„Können wir wenigstens in die andere Richtung laufen? Bitte?“
Hank ist so wütend, dass er sich einen Dreck um mich schert.
Es raschelt im Gebüsch und mein Herz pumpt, bevor ich überhaupt weiß, was los ist. Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr und mir wird heiß und kalt zugleich. Hank hört und sieht nichts, er ist noch völlig in seiner Wut gefangen. Egal, was es ist, ich höre auf mein grummelndes Bauchgefühl, gewinne an Tempo und rufe atemlos: „Achtung!“
Im Lauf stoße ich Hank beiseite und hoffe, dass es sich bei dem Geräusch nur um ein Eichhörnchen handelt.
Aus dem knackenden Unterholz kommen wankende Schritte, die immer schneller werden, je besser sie die potenzielle Mahlzeit wittern können. Der Untote verliert keine Zeit, stürzt sich stöhnend und knurrend auf mich und reißt mich mit seinem Gewicht zu Boden. Ich habe meine liebe Mühe, mir den Stinker vom Leib zu halten.
„Fick dich! Warum kannst du kein flauschiges Eichhörnchen sein?“, krächze ich dem Zombie ins Gesicht, das viel zu nah an meinem ist.
Schwarzes, geronnenes Blut kleckert auf mein Hemd und aus seinem Mund ergießen sich Gerüche, die ich nur mit einem Ugh beschreiben kann. Meine Hände liegen um seinen Hals und ich drücke zu, lache über mich selbst, und versuche dann lieber, ihn von mir runter zu bekommen. Der Zombie verfolgt seine eigenen Pläne und ist wild entschlossen, von meinem Fleisch zu kosten.
Sein linker Arm ist abgefressen, zu meinem Glück, denn so hat er Mühe, mich zu packen. Mit einer Hand halte ich ihn an der Kehle zurück und mit der anderen wehre ich seinen Arm ab. Mit letzter Kraft versuche ich, ihn von mir zu stoßen, aber die Nächte auf dem Boot fordern ihren Tribut. Ich weiß nicht, wie lange ich dem Zombie noch standhalten kann.
„Hank?“, rufe ich und hoffe, dass er sich beim Sturz nicht den Kopf angeschlagen hat. „Bist du noch sauer auf mich?“
Der Zombie reagiert auf meine Stimme und wird aggressiver. Sein Maul öffnet sich und ehe ich mich versehe, spuckt er mir eine gelbe Flüssigkeit ins Gesicht. Vor Ekel muss ich mich übergeben.
„Dich habe ich nicht gemeint, du Stück Dreck“, presse ich hervor und denke gleichzeitig, dass sechs Tage auf einem Schlauchboot bei Weitem nicht so schlimm sind wie das hier.
Mit einem Ruck rollt der Zombie von meinem Körper. Einen Moment bleibe ich liegen und schaue zu Hank hinauf, der einen langen Ast in Händen hält. Ich blicke zur Seite und sehe, dass das untere Ende im Kopf des Untoten steckt. Gelbe Flüssigkeit sickert aus seinem verfaulten Mund und von dem Verwesungsgeruch wird mir übel. Mit einem schmatzenden Geräusch zieht Hank den Ast heraus und streckt mir seine Hand entgegen. Bevor ich sie ergreifen kann, übergebe ich mich erneut.
„Für eine rothaarige Schlampe hast du einen ganz schön empfindlichen Magen.“
Ich lasse das unkommentiert, dazu fehlt mir im Moment die Kraft. Stattdessen sage ich schlicht: „Danke, Hanky Boy.“
Hank nickt verkniffen und nimmt mich ohne Vorwarnung in den Arm.
Sofort spüre ich, wie Panik in mir aufsteigt. Mein Körper nimmt automatisch eine Abwehrhaltung ein und versteift sich. Mit menschlicher Nähe komme ich nicht zurecht und mit Berührungen noch weniger. Ich kneife die Augen fest zusammen, halte die Luft an und zähle von drei an rückwärts.
3 - 2 - 1.
Hanks Umarmung löst sich. Gott sei Dank, sonst hätte ich ihm wehgetan und das, nachdem er mich gerettet hat.
„Um deine Frage zu beantworten: Ja, ich bin noch sauer auf dich.“ Er verzieht das Gesicht und will offensichtlich böse aussehen, aber es erinnert eher an ein dringendes Bedürfnis.
„Pass auf, dass es nicht in die Hose geht“, sage ich und Hanks Gesicht wird plötzlich rot.
„Hey, das ist der böse Blick!“, antwortet er empört. Wir lachen und er fügt hinzu: „Ich werde drüber hinwegkommen.“
Ob er unseren Streit oder den Verlust von Ruby meint, kann ich nicht sagen. Vielleicht ja beides.
