Alle außer Rob stimmen mir zu. Es ist nicht zu übersehen, dass er mir den Wahnsinn an den Hals wünscht. Damit würde ich ihm vor den anderen einen guten Grund liefern, mich abzuknallen. Ich enttäusche ihn nur zu gerne. Heute verliere ich meinen Verstand nicht, aber wer weiß schon, was uns morgen erwartet?
Wir setzen uns in Bewegung. Jules holt auf und läuft an meiner Seite.
„Schön, dass du wieder bei uns bist“, flüstert er und hinter seinem Lächeln sehe ich den Kummer, den ich zu verantworten habe. Mal wieder.
„Ich werde bleiben, so viel steht fest“, antworte ich. Meine Gedanken kreisen um die Worte Solange ich es kann . Dann wende ich mich an die Gruppe und sage: „Hank kennt diesen Ort, mit all seinen schönen Ecken, und bestimmt auch einen Platz unter den Sternen, wo wir die Nacht verbringen können, richtig Hanky Boy? Du solltest uns ab hier führen. So kommen wir schneller voran.“
Ich sehe Tränen in seinen Augen und mit einem Kloß im Hals sagt er: „Ich weiß genau, wo wir lang müssen.“
Oh, sweet Ruby, wir werden dich nie vergessen.
Es wird alles andere als ein gemütlicher Spaziergang. Wir hetzen quer durch den Park, dicht hinter Hank, der mit seinem Stecher abwechselnd nach links und rechts zielt. Das Unterholz knackt und die Stinker kommen plötzlich von allen Seiten auf uns zu. Ihr Röcheln, Knurren und Fauchen ist überall und ich weiß nicht, wohin ich meine Aufmerksamkeit zuerst richten soll. Ich bleibe dicht bei den anderen, halte Olivias schwitzende Hand und hoffe, dass Hank das Ziel kennt. Momentan sieht es leider nicht so aus.
Bei jedem Schuss höre ich, wie einer der Stinker zu Boden geht. Es dämmert und auf Jules’ Shirt erkenne ich schwarzes Blut. Er hebt die Waffe, brüllt mir etwas zu, aber ich kann ihn nicht verstehen. Meine Ohren beginnen zu klingeln, als Jules in meine Richtung zielt und einen Stinker erledigt, der gerade seine Zähne in mein saftiges Fleisch schlagen will. Gottverdammt, ich pinkle mir noch in die Hose! Seit wann ist mein Bruder ein so guter Schütze und warum halte ich keine verfluchte Waffe in den Händen?!
Ich stolpere über den Untoten und reiße Olivia mit, die mit einem Schrei auf mir landet. Für Entschuldigungen bleibt keine Zeit, denn drei weitere Zombies haben uns gewittert und steuern schlurfenden Schrittes auf uns zu. Hektisch zerre ich Olivia von mir runter, helfe ihr auf und ramme dem ersten Untoten meine Faust ins Gesicht. Mein Schlag drückt die Hälfte seiner hässlichen Visage ein und er fällt zu Boden. Von meiner Hand tropft Zombieschleim, aber den Ekel verschiebe ich auf später, denn das Adrenalin pumpt durch meinen Körper und mit einem heftigen Tritt gegen das Knie stürzt der zweite Stinker. Ich stelle mir vor, sein Kopf wäre ein Fußball und kicke mit Schwung gegen seine Schläfe, als ginge es um die Weltmeisterschaft. Dieser Zombie wird nicht mehr aufstehen, so viel steht fest.
Es ist eine Gruppe von ungefähr zehn Zombies, die uns angreift und für meinen Geschmack sind das zu viele auf einmal. Ich brülle Judith zu: „Los, knall sie ab!”
Peng, peng, peng! Drei weitere Zombies gehen zu Boden und wir rennen um unser Leben. Olivia stört sich nicht am Schleim, ergreift meine Hand und drückt sie so fest, dass ich kein Gefühl mehr in der Rechten verspüre. Egal, wir müssen hier weg.
„Haaaaaank“, rufe ich und entdecke ihn ein paar Schritte vor uns.
Sein Ast ist zerbrochen. Der Stecher hat leider nicht lange gehalten, aber das war zu erwarten. Ich schaue mich nach allen Seiten um und sehe Jules, Bob, Judith und Rob, die uns den Weg freischießen.
Wir laufen, schießen, laufen, fluchen und laufen noch mehr, bis wir endlich ein großes Gebäude entdecken.
