»In zwei Zeiteinheiten in meiner Privatkabine«, knurrte der Gorgh dem weiblichen Funkoffizier zu, der sich zum Gehen wandte. Der Offizier nickte demutsvoll. Das Weibchen war paarungsbereit, dennoch schockiert von dem Wunsch des Herrschers. Wenn der Herrscher sich in einer derart aufgewühlten Phase befand, endete der Akt für das Weibchen nicht selten tödlich. Das Glühen in den Augen des Gorgh verhieß das nahende Schicksal, doch der Offizier widersprach nicht. Gehorsam bis in den Tod, so lautete das Motto der disziplinarischen Dienstpflicht.
Nach drei Stunden nahm die verbliebene Flotte der fünfhundert Generationenschiffe Fahrt auf, hielt sich jedoch mit Unterlichtgeschwindigkeit im Raum. Das Gefüge des Raum-Zeit-Kontinuums wurde stark erschüttert, als in zweihundert Lichtjahren Entfernung eine gewaltige Armada aus dem Zwischenraum heraus materialisierte. Eine Stunde später traf sich die gewaltige Flotte zum Rendezvous im Weltall. Informationen und Befehle wurden ausgetauscht, bevor diese in den scheinbar größten Krieg ihrer Geschichte zog. Ihr Gegner war eine Rasse, die den Krieg verabscheute und keine materiellen Waffen besaß. Diese Tatsache traf die Herrenrasse der Mortlats bis zum tiefsten Kern ihrer Seele. Um Ehre und Stolz wiederherzustellen galt es, die Weichhäutler aus diesem Universum zu tilgen.
Die Menschheit auf dem Planeten Erde, Lichtjahre entfernt, bisher unbeachtet vom kosmischen Geschehen und vollkommen ahnungslos, hätte aufgrund seiner jungen Kultur nicht einmal gegen ein einziges jener Gigantenschiffe nur die Spur einer Chance zur Gegenwehr.
Die Menschheit ahnte nichts von dem drohenden Inferno.
»Es ist Wahnsinn, was du zu tun gedenkst, Schwester«, drang das Kollektiv der zargonischen Überlebenden auf sie ein. »Du gefährdest dein Ego sowie die Frucht. Du darfst dich nicht allzu sehr vergeistigen. Was du getan hast war gefährlich genug, wir hätten dich fast verloren. Du brauchst Ruhe.«
Carai wusste, dass die Sorgen ihrer Gefährten berechtigt waren. Aber einmal mehr erkannte sie, dass sie gegen den Willen ihres Volkes handeln musste, um an das Ziel zu gelangen.
»Ihr habt recht«, gab sie zurück. »Aber sagt mir bitte, was ich tun soll. Ich weiß nicht mehr, an welchem Ort ich mich befand, als ich mit Zodiacs Ego zusammentraf. Nur die Einkehr in das innere Selbst kann mich führen. Mir ist bewusst, dass eine derart intensive Meditationsphase meine Kräfte auszehrt, und ich vergesse auch nicht das Leben in mir. Aber wir beide sind nur unvollkommene Teile ohne IHN. Er ist in großer Gefahr, und vielleicht sind alle Bemühungen umsonst. Aber solange ich fühle, dass er noch lebt, muss ich handeln. Uns bleibt keine Zeit zum Ruhen, Brüder und Schwestern. Ich muss das Schiff manuell steuern, während mein Ego die Entfernung durch die Unendlichkeit zu überwinden sucht. Es bleibt in meinem Körper, Freunde, eine weitere Trennung würde ich nicht überleben. Aber mein Geist muss sich erinnern, die unendliche Ferne spüren, die Pfade finden, die es beschritt und fluchtartig wieder verließ. Ich bitte euch, mich nun nicht mehr zu stören. Ihr wisst selber, dass ihr damit mein Ego gefährden würdet.«
Sie spürte, wie ihre Artgenossen sich zurückzogen, sich abkapselten und eine Art Beratung durchführten. Nach längerem Warten spürte sie erneut Kontakt.
