Kaum waren sich die beiden ungleichen Partner handelseinig geworden, da sprang der Tiger auch schon in die Grube, schnappte sich die Schaufel, machte einen gewaltigen Satz in die Höhe und legte Rith die Schaufel zu Füßen.
Doch auch die war in der Zwischenzeit nicht müßig gewesen und hatte sich einen harten Dorn gesucht, mit dem sie nun die Würmer aus den Wunden des Tigers spießte.
Der Tiger war aber ein wenig eitel und fragte: „Rith, mein süßes Kind, sag mir ehrlich – stinkt meine Wunde sehr oder riecht sie gut?“
Und Rith antwortete: „Aber Großväterchen Tiger, deine Wunde riecht gut.“
Der Tiger konnte sein Glück gar nicht fassen und fragte immer wieder: „Rith, mein süßes Kind, sag mir ganz ehrlich – stinkt meine Wunde sehr oder riecht sie gut?“ Und Rith antwortete immer wieder: „Aber Großväterchen Tiger, sorg dich nicht, deine Wunde riecht gut.
Die Wunde stank natürlich höllisch und raubte Rith den Atem, aber tapfer stocherte sie einen Wurm um den anderen aus der Wunde und tröstete mit ihren freundlichen Worten gleichzeitig den Tiger.
Als sich schlussendlich der letzte Wurm auf dem Dorn wand, da fühlte sich der Tiger wie neugeboren. Als Rith nun wieder nach ihren Süßkartoffeln zu graben beginnen wollte, sprang unser Tiger auf sie zu und brüllte fröhlich: „Halte ein, meine Freundin, halte ein! Ich, ich, ich will dir dein Körblein füllen!“ Schnell schnappte er sich den Korb, füllte ihn bis zum Rand und darüber hinaus mit Gold und Silber und Edelsteinen und deckte ihn mit einem Tuch gut zu, damit auf dem Heimweg ja nichts verloren gehen würde. Denn auch unser Tiger wusste, dass junges Blut gerne mal aufwallt.
Bevor sich die beiden voneinander trennten, sprach der Tiger noch: „Mein Mädchen, trage diesen Korb mit Vorsicht nach Hause, rufe deine ganze Familie zusammen, schließe alle Fenster und alle Türen gut, so dass euch niemand sehen kann… und erst dann öffnest du den Korb! Hast du mich verstanden?“
Rith war zwar höchst erstaunt darüber – was sollte mit den Süßkartoffeln denn schon passieren – versprach dem Tiger aber, alles genau so zu machen, wie er es gefordert hatte. Dass der Tiger zum Abschied ein kleines Schreckbrüllen losließ, stellte bei Rith sicher, wirklich alles so zu machen, wie es gefordert worden war.
So trennten sich Rith und der Tiger von einander und jeder ging glücklich und zufrieden seines Weges.
Als Rith nun daheim ankam, rief sie ihre ganze Familie zusammen, verschloss Fenster und Türen… und öffnete voller Vorfreude auf das Lob über die vielen Süßkartoffeln den Korb.
Wie groß waren die Überraschung und das Geschrei und der Tumult und die Fragen, als statt der Erdäpfel die Schätze zum Vorschein kamen. Wie gut, dass keiner der Nachbarn dem Tohuwabohu zusehen konnte.
Schnell teilten sie das Gold und das Silber und die Edelsteine untereinander auf, lobten den guten, alten Tiger und gingen in ihre Häuser.
Es kam aber, wie es immer kommt. Nach einiger Zeit erfuhr eine der Nachbarsfrauen dann doch die ganze Geschichte, denn das Versperren der Tür und das Verdecken der Fenster waren natürlich nicht unbemerkt vor sich gegangen, die Neugier mit jedem Tag größer geworden… und schlussendlich die Wahrheit ans Licht gekommen.
Diese Frau hatte jetzt aber auch eine Tochter. Das arme Ding musste nun ebenfalls mit einer Schaufel und einem Korb in den Wald laufen, um dort Reichtum und Schätze zu ergattern.
Die Nachbarin zankte und schimpfte mit ihrem Kind, wie es so viele ehrgeizige Eltern mit ihren Kindern machen: „Du Dummkopf! Du faules Ding! Du Nichtsnutz! Nimm dir ein Beispiel an Rith! Sie läuft einmal schnell um ein paar Süßkartoffeln in den Wald und kommt mit Gold und Silber zurück. Und bei dir muss man schon froh sein, wenn du überhaupt aus dem Wald zurückfindest! Und wenn du mal Erdäpfel bringen solltest, dann bringst du auch nur Erdäpfel mit… und kein Gold!