Fuck, das wurde aber auch langsam Zeit, denke ich und zusammen mit Olivia renne ich noch schneller auf das Gebäude zu. Je näher wir kommen, desto deutlicher sehe ich den Zaun, der das Grundstück eingrenzt. Ein verdammt hoher Zaun. Die Situation wird immer verzwickter, denn ich kann genauso gut werfen wie klettern, außer es handelt sich um einen Baum mit vielen tief hängenden Ästen.
Hank hechtet als Erster über den Zaun, gefolgt von Judith und Jules, die das Hindernis mit erschreckender Behändigkeit bewältigen. Auch Bobby und Rob machen eine gute Figur. Sie sind nicht ganz so schnell, aber auch für sie ist der Zaun kein Problem. Ich helfe Olivia und gebe ihr einen Schubs, den sie überhaupt nicht benötigt. Sie klettert wie eine kleine Spinne hinauf und auf der anderen Seite sicher wieder hinab. Super, ich bin die Letzte, die auf der falschen Seite des Zauns steht, und das Stöhnen, Ächzen und Sabbern der Untoten rückt immer näher.
„Julie, worauf wartest du?“, brüllt Jules und winkt mich heran. „Nun mach schon. Mach schon!“
Meine Hände greifen in das Gitter und ich versuche, mich hochzuziehen. Meine Beine finden keinen Halt. Verdammt, wie haben die anderen das gemacht? Es sah so leicht aus, aber ich komme keinen Schritt voran. Meine Arme beginnen zu zittern und mit der Angst im Rücken werde ich immer hektischer.
„Julie! Beeil dich doch!“, aus Bobs Stimme höre ich einen nervösen Unterton heraus. Das kann nur bedeuten, dass ich echt in der Klemme stecke und mich besser nicht umdrehen sollte. Das ist auch nicht nötig. Ich kann den schlechten Atem der Zombies bereits riechen.
„Ich bin gleich da“, antworte ich und hänge wie ein nasser Sack am Gitter.
Können Zombies denken? Im Grunde ist das egal. Ich präsentiere mich hier so offensichtlich, dass die Untoten nicht denken müssen.
Frisches, abgehangenes Fleisch. Bitte zugreifen!
„Julie, Julie, Julie!“
Alle brüllen meinen Namen. Vielen Dank für eure Unterstützung, aber davon klettere ich auch nicht geschickter. Ich versuche es immer wieder, doch meine Füße finden keinen Halt. Von mir bekommen sie keine Antwort, denn ich möchte, dass meine Freunde mich in guter Erinnerung behalten. Würde ich jetzt etwas sagen, wären meine letzten Worte „Haltet die Fresse, ihr Arschgesichter!“
„Das ist doch nicht zu fassen!“, ruft Jules.
Mit zwei Sätzen springt er auf die andere Seite, packt beherzt meinen Hintern und drückt mich nach oben. Ich begehe den Fehler, mich umzudrehen. Da stehen sie, keine fünf Schritte von uns entfernt, mit grauen, bleichen Augen und sehr hungrig.
„Bist du blöd? Ich schaff das“, maule ich meinen Bruder an, der schnaubend den Kopf schüttelt.
„Oh ja und wie“, pflichtet er mir bei. „Aber nicht mehr heute, Schwesterherz. Du warst auch schon besser in Form. Geh mal trainieren! Das hier ist die verdammte Apokalypse und dir wird gleich der Arsch abgebissen!“
„Halt die Fresse!“ Ups, jetzt habe ich es doch gesagt.
„LECK MICH!“ Ein letzter, kraftvoller Schubs und ich sitze auf dem Zaun.
Ich schwinge das zweite Bein rüber, verliere den Halt und plumpse wie ein nasser Sack auf den Boden. Das war alles andere als elegant und dazu noch schmerzhaft. Alle blicken auf mich herab, aber niemand sagt etwas.
In letzter Sekunde rettet auch Jules sich auf die andere Seite. Faulige Finger greifen durch das Gitter und über das Stöhnen, Fauchen und Gurgeln vergesse ich den Schmerz und laufe mit der Gruppe zu dem Gebäude.
„Danke.“ Ich hole auf und renne neben Jules. „Und Entschuldigung, kleiner Bruder.“ Meine Hand greift nach seiner.
„Lauf lieber, ich trag dich nämlich nicht.“ Er grinst und drückt meine Hand.
Hank ist als erster vor Ort, öffnet das Tor und einer nach dem anderen hechtet hinein. Als alle drin sind, schließen Hank und ich den Eingang und sinken völlig außer Atem zu Boden.
Ich klopfe ihm auf die Schulter. „Gut gemacht, Hanky Boy. Tut mir leid, um deinen Stecher . Er war mir ganz sympathisch“, sage ich hechelnd.
Читать дальше