal Zeus persönlich ist. Da ist es dann wenigstens ein Trost, wenn der Nachwuchs stolz behaupten kann, von einem Gott gezeugt worden zu sein. Und es hat den großen Vorteil, so etwas muß man nicht beweisen, weil es schließlich unbeweisbar bleibt. Doch Halt - einen Beweis gibt es trotzdem: Göttersöhne sind per definitionem immer auch Helden. Das kann allerdings ein anstrengender Beweis werden, wie es etwa Herakles erfahren mußte. Aber Zeus konnte dann doch stolz sein auf diesen Sohn.
Geboren hat ihn Alkmene, doch die war zu mindestens auf dem Papier bereits verheiratet mit einem gewissen Amphitryon. Nun müssen wir durchaus zugeben, daß Zeus sich diesmal einen besonders fiesen Trick ausgedacht hatte, um mit Alkmene eine Liebesnacht zu vollbringen. Doch dazu muß ich ein wenig ausholen: Amphitryon war mit Alkmene verheiratet und sollte eigentlich den Thron seines Schwiegervaters in Mykene erben. Doch da war etwas dazwischengekommen, ich erspare ihnen die Einzelheiten. So hatte er die Aufgabe eines Feldherrn von Theben übernommen, und dessen König schickte ihn auch gleich in den Krieg. Alkmene also blieb derweil allein in Theben zurück.
Nun war sie eine echte Schönheit, wie jeder bestätigen konnte, und als solche fiel prompt auch ein Blick vom Olymp her auf die einsame Alkmene. Zugleich war sie aber auch eine treue Gattin, wie man ebenfalls von ihr rühmte. Wie also sollte Zeus an diese tugendhafte Schönheit herankommen? Mit Tieren ging das nicht so einfach, stellte er fest, damit kam er nicht in die sorgsam bewachte Kemenate. Und so kam er auf die häßliche Idee, einfach die Gestalt des abwesenden Amphitryon anzunehmen, da hätte er doch bei der noch frisch verheirateten und verliebten Alkmene ein leichtes Spiel. Gesagt, getan. Ein Blick in den Spiegel - die Tarnung war perfekt.
So trat er denn auch in Alkmenes Gemach, die war zwar etwas erstaunt über die unerwartete Rückkehr des Gatten, aber andererseits überglücklich, ihn wieder in die Arme schließen zu können. Und Zeus, also für Alkmene Amphitryon, verbrachte eine höchst angenehme Nacht in ihren Armen, ohne die geringsten Gewissensbisse. Doch der Ärger blieb nicht aus, denn am nächsten Morgen stand der echte Amphitryon vor der Tür, und auch eine rasche Flucht des Gottes nützte gar nichts. Der Gatte wunderte sich, so wenig überschwänglich begrüßt zu werden, und Alkmene verstand nicht, wieso er immer von seiner plötzlichen Rückkehr sprach, war er doch schon tags zuvor gekommen. So wurde aus ständigem Mißverstehen zuletzt Mißtrauen und endlich ein handfester Ehekrach. Für den armen Amphitryon war klar, seine Frau mußte ihn betrogen haben, und Alkmene fühlte sich beleidigt und drohte mit Scheidung.
Da kamen dem Zeus, der sich die Sache vom Olymp her erst mit Schadenfreude angeschaut hatte, nun doch Bedenken. Nicht aus moralischen Gründen, sondern weil er um die Folgen jener Nacht bangte. Ein Gott befruchtet schließlich immer, da gibt es keine Impotenz und keine weibliche Periode. Doch wenn die beiden dort unten sich nun tatsächlich trennen, wird auch der göttlich gezeugte Sohn nicht in einer geordneten Familie aufwachsen können. Und darauf legte er Wert, da stimmte er mit Hera ganz überein. Obwohl die bereits einen Plan ausgetüftelt hatte, diesen Bastard wieder aus der Welt zu schaffen.