„Meinst du, er war alleine unterwegs?“
„Sie sind nie alleine unterwegs.“ Ich blicke auf mein Hemd und stelle fest, dass es ruiniert ist. Überall klebt schwarzes Blut und Kotze.
Du bist am Leben, Julie Mond, nur das zählt.
Wir laufen zu den anderen zurück, die mit geschulterten Rucksäcken auf uns warten. Mir kommt es so vor, als wären wir Stunden weg gewesen, aber es waren nur ein paar Minuten. Ein paar schreckliche Minuten, die mich das letzte bisschen Kraft gekostet haben.
„Scheiße! Was ist …?“, beginnt Jules.
„Seid ihr alle ausgeruht?“, unterbreche ich meinen Bruder, um die jüngste Begegnung mit dem Zombie nicht weiter zu vertiefen. Der vertraute Geruch der Angst steigt mir in die Nase, als ich von einem zum anderen schaue. „Wir müssen weiter, und zwar schnell.“
Rob begutachtet mich von unten bis oben und sein Blick verweilt viel zu lange auf meinen Brüsten. Wie ich dieses verdammte Schwein hasse!
Unter seinem fetten Bauch lugt ein Waffengürtel hervor, daran hängen ein Holster und vier weitere kleine Taschen. Das Arschloch hat sich bestens ausgestattet, während Judith und Jules sich mit einer Pistole aus seiner Waffensammlung begnügen müssen. In diesen Zeiten wird Großzügigkeit sehr klein geschrieben.
Warum geben die, die am meisten besitzen, am wenigsten? Die Frage schwirrt in meinen Kopf herum und die Stimme meines Vaters antwortet: „Wie soll man es sonst zu etwas bringen? Macht gehört denjenigen, die sich über das Schicksal der anderen keine Gedanken machen.“
Ich schlage gegen meinen Kopf, will ihn nicht hören, aber sein Lachen weigert sich zu verstummen. Kein guter Zeitpunkt für beschissene Ratschläge. Und kein guter Zeitpunkt für längst verstorbene Stimmen!
Ich bin nicht wie du! Ich bin besser!
Hank tritt an meine Seite und legt eine Hand auf meine Schulter. Sein Mund öffnet sich, aber statt seiner Stimme höre ich die unheilvollen Worte meines Vaters: „Du bist nicht besser. Du bist wie ich.“
„Nein“, brülle ich und schreie ihn einfach fort. „Nein, nein, nein!“
„Ruhig, Püppi.“ Es ist Bob und es war noch nie so schön, seine tiefe, rauchige Stimme zu hören. „Es war ein langer Tag für uns alle, aber halt deine Gedanken zusammen, sonst sind wir ganz schön angeschissen. Ich sage, wir suchen uns einen Unterschlupf und dann sehen wir weiter.“
Bob hält seine eigene Schrotflinte im Arm. Dieser Anblick ist sehr beruhigend. Aus meiner Kindheit weiß ich, dass niemand so gut schießen kann wie Bob.
„Ja“, nicke ich matt. „Gute Idee.“
Ich lehne mich an seine Schulter und berühre die Waffe.
„Hey, hey, vorsichtig. Tu Ester nicht weh.“
„Ester?“, frage ich mit gerunzelter Stirn.
„Ja, mein Schätzchen hier“, Bob streichelt über die Flinte. „Meine Königin.“
„Warum gibst du deiner Waffe einen Namen?“
„In solchen Zeiten brauchen gute Dinge einen Namen, Püppi. Und Ester ist der beste Name, den ich kenne.“
Darüber denke ich einen Moment nach und als ich Bobs glänzende Augen sehe, ist es mir ganz egal, wie er seine Waffe nennt. Hauptsache sie tut das, wofür sie bestimmt ist.
„Ester“, wiederhole ich leise. „Ein guter Name.“
„Tja, wenn das so ist, dann muss ich den hier wohl Der Stecher nennen.“ Hank hebt den Ast in die Höhe, der vom Blut des Zombies schwarz gefärbt ist.
„Und das sagt derjenige, der einen Stock im Arsch hat“, lacht Jules und klopft Hank freundschaftlich auf die Schulter. „Du kannst ja auch witzig sein, Mr. Nacktarsch.“
„Nenn mich nicht so“, antwortet Hank und grinst dümmlich.
„Los, bewegt euch, bevor wir Gesellschaft bekommen.“ Ich störe nur ungern die aufkommende gute Laune, aber ein Zombieangriff am Tag reicht mir vollkommen. „Je länger wir warten, desto wahrscheinlicher werden wir zu einem Abendessen. Und ich möchte nicht, dass Hanks nackter Arsch das Letzte ist, woran ich vor meinem Tod denke.“
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