Das ein Walla und ein Kitsune miteinander befreundet waren, war keine Alltäglichkeit und das trotz ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Kennengelernt hatten sich die beiden bei Rasburys erstem Undercover-Einsatz. John war schon einige Jahre beim Nachtdienst gewesen, aber er hatte bis dahin nur einfache Aufklärungsmissionen übernommen. Diesmal war es jedoch anders. John sollte sich in eine Piratenbande einschleusen. Sich eine falsche Identität zuzulegen, fiel ihm nicht schwer, und natürlich unterstützte der Nachtdienst ihn tatkräftig. Allerdings war es eine kleine Herausforderung, in der Unterwelt herauszufinden, welche Gruppe hinter den regelmäßigen Überfällen auf die Kemet-Straße, eine wichtige Handelsroute des Imperiums, steckte.
Am schwierigsten gestaltete es sich jedoch, der Piratenmannschaft beizutreten. Yamato war damals der Erste Offizier auf der „Blutsauger“, dem Schiff der Piratenbande. Der Kitsune hatte John, trotz der Bedenken des Kapitäns, als Schiffsjunge angeheuert. Ohne Yamatos Eingreifen wäre die Mission vermutlich gescheitert und John hätte nie wieder eine Chance zu solch einer Mission bekommen.
Als der Geheimagent diese Hürde überwunden hatte und in das Piratenschiff aufgenommen worden war, war er auf sich allein gestellt. Weder der Nachtdienst noch sonst eine atlantische Behörde konnten ihm nun helfen. Ganze drei Monate war er auf der „Blutsauger“, die irgendwo durch die Galaxie trieb. Es gab keine Möglichkeit, mit seinen Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen.
Piratenschiffe waren meistens einsame, abgeschlossene kleine Welten. Wenn die Sternenräuber keine Versorgungsstationen oder Verstecke hatten, wo sie ihre Vorräte auffüllen konnten, wurde alles Lebensnotwendige an Bord erzeugt. Die „Blutsauger“ war so ein Selbstversorgerschiff. Dadurch besaß sie eine hohe Flexibilität, die ihre Angriffe so unbestimmbar machten. Doch alleine hätte sie niemals über ein ausreichendes Drohpotential verfügt, um große Handelsschiffe zu kapern. Deswegen schloss der Kapitän der „Blutsauger“ immer wieder lockere, kurzfristige Allianzen mit anderen Sternenräubern, wobei die „Blutsauger“ die Führungsrolle übernahm.
Der Piratenalltag war trist und brutal. Der Kapitän und sein Erster Offizier hatten mit den Dolor-Chips ein wichtiges Kontrollinstrument über die gesamte Mannschaft. Jeden Tag wurde jedem Sternenräuber durch dieses Implantat mindestens einmal ein schmerzhafter Schock verpasst, und sei es nur, um die Disziplin aufrechtzuerhalten. Harte, eintönige Arbeit bestimmte die Tage an Bord. Die wenigen Überfälle waren eine erfreuliche Ausnahme vom Arbeitsalltag, weshalb die gesamte Piratencrew ihnen entgegenfieberte.
Während seiner Zeit auf dem Piratenschiff war John der persönliche Untergebene von Yamato. Dieser pflanzte ihm keinen Dolor-Chip ein, denn er hatte auch so immer ein Auge auf ihn. In der langweiligen Abgeschiedenheit von jeglicher Zivilisation entstand so ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden.
Bei einem dieser Überfälle, für den die „Blutsauger“ mit drei weiteren Piratenschiffen zusammenarbeitete, gelang es John, sich Zugang zur Kajüte von Yamato zu verschaffen und von dort ein Funksignal an die imperiale Flotte zu senden. Als persönlicher Handlanger des Ersten Offiziers war es für ihn nicht schwer, sich unauffällig in dessen Kabine zu begeben. Noch während das atlantische Handelsschiff gekapert wurde, überraschte der eintreffende Flottenverband die unvorbereiteten Sternenräuber. Kaum einer konnte entkommen. Wer nicht in dem nun einsetzenden Beschuss durch die imperialen Kriegsschiffe umkam, wurde als Gefangener in eine der entlegenen Gefängniskolonien verfrachtet. Einzig John und Yamato schafften es in jeweils eine Rettungskapsel – und mit Yamato der Piratenschatz. Erst Monate später fand der Geheimagent seinen ehemaligen Vorgesetzten nach langem Suchen auf Miris, wo er mit Hilfe der erbeuteten Talente sein eigenes Teehaus eröffnet hatte.
