Anblick: eine große Halle, so groß, dass sie so
breit und lang zu sein schien wie der ganze grüne
Hügel. Das Dach war von schönen Säulen getragen,
die waren so hoch, dass die Säulen einer Kathedrale
nichts dagegen waren; sie bestanden ganz aus Gold
und waren über und über mit Silber in getriebener Arbeit
bedeckt. Um die Säulen schlangen sich Blumengewinde
aus Diamanten und Smaragden und anderen
Edelsteinen. Sogar die Schlusssteine der Bogen waren
mit Bouquets aus Diamanten und Rubinen und anderen
kostbaren Steinen verziert. Und alle diese Bogen
vereinigten sich in der Mitte des Daches, und dort
hieng an einer goldenen Kette eine ungeheure Lampe,
die aus einer einzigen ausgehöhlten, durchsichtigen
Perle bestand. In der Mitte dieser Perle aber befand
sich ein riesig großer Karfunkel, der sich immerfort
im Kreise drehte und die ganze Halle durch seine
Strahlen erleuchtete, so dass es den Eindruck machte,
als würde sie von der untergehenden Sonne beschie-
nen.
An einem Ende der herrlichen Halle befand sich ein
wunderschönes Ruhebett, das ganz aus Sammt und
Seide und Gold bestand, und darauf saß Maid Ellen
und kämmte ihr goldenes Haar mit einem silbernen
Kamme. Als sie Junker Rowland sah, stand sie auf
und sagte:
»O Thor, auch du vom Hause fort!
Was willst du an diesem Ort?
Mein armer jüngster Bruder,
Schier bricht mir mein Herz um dich!
Und hättest du hundert Schwerter,
Dich rettet nicht Hieb noch Stich.
Ruh' aus! Doch wehe, wehe!
Dass jemals du wardst geboren,
Denn sieht dich der König von Elfenland,
So bist du ganz verloren.«
Dann setzten sie sich zusammen hin, und Junker
Rowland erzählte seiner Schwester alles, was er gethan
hatte, und sie erzählte ihm, wie ihre beiden Brüder
den finsteren Thurm erreicht hatten, wie der
König von Elfenland sie verzaubert hatte, so dass sie
nun da eingesargt lägen, als wären sie todt. Nach einiger
Zeit verspürte Junker Rowland großen Hunger
und bat seine Schwester, ihm etwas zu essen zu
geben; er hatte die Warnung des Zauberers Merlin
ganz vergessen.
Maid Ellen blickte ihn traurig an und schüttelte den
Kopf, aber sie war verzaubert und konnte ihn nicht
warnen. Sie stand auf und gieng hinaus und kam bald
mit einer goldenen Schale zurück, die mit Milch und
Brot gefüllt war. Und schon war Junker Rowland im
Begriff, die Schale an die Lippen zu führen; da sah er
seine Schwester an und erinnerte sich, warum er hergekommen
sei. Er schleuderte die Schale zu Boden
und sagte: »Keinen Bissen will ich essen, keinen
Tropfen will ich trinken, bevor Ellen frei ist.«
In diesem Augenblicke hörten sie jemand näher
kommen, und eine laute Stimme rief:
»Feh, fei, foh, fum,
Einen Christen wittere ich hier herum!
Er sei jung, er sei alt,
Mit diesem Schwert mach' ich ihn kalt.«
Die Flügelthüren wurden aufgerissen, und der König
von Elfenland stürzte herein.
»Thue es, wenn du es wagst,« rief Junker Rowland
und stürzte ihm mit seinem guten Schwerte entgegen,
das noch nie versagt hatte. Sie kämpften und kämpften
und kämpften, bis Junker Rowland den König von
Elfenland schlug, dass er auf die Knie sank und um
Erbarmen flehte.
Junker Rowland sagte: »Erlöse meine Schwester
von deinem Zauber, gib meinen Brüdern das Leben
wieder und lass uns alle frei fortziehen, so schenk' ich
dir dein Leben.«
»Ich willige ein,« sagte der König von Elfenland.
Er erhob sich und gieng zu einem Schranke, dem er
ein Fläschchen entnahm; das war mit einer blutrothen
Flüssigkeit gefüllt. Damit bestrich er die Ohren, Augenlider,
Nasenlöcher, Lippen und Fingerspitzen der
beiden Brüder, die sofort ins Leben zurückkehrten.
