Jeder, der es zu schätzen weiß, wie wunderbar Johns Lieder sind, die er gemeinsam mit den Beatles geschaffen hat, der sollte auch wissen, dass diese Stücke deshalb so gut sind, weil sie ebenso von Paul und George Martin, dem Produzenten mitgeprägt wurden. Paul passte besser zu George Martin, weil er direkter war als John. Er konnte sagen, ich will genau diesen Ton oder diesen Rhythmus. Und dann trommelte er ihn vor und Ringo trommelte ihn nach. John sagte eher: Spiel einfach los und probiere etwas aus, ich sage dann Bescheid, wenn es gut ist. Oder er drückte es in Metaphern aus: Ich will, dass es klingt wie ein buddhistischer Chor, der von einem Berg herab singt. Dann entschied er sich, an den Füßen festgebunden, von der Decke herabhängend zu singen. George Martin hatte dafür nicht immer Verständnis. Er duldete es aber, weil John auf seine Weise ein großartiger Künstler war. Der vielleicht wichtigste Punkt ist, dass sie allesamt sich auf Augenhöhe begegneten. Obwohl George Martin der viel Erfahrenere war, hatten John und Paul eine so enorme musikalische Ausdrucksstärke, dass dieser Unterschied aufgehoben wurde, sobald sie miteinander arbeiteten. Sie bewunderten sich gegenseitig. Sie ergänzten sich. Sie waren Freunde und Brüder. Natürlich waren sie auch Konkurrenten, aber eher im positiven Sinne. John spielte manchmal gerne den Chef und trieb die Gruppe damit an: „Wo gehen wir hin, Jungs?“ und die anderen antworteten: „An die Spitze, Johnny, ganz nach oben!“ Paul stand dadurch immer ein wenig im Schatten dieser Präsenz, aber dieses Bild entstand nur durch die Darstellung in den Medien. Die Beatles versuchten sich von den Medien nicht derart beeinflussen zu lassen, dass alles, was geschrieben wird, auch wahr wird. John und Paul waren Freunde, die sich gegenseitig sehr wichtig waren. Sie waren gemeinsam so stark, dass sie zunehmend selbst die Regie über ihre Musik übernahmen. Ihr Management und die Produktionsfirma wurden zunehmend unwichtig. Sie waren so gesehen nur das Mittel zum Zweck gewesen, dorthin zu kommen, wo sie jetzt waren, und sie wurden nun nicht mehr gebraucht. Natürlich stimmt das nicht hundertprozentig, aber sie waren sich dieser Tatsache durchaus bewusst und ließen die Beatles gewähren. Das gilt übrigens für alle Beatles, denn neben John und Paul waren auch George und Ringo sehr starke Persönlichkeiten. Sie machten gute Musik miteinander und respektierten sich. Und sie respektierten jeden anderen, der gut war. „Hey, Eric, du machst einen tollen Sound, komm vorbei und spiel mal bei einer Session von uns mit!“ „Was, die Beatles wollen, dass ich mit ihnen spiele? Ich mach mir in die Hose! Aber warum eigentlich nicht?“ Die Session war super. Zwar entstand nicht sofort veröffentlichungsfähiges Material, aber man konnte durchaus darauf aufbauen. Eric Clapton spielte dann während den Aufnahmen zum weißen Album auf Georges while my guitar gently weeps die Leadgitarre. Später wird er John bei seinen Soloaktivitäten unterstützen. Es ist schon erstaunlich, dass George von seiner süßen Gitarre singt, aber seine gar nicht zu hören ist. Aber es hat zusammengepasst, das ist das wichtige. Die Kunst stand im Vordergrund, nicht die Persönlichkeit. Niemand wollte sich profilieren, vorerst zumindest nicht. Sie wollten gemeinsam etwas erschaffen, und jeder, der etwas zu diesem Projekt beitragen konnte, war willkommen und eingeladen mitzumachen. Sie arbeiteten intensiv an der Umsetzung ihrer Stücke, egal, ob sie von John, Paul, George, oder wie in zwei seltenen Fällen sogar von Ringo waren. John ging genau wie alle anderen in diesem Projekt auf. Er liebte dem Umgang mit anderen Menschen und war voller Enthusiasmus dabei. Leider hielt dieser Zustand nicht ewig an. Die Art zu arbeiten und mit anderen Menschen umzugehen hat John beibehalten. Zwar waren in seinen Soloprojekten nicht mehr alle Musiker so gleichberechtigt wie bei den Beatles, aber es war immer etwas von diesem Charisma zu spüren, wenn John im Studio war. Da war ein Beatle, der Musik macht!