Bis zum nächsten Tag hatte sich die Frau so in Rage geredet, dass sie ihre Tochter schon bei Sonnenaufgang um Süßkartoffel in den Wald schickte. Nun war aber das Mädchen nicht ganz so dumm wie die Mutter gesagt hatte. Kaum war es bei dem Hügel mit dem Loch angelangt, da warf es seine Schaufel ins Loch, heulte der Form wegen ein wenig und rief nach dem Tiger: „Tiger, Großväterchen Tiger, kannst du mir meine Schaufel aus dem Loch holen, dann will ich dir auch gerne die Würmer aus der Wunde holen.“
Der alte Tiger, den schon wieder die Würmer quälten, sprang in die Grube, warf schnell die Schaufel ins Gelände und schnurrte auch schon wohlig unter den Händen des Mädchens, denn Würmer können wahrlich lästig sein.
Kaum war der ärgste Schmerz weg, da kam die Eitelkeit des Tigers zutage und er fragte: „Mädchen, mein süßes Mädchen, sag mir ehrlich – stinkt meine Wunde sehr oder riecht sie gut?“
Und das Mädchen antwortete wahrheitsgetreu: „Großväterchen Tiger, deine Wunde stinkt ganz fürchterlich zum Himmel.
Der Tiger konnte gar nicht glauben, was er vernahm und fragte immer wieder: „Mädchen, mein süßes Mädchen, sag mir ganz ehrlich – stinkt meine Wunde sehr oder riecht sie gut?“ Und das Mädchen antwortete immer wieder: „Aber Großväterchen Tiger, ich habe dir doch schon gesagt, deine Wunde stinkt atemberaubend.
Der Tiger wusste gar nicht, wie ihm geschah, und ob die Würmer oder die seelische Verletzung den größeren Schmerz verursachten. Er ließ sich schnell den Korb bringen und grummelte mürrisch: „Hab Dank für deine Hilfe, ich werde dir den Korb mit Gold und Silber und Diamanten füllen.“ Und bevor sich die beiden voneinander trennten, sprach der Tiger noch: „Mein Mädchen, trage diesen Korb mit Vorsicht nach Hause, rufe deine ganze Familie zusammen, schließe alle Fenster und alle Türen gut, so dass euch niemand sehen kann… und erst dann öffnest du den Korb! Hast du mich verstanden?“
Und wie das Mädchen ihn verstanden hatte. Gierig riss es dem Tiger den Korb aus den Pfoten, rannte schnurstracks heim, rief seine ganze Familie zusammen, verschloss Fenster und Türen… und öffnete, schon voller Vorfreude auf das Lob über die vielen Reichtümer, den Korb.
Wie groß waren die Überraschung und das Geschrei und der Tumult als plötzlich Kobras aus dem Korb schossen, alle Anwesenden bissen und ihnen zusahen, wie sie jämmerlich starben.
Was lernen wir aus der Geschichte? Glück kann man nicht erzwingen. Wer unbedingt Glück haben will, der verliert alles. Wer sein Glück aber zwingen will, der sollte unbedingt gut lügen können.
Kurzversion: Die Geschichte von der Entstehung des Reihers
Da war einmal eine Mutter, die recht zufrieden verheiratet war und auf die Schnelle drei Töchtern gebar. Doch dann wechselte die Mama auf die Seite des Bösen – ein Dieb und Nichtsnutz hatte es ihr angetan. Und als ihr Mann das Zeitliche segnete, da ging sie ganz auf die dunkle Seite der Macht. Es war an der Zeit, ihre Töchter loszuwerden. Sie brachte sie in einen Wald und überließ sie dort ihrem Schicksal. Doch die Töchter taten ihr nicht den Gefallen zu verhungern, sondern begannen sich langsam in Reiher zu verwandeln. Zu guter Letzt packte die Mutter die Reue, sie eilte an den Ort ihrer Freveltat, erkannte auch ihre drei Mädchen wieder… doch ein Kommunizieren war schon nicht mehr möglich.
Die Geschichte vom Schlangenbiss
Der Tiger und das Krokodil stehen im kambodschanischen Märchen- und Sagenkreis als Synonyme für undankbare Menschen. Dem Hasen hingegen spricht man Weisheit zu, daher taucht er oft als Helfer der Menschen und als Richter auf.
Es war einmal… oder auch nicht… aber ganz sicher lange vor unserer und unserer Ahnen Zeit… ein Mann namens Chaov Sokh, der wusste, wie man Schlangenbisse giftiger Schlangen erfolgreich behandelt. Doch das sollte ihm nicht unbedingt zum Vorteil gereichen. Und das kam so. Ihm war das Brennholz ausgegangen, und so machte sich Chaov Sokh auf, um im nahegelegenen Wald Holz zu sammeln. Er fand hier einen toten Ast und dort einen dürren Stamm und war voller Freude, dass er bald genug Brennholz gefunden haben würde, um wieder einige Tage kochen zu können.
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