Sie sagten, ihre Seelen wären aus ihrem Leibe entschwunden
gewesen, seien aber nun wiedergekehrt.
Dann sprach der König der Elfen einige Worte zu
Maid Ellen, und sie war erlöst, und sie giengen alle
fort aus der Halle und kehrten dem finsteren Thurm
den Rücken, um nie wieder zurückzukehren. So
kamen sie nach Hause zu der guten Königin, ihrer
Mutter. Aber Maid Ellen gieng nie wieder in entgegengesetzter
Richtung zur Sonne um eine Kirche
herum.
Herr und Knecht.
Billy Mac Daniel, ein gutmüthiger, aber leichtsinniger
Geselle, gieng in einer klaren, frostigen Winternacht,
nicht lange nach Weihnachten, heim.
Der Vollmond schien hell, und es war die herrlichste
Nacht, die man sich nur wünschen konnte, aber es
war bitter kalt.
»Meiner Treu,« sagte Billy zähneklappernd, »ein
guter Tropfen wäre jetzt nicht ohne. Es friert zum Erbarmen.
Ich wollt', ich hätt' ein volles Glas vom Besten.
«
»Du brauchst den Wunsch nicht zweimal auszusprechen,
« sagte plötzlich ein Männlein. Das hatte
einen goldverschnürten Dreispitz auf dem Kopfe und
solche große silberne Schnallen auf den Schuhen,
dass es ein Wunder war, wie es sie ertragen konnte.
Es hielt ein Glas in der Hand, das war so groß wie
das Männlein selbst und bis zum Rande mit einem
Tranke gefüllt, wie ihn besser noch kein Auge gesehen,
kein Gaumen gekostet hatte.
Billy Mac Daniel erkannte sehr wohl, dass das
Männlein ein Kobold war, trotzdem sagte er furchtlos:
»Auf deine Gesundheit, Kleiner! Danke schön.
Ich frage nicht, wer die Zeche bezahlt.«
Und er ergriff das Glas und leerte es auf einen Zug.
»Wohl bekomm's!« sagte das Männlein, »gern geschehen,
Billy. Glaub' aber nicht, dass du mich betrügen
wirst, wie du Andere betrogen hast – heraus mit
dem Beutel und zahle, wie es einem Ehrenmanne
ziemt!«
»Ich dir bezahlen?« sagte Billy, »ich kann dich ja
in meine Tasche stecken wie eine Brombeere!«
Aber da wurde das Männlein sehr böse.
»Billy Mac Daniel,« sagte es, »sieben Jahre und
einen Tag wirst du mein Knecht sein, auf diese Art
werde ich mich bezahlt machen. Folge mir.«
Als Billy dies hörte, da bedauerte er sehr, so keck
gegen das Männlein gewesen zu sein. Er wusste
selbst nicht, wie es zugieng, musste aber dem Kobold
auf seiner Wanderung folgen, bergauf, bergab, über
Hecke und Graben, über Stock und Stein, ohne Ruh'
und Rast.
Als der Morgen graute, wandte sich das Männlein
zu ihm um und sagte: »Jetzt kannst du nach Hause
gehen, Billy, aber heute nachts kommst du zum Festungsgraben,
sonst geht's dir an den Kragen. Wenn
du dich aber als guter Knecht bewährst, dann wirst du
an mir einen nachsichtigen Herrn haben.«
Billy Mac Daniel ging heim, aber trotzdem er sehr
müde war, schlief er doch keinen Augenblick, so sehr
musste er an das Männlein denken. Er fürchtete sich,
ihm ungehorsam zu sein, und so stand er denn am
Abend auf und gieng zum Festungsgraben.
Er war noch nicht lange dort, als der Kobold auf
ihn zukam und zu ihm sprach: »Billy ich will heute
eine große Reise unternehmen, sattle ein Pferd für
mich und eines für dich, denn du sollst mich begleiten
und dürftest von deiner gestrigen Wanderung her
noch müde sein.«
Billy gestand sich, dass sein Herr sehr rücksichtsvoll
sei, und dankte ihm.
»Gestattet mir, Herr,« fügte er hinzu, »Euch zu fragen,
wo der Stall ist. Ich sehe nämlich nichts als die
Festung und den Dornbusch dort drüben, den Bach
am Fuße des Hügels und das Stück Sumpfland uns
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