
Je kleiner die Schlitze desto cooler der Fahrer
Am Wasser angekommen, gleich die nächste Überraschung: Hier stecken sie also – die Panamaer, die sich wohl nur im Dunkeln auf ihre schöne Promenade direkt am Meer trauen. Es ist jetzt so voll mit Spaziergängern, Familien, Radfahrern und Skatern, dass man wirklich aufpassen muss, wo man hintritt. Kein Vergleich zu unserem mittäglichen Ausflug von gestern. Die Kinder spielen, Jugendliche treffen sich um Musik zu hören und an den vielen aufgestellten Sportgeräten turnen die gut gebauten Bodybuilder und lassen ihre Muskeln spielen. Es fühlt sich fast an, als wären wir an der Copacabana in Brasilien. Es gibt Getränke und Snacks an allen Ecken und es tobt das wahre Leben vor der beleuchteten Skyline der Stadt. Wir flanieren und genießen das bunte und laute Nachtleben - ach wie schön ist Panama.
Auf dem Rückweg geht es durch einige dunkle Gassen. Meine hysterische Seite kommt wieder zum Vorschein. Ich weigere mich Abkürzungen durch dunkle Straßen zu nehmen und schimpfe, dass Dima den Rucksack nicht vorne am Bauch trägt. Ich fluche, dass er nicht den Helden mimen muss, während er meine Paranoia als mega lächerlich empfindet. Er ist völlig entnervt von meinem Gezeter und wild diskutierend kommen wir am Hostel an. Heute, während ich dieses Buch schreibe, muss ich sagen, dass er Recht hatte. Wenn man sich an einfache Regeln hält, sich völlig normal bewegt, keine Wertsachen zur Schau trägt und die Viertel meidet, vor denen auch die Einheimischen warnen, passiert einem in der Regel auch nichts. Wir haben viel Schlechtes gelesen und sind vielen Vorurteilen begegnet, aber in Panama City sind wir weder überfallen oder beklaut wurden, noch in irgendeine andere brenzlige Situation geraten. Mit gesundem Menschenverstand und ein bisschen Vertrauen kann man sich hier unbeschwert aufhalten und wir würden es auch immer wieder tun. Für diese Erkenntnis brauche ich aber noch ein paar Tage länger in Südamerika.
Erkenntnisse des Tages: Die Globalisierung zerstört die Weinpreise. In Panama wird erst nach Sonnenuntergang gelebt. Scheiß auf Verkehrssicherheit, Hauptsache es ist cool und die Musik ist laut.

Sicherheitsbeauftragter mit ganz unauffälliger Bauchtasche
Tag Drei - Oder auch: Eine Radtour, die ist lustig eine Radtour, die ist schön
Unser Dritter Tag beginnt wieder sehr früh am Morgen und läuft exakt im selben Muster wie der Gestrige ab: Rumliegen und das Freihaben genießen auf einer Seite des Zimmers und Sit-ups plus Liegestütze auf der anderen. Nur beim Frühstück läuft es diesmal besser. Der Vielfraß wurde auf der Frühstücksliste mit einem sonderbaren Zeichen markiert und bekommt schon automatisch doppelte Portionen. Außerdem gebe ich heute mein Ei ab und das zufriedene Funkeln in den Augen meines Reisegefährten lässt mich wissen, dass der Tag heute besser starten wird als gestern. Wir wollen Fahrräder ausleihen, um auf das Kap der Isla Flamenco, die zu Panama City gehört, zu fahren. Ein zwei Kilometer langer Damm verbindet diese und drei weitere Inseln mit dem Festland. Gesagt, getan machen wir uns auf zum Fahrradladen. Eine gute Beratung und zwei Räder später geht es auf der Calle Costeria (der Uferpromenade) auf in Richtung Isla. Es ist ein fantastischer Radweg. Wir fahren direkt am Meer entlang und unser Weg ist mit blühenden Pflanzen, Palmen und Sträuchern gesäumt. Ab und an ist eine Schaukel für Kinder aufgehängt und auch Sportgeräte sowie Fußball und Basketballplätze sind überall zu finden. Hier wurde mit viel Liebe zum Detail und zum Menschen gearbeitet und so wie es aussieht einiges an Arbeitskraft sowie Geld investiert. Die Autos befahren eine separate Straße und wir können einfach genießen ohne viel auf den