Es gibt in der Millionenstadt London eine Attraktion, die nur ein einziges Mal auf der Welt existiert. Kurioserweise handelt es sich nicht um ein Gebäude wie Big Ben, den Tower oder den Piccadilly Circus. Es ist auch nicht Madam Toussaut, in dem neben vielen anderen natürlich auch Wachsfiguren der Beatles ausgestellt sind, oder ein anderes Etablissement. Im Grunde genommen kann man noch nicht einmal sagen, dass es sich dabei wirklich um ein Objekt handelt, obwohl davon wahrscheinlich Tausende in jeder Stadt auf der ganzen Welt anzutreffen sind. Bei diesem einen seiner Art, das sein Dasein im allgemeinen durch weiße Farbe erlangt, gibt es sogar eine Webcam, die es für Jedermann 24 Stunden am Tag möglich macht, es im Internet zu beobachteten. Es handelt sich um den berühmtesten Zebrastreifen der Welt, der vor dem Londoner Aufnahmestudio der Beatles über die Abbey Road in London führt und der auf dem gleichnamigen Album der Beatles abgebildet ist, während die Beatles ihn gerade überqueren. Das nicht viel weniger berühmte Aufnahmestudio, in dem fast sämtliche Beatlesaufnahmen entstanden, sind die Abbey Road Studios, die wegen der nach wie vor hohen Auslastung bis heute nicht für den Publikumsverkehr freigegeben sind. Es konnte sich aber auch lohnen, einfach ein Weilchen vor der Tür zu verbringen. Denn es war tatsächlich ein mögliches Szenario, dass plötzlich Paul McCartney vor die Tür kam und fragte: „Hat eine der Damen Lust, bei einem unserer Stücke als Background mitzusingen?“ So wurde für die zwei Beatlefans Lizzie Bravo aus Brasilien und die einheimische Gayleen Pease nahezu ein Traum wahr, als sie 1968 durch diesen Umstand bei der Produktion von across the universe mitwirken durften. John fand das zuerst gar nicht lustig, denn er hatte erwartet, dass Paul professionelle Musiker besorgen würde, und er hegte den Verdacht, dass Paul seine Kompositionen manipulieren wollte. Lizzie und Gayleen machten sich aber nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut, was bei ihrer Nervosität, die sich bei jedem eingestellt hätte, der von den Beatles spontan zu einer Aufnahmesession geholt worden wäre, nur verständlich war, und John gab zwei Freundinnen von Lizzie später ein Autogramm auf ein Foto, das Lizzie von ihm gemacht hatte und dankte ihr herzlich für ein tolles Jahr. Warum er das so schrieb, ist unbekannt, aber gerade für Lizzie, die, nachdem es absehbar wurde, dass die Beatles sich auflösen würden, nach Brasilien zurückging, muss es sich tatsächlich um ein tolles Jahr gehandelt haben, weil es alles andere als selbstverständlich war, den Beatles für einen Tag lang so nahe zu kommen. Und so konnte es geschehen, dass ein einzigartiger Tag, der damit begonnen hatte, dass jemand über den Zebrastreifen auf der Abbey Road zu den Aufnahmestudios der Beatles gegangen war, einen einzelnen Menschen für ein ganzes Jahr beflügelt.
Musik wird sprichwörtlich dadurch erfolgreich, dass sie beim Zuhörer einen Nerv trifft, der im Resultat emotionale Gefühle wie zum Beispiel Spannung, Trauer oder Freude auslöst. Eines von Johns großen Talenten war, dass er insbesondere zusammen mit den Beatles, aber auch alleine, Musik schaffen konnte, die genau diese Anforderung für ein sehr breites Zuhörerspektrum erfüllte. Das ging sogar soweit, dass sämtliche musikalischen Experimente, die er zusammen mit Yoko durchführte, in Kauf genommen wurden, weil immer auch ein Stückchen John für das Publikum dabei abfiel. Ein gutes Beispiel dafür ist der erste Liveauftritt, den John ohne die Beatles absolvierte, und der der Welt das erste Livealbum eines Beatles überhaupt bescherte.
Im September 1969 fand im kanadischen Toronto eines der großen Rock-Festivals dieser Zeit statt. Mit einem eintägigem 12-stündigen Programm, bei dem neben Rocklegenden wie Chuck Berry, Little Richard und Jerry Lee Lewis auch Vertreter einer neuen Generation von Künstlern wie Alice Cooper und The Doors angekündigt waren, wird es gelegentlich als die kleine Schwester des Woodstock-Festivals angesehen. Leider verkauften sich die Karten bis wenige Tage vor dem Termin sehr schlecht, weshalb die Organisatoren auf die Idee kamen, bei Apple anzurufen und John und Yoko zu fragen, ob sie die Schirmherrschaft für das Festival übernehmen wollten. John sagte unter der Bedingung zu, dass er dann aber auch dort spielen wolle, was einer Sensation gleichkam, denn seit 1966 hatte kein Beatle mehr auf einer öffentlichen Bühne gestanden. Als die lokalen Radiosender darüber informiert wurden, hielten viele diese Meldung zunächst für einen Scherz und erst als die Organisatoren die Flugtickets mit den Namen der Mitglieder von Johns Plastic Ono Band öffentlich zugänglich machten, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Bis sich die Festivaltore vor dem Stadion der Universität von Toronto öffneten, waren alle 25 000 Karten innerhalb eines Nachmittags ausverkauft. John hatte kurzentschlossen Klaus Voormann, Eric Clapton und Alan White zusammengetrommelt und sie probten ein paar Stücke im Flugzeug auf dem Weg von London nach Toronto.
Читать дальше