John jedenfalls hatte den Fuchs nie an die Behörden verraten, als Wiedergutmachung für seinen Verrat an ihm. Die Mission jedenfalls war ein voller Erfolg gewesen und die Piratenangriffe auf die Kemet-Straße hatten nahezu gänzlich aufgehört. John wurde damals endgültig in den Rang eines Schattenmanns erhoben.
Seitdem hatte John hin und wieder Yamato in Miris besucht. Dabei hatte jeder andere Gründe für die Kontaktpflege. Dem Schattenmann schien es ratsam außerhalb des Nachtdienst über verlässliche Freunde zu verfügen. Während für Yamato die Vorstellung, eines Kontaktmann beim Nachtdienst, reizvoll war. Die Zeit auf dem Piratenschiff hatte sie zwar zusammengebracht. Doch erst danach konnten sie, unabhängig ihrer Lebensweise, Freunde werden.
Der Nachmittag zog so dahin. Yamato wurde nicht müde Rasbury eine Geschichte nach der anderen zu erzählen. Der Tee in Johns Tasse war schon lange kalt. Trotzdem führte er sie immer wieder zu seinem Mund, um einen kleinen Schluck zu nehmen.
John gab sich Mühe, den Erzählungen von Yamato weiter zu folgen, doch in Gedanken war er schon auf dem Weg zu Arnulf.
„Kennst du das, John?“, fragte Yamato.
„Hm?“
Aus seinen Überlegungen gerissen, schaute John den Fuchs fragend an.
„Ich fragte, ob du auch schon das Gefühl hattest, du wärst die einzige vernünftige Person in der Galaxie“, wiederholte Yamato seine Frage.
„Äh, ja. Manchmal“, antwortete John knapp und versank sogleich wieder ins Grübeln.
„Du wirkst etwas unkonzentriert. Geht dir etwas durch den Kopf?“
„Ach, nur unbedeutende Kleinigkeiten“, winkte Rasbury ab.
„Willst du noch etwas Tee?“, fragte Yamato. „Der in deiner Tasse ist doch schon ganz kalt.“
„Mach dir keine Umstände, ich werde jetzt sowieso aufbrechen.“
John stand auf und streckte seine Beine durch, die vom langen Knien eingeschlafen waren.
„Schon? Nun, dann will ich dich nicht aufhalten. Aber wenn du mich je wieder besuchen solltest, kündige dich bitte beim nächsten Mal vorher an.“
Draußen vor dem „Teekessel“ erhob Yamato seine rechte Hand zum Abschied. Der Abend brachte gerade eine frische Brise vom Meer mit sich, welche im Blätterdach des Hains ein sanftes Rauschen auslöste. Ohne große Worte trennten sie sich voneinander, weder John noch Yamato brauchten eine weitere Geste als Ausdruck ihrer Verbundenheit.
Auf seinem Weg zum Tempel schlenderte Rasbury durch die dämmrigen Gefilde des Hains. Mittlerweile hatte er wieder seine Tarnung als junger Ase aktiviert. Yamatos Vorsicht gemahnte ihn dazu. Sicher konnte er sich nie sein, darin musste er dem Kitsune Recht geben. Dem Nachtdienst war nämlich alles zuzutrauen und jede noch so unscheinbar wirkende Person konnte ein Schattenmann in Verkleidung sein.
Um das Waldstück fügten sich dicht an dicht allerlei Geschäfte, und neben dem „Teekessel“ besaß noch so manches andere Café am Waldrand eine breite Terrasse in den Hain hinein. Die hohen, breiten Stämme der Bäume wuchsen weit in den Himmel und überragten dabei die meisten Gebäude der Stadt. Fast alle Häuser in der näheren Umgebung lagen im Schatten der großen Gewächse. Gleich einem vielstimmigen Chor schallte das Gezwitscher der Vögel den Vorübergehenden nach und verkündete aus dem Innern des Hains eine andere Welt. Doch man musste sich hineinwagen, um diese zu entdecken. Einladend waren die Wege nicht, sie erinnerten mehr an ausgetretene Trampelpfade als an bewusst angelegte Steige. Und selbst die Gewissheit, dass sich im Herzen des Waldes ein Tempel befand, wo abgeschieden ein paar Druiden lebten, war keine große Ermutigung, den ersten Schritt ins Grüne zu wagen. Aber gerade wegen all dieser Umstände war der Hain ein idealer Ort für das Treffen mit Arnulf. Der Weg vor John war kaum noch zu erkennen. Schon zu lange lagen die Besuche von Erkenntnishungrigen zurück, so dass die Pflanzen die letzten Spuren eines Pfads bereits fast verdeckten.
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