»Wir verstehen deine Beweggründe, Schwester, finden es aber traurig, wie du Raubbau mit deinen Kräften treibst. Du lässt dich nicht bekehren, und wir wollen es auch gar nicht mehr. Du bist anders als wir, ebenso wie Zodiac es ist. Ihr seid eine neue Generation, die leben muss, damit unser Volk weiterbesteht. Wir haben dich als Führerin unseres Volkes ausgewählt, Carai. Es ist wichtig für unsere Art, dich nicht zu verlieren. Deshalb werden wir bei dir sein, wohin dein Weg dich auch führt. Viel Glück, Schwester.«
Carai empfand tiefste Rührung bei diesen Worten. Die Ehrung, die ihr zuteilwurde, bürdete ihr gleichzeitig alle Verantwortung für die Zukunft auf. Sie durfte nicht scheitern bei dem, was kommen würde. Eine Zeitlang ließ sie den Gedanken, die Geschicke ihres Volkes weiterleiten zu dürfen, auf sich einwirken. Die stärkenden Impulse des Kollektivs drangen auf sie ein und stärkte sie.
Ihr Körper erschlaffte, doch die Hände lagen an den Kontrollen des Steuerpults. Die Koordination von Seele und Leib war der schwierigste Bestandteil ihres Vorhabens. Doch nur auf diese Weise konnte sie den Weg durch die Unendlichkeit finden, der sie zu dem Geschöpf führte, das sie liebte. Zodiac.
2.
Anders lief schnellen Schrittes auf den Helikopter zu, der mit laufenden Rotoren auf ihn wartete. Der Pilot war ein Agent Crimleys, so dass Anders sein Vorhaben, vor der Rückkehr ins Pentagon noch einen Abstecher nach Tretmond zu unternehmen, wagen konnte. Das Projekt »Moonshine« schien aufs Äußerste gefährdet. Der Kontakt mit Crimley vor wenigen Minuten hatte den hohen Staatsbeamten alarmiert. Dem Geheimdienstchef blieb nichts anderes als einzugestehen, dass einer der extraterrestrischen Gefangenen sich auf spektakuläre Weise zu befreien vermochte. Die Auswertung der Videoaufnahmen belegten, dass jenes rätselhafte plasmaartige Geschöpf, welches in Atlanta ein grausiges Spektakel vor den Augen vieler Zeugen inszenierte, nicht unbeteiligt war. Das Auftauchen eines weiteren Mortlats und seine Ermordung wiesen auf einen Krieg hin, der sich vor ihrer aller Augen abspielte. Dessen Zusammenhänge und Hintergründe konnte man bislang nicht einmal erahnen.
Anders durchschaute Crimleys Arglosigkeit und ahnte, dass dieser die Sache lange nicht so im Griff hatte, wie es den Anschein gab. Ihm war bewusst, ein Risiko einzugehen, das Gelände zu betreten. Er war eine wichtige Figur, sein Leben galt als besonders schützenswert. Doch es galt in den nächsten Stunden schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, bevor das Komplott entdeckt wurde. Der Präsident war bereits mehr als misstrauisch, doch sein Vertrauen zu Anders verhinderte bisher schlimmere Folgen.
Anders nahm neben dem Piloten Platz und zog überrascht die Augenbrauen hoch, als er einen Mann aus einem der Hangars stürmen sah. Die Worte, die ihm dieser Mann entgegenbrüllte, ließen ihn bis tief in die Haarwurzeln erblassen.
»Sir, wir haben einen Code Black. Sir ...«
Anders befahl dem Piloten, sich in Bereitschaft zu halten. Er sprang aus der Kabine und rannte dem Uniformierten entgegen.
»Ich hoffe, Sie erlauben sich keinen Scherz, Mann.«
Der Mann schüttelte den Kopf. Sein Gemütszustand war aufgewühlt. Er war Sonderoffizier und wusste um die Bedeutung des Codes.
»Das ist kein Scherz. Wir erhielten soeben die genauen Daten aus Tretmond. Das Objekt konnte sich unter einem Tarnschild verbergen und so unbeobachtet in die Atmosphäre eindringen. Es rast mit mehreren tausend Kilometern in der Stunde auf Tretmond zu. Die Zielkoordinaten wurden mit 99,99% Wahrscheinlichkeit berechnet. Die Station wurde außerdem von einem Peilsignal getroffen, das eindeutig von dem Objekt kam. Wer immer in dem Schiff sitzt, er weiß von der Existenz des Moonshine-Projektes. Die Pulser starten in drei Minuten, gemäß der obersten Prioritätsordnung im Code Black.«
» EinObjekt, sagen Sie?«
»Ja, Sir, aber wie gesagt, das Ding konnte im Mantel der Unsichtbarkeit unbe ...«
»Ich möchte die Existenz der Pulser lange als möglich geheim halten. Die US-Airforce hat ihre Staffeln sicher schon in der Luft. Die neuen Stealth-Bomber werden sicher eingesetzt. Ich möchte außerdem sofort mit McCormick sprechen.«
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