Auch wenn es selbst Göttern schwerfällt, eine Dummheit zu gestehen - Zeus mußte noch einmal runter und die Sache regeln. Also klärte er die beiden auf, bezeugte, daß Alkmene schließlich in gutem Glauben einen Falschen geliebt habe und daß Amphitryon nun einen Sohn bekommen würde mit einem guten Teil Göttlichkeit im blauen Blut. Und darauf müßte er doch eigentlich stolz sein. Außerdem würde dieser Nachwuchs von außerordentlicher Kraft sein und ein wahrhaft göttliches Heldenleben führen - und das immer als Sohn des Amphitryon. Es ist nicht überliefert, wie dieser die ganze Geschichte aufgenommen hat. Aber daß seine Alkmene im Grunde dabei doch eigentlich nur ihn geliebt habe, wie Zeus gestehen mußte, das hörte er schließlich gerne.
Und sein Heldentum konnte der kleine Herakles schon bald nach der Geburt beweisen. Die zickige Hera hatte nämlich zwei Schlangen abgerichtet, die sollten dem Bastard in seiner Wiege möglichst unverzüglich den Garaus machen. Doch daraus wurde nichts. Der Kleine griff sich die Viecher, als sie ihn erwürgen wollten, und würgte sie selbst so lange, bis sie ihr Schlangendasein aushauchten. Dieses war nur sein erster Streich, denn es sollten noch viele andere folgen, wie die Sage zu berichten weiß.
Kreta war seinerzeit der Hotspot des gerade erst entstehenden Abendlandes. Auch dank Minos, seines Königs. Aber dann hatte sich Königin Pasiphaë dummerweise in einen bildschönen Stier verguckt, und der hatte sie auf der grünen Wiese auch für ein paar Momente glücklich gemacht. Weniger glücklich war sie allerdings, als sie ihrem königlichen Gemahl später eine Mißgeburt präsentieren mußte - da halfen keine Ausreden, der Kleine sah diesem Vater wirklich nicht ähnlich, denn auf seinem kräftig gebauten Körper saß - ja, was schon? ein kleiner Ochsenkopf.
Die beiden beschlossen, das kleine Monster gut zu verstecken - wer weiß, was sonst noch so geredet wird, und außerdem: Wie mag der reagieren, wenn man ihn reizt? Stierkämpfe kannte man auf Kreta zur Genüge, und auch tote Toreros. Also mußte ein erfahrener Baumeister her, um eine Unterkunft zu schaffen, deren Ausgang unauffindbar sein sollte: die Idee des Labyrinths war geboren. Und eben ein solches skizzierte Dädalus, das war der kühne Architekt, nun ausgerechnet auf einer Kuhhaut. Und Minos war begeistert.
Allerdings gab es ein Problem: der Kleine dort, sinnigerweise Minotaurus getauft, wuchs nicht nur körperlich, auch sein Hunger wuchs, und zwar nach Menschenfleisch. Wenn einen die Menschen so behandeln, bis hin zur eigenen Mutter, mußte der Liebesentzug schließlich katastrophale psychische Folgen haben. Und da ein König nicht gern Untertanen verliert - wenigstens solange sie Steuern zahlen - und das kleine Monster nur junges und zartes Fleisch akzeptierte, gab es nur eine Lösung: das gerade unterworfene Athen mußte neben dem fälligen Gold auch alle neun Jahre die nötige (S)Tiernahrung liefern.
Dort war allerdings jedes Mal gewaltiges Klagen angesagt, wenn wieder die Opfer ausgelost wurden. Dem König ging's zwar zu Herzen, doch was sollte er machen: Minos war der Boß, keine sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen für Minotaurus bedeutete neuen Krieg und weit mehr Opfer auf dem Schlachtfeld als sieben Jünglinge. Über die Jungfrauen allein hätte man ja durchaus mit Minos reden können. Also wurde die nächste Lieferung zusammengestellt. Und diesmal geschah etwas, was die Geschichtsschreiber Athens sofort für ihre zukünftigen Werke notierten: es gab einen Freiwilligen, und das war - der Kronprinz höchst persönlich: Theseus. Der hatte zwar höchst irdische Eltern, hielt sich aber dennoch für einen Sprößling des Meeresgottes Poseidon - so eine Herkunft ziert schließlich ungemein! Und sie verpflichtete. Also hielt sich Theseus für einen unbesiegbaren Helden.
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