Verkehr zu achten. Durch das Radfahren haben wir auch den Eindruck, es wehe eine leichte Brise, die uns ein wenig während der Fahrt kühlt. Überall sehen wir Pelikane, wie sie sich hungrig ins Wasser stürzen und die kleinen Fischerboote umkreisen, um etwas vom Fang zu stibitzen. Das geht so eine ganze Weile bis wir an einen großen Platz mit einem Stadion kommen. Hier gibt es ein großes Restaurant und Erholungsmöglichkeiten am Wasser. Leider geht unser Radweg aber nicht weiter – einfach zu Ende. Wir umkreisen das Stadion, wir fragen die Polizisten, die gelangweilt in ihren Golfcars sitzen, schalten sogar das Roaming ein, um uns auf Googlemaps einen besseren Überblick zu verschaffen. Doch der einzige Weg den es zu geben scheint, führt über eine Stadtautobahn. Wenn wir rein hypothetisch in Erwägung ziehen würden diese zu benutzen, müssten wir zunächst durch ein ziemlich herunterkommendes Wohngebiet fahren, um auf die Auffahrt zu gelangen. Wellblechhütten, ziemlich viele freilaufende Hunde und überall herumlungernde Leute lassen die Hysterie in mir wieder ausbrechen. Ich erinnere Dima an die Worte meiner Mutter, mich nicht in Gefahrensituationen zu bringen. Doch mit kühler Logik stellt er mich lediglich vor die Entscheidung jetzt sofort dorthin weiter zu fahren oder umzukehren, denn eine andere Option gäbe es nicht. Es vergeht eine Weile in der brennenden Sonne und von der leichten Brise ist nicht mehr viel zu spüren. Ich kämpfe mit mir, will aber auf keinen Fall umdrehen, da ja unser Ziel die Isla ist. Nach weiteren zwanzig Minuten fahren wir dann ins vermeintlich gefährliche Wohngebiet. Vom Angstschweiß durchweicht versuche ich so dicht wie möglich an Dima zu bleiben. Wir bleiben bei einer Familie stehen, die sich unter einem Baum im Schatten ausruht und fragen, wie wir am besten mit dem Rad zum Kap der Isla kommen. Als wäre dies die dümmste Frage der Welt zeigen sie völlig verständnislos auf die Autobahn. Immer wieder wiederhole ich den Satz: „ja, aber mit dem Fahrrad“. Die Antwort bleibt die gleiche und plötzlich reicht es dem Familienoberhaupt in der Runde. Eine ziemlich alte, aber dafür auch sehr dickliche Frau steht auf und deutet an ihr zu folgen. Sie führt uns zur Auffahrt und läuft diese sogar hoch um zu demonstrieren, dass wir uns ohne Bedenken auch mit dem Fahrrad in den Verkehr stürzen können. Also gut, es nutzt ja nichts, wir radeln los und winken dankend der Gruppe zurück. Ich möchte gar nicht wissen, wie die sich jetzt über diese hellen Europäer auslassen – sicher fragen sie sich was mit uns nicht stimmt. Schnell lassen wir das Viertel hinter uns und treffen auf eine Polizeikontrolle auf der viel befahrenen Straße – sofort macht sich das europäische Ordnungsgen wieder bemerkbar. Nochmals halten wir an und fragen wie wir auf die Isla kommen MIT DEM FAHRRAD. Auch hier kommt die Antwort: „na über die Autobahn, immer geradeaus“. OK, endlich haben es auch die doofen Gringos verstanden. Wir strampeln weiter durch den Verkehr und die Mittagshitze. Das Abenteuer Autobahn dauert lediglich eine paar hundert Meter an, dann geht eine kleine Straße nach rechts ab, die uns über einen leeren Parkplatz wieder direkt ans Meer führt. Da ist sie wieder die Idylle und als wäre nichts gewesen geht es weiter den schönen, von blühenden Blumen gesäumten Radweg entlang. Ab und an ein Schild, mit dem Hinweis, dass man keine Waschbären überfahren soll.
Achtung Waschbären kreuzen die Straße
Wir passieren das Museo de la Bioversidad, einen modernen Bau inklusive botanischem Garten, gehen aber nicht hinein, da uns eher das Endziel anzieht. Schließlich erreichen wir das Kap der Isla Flamenco. Ein Yachthafen, ein paar Restaurants, Geschäfte und eine große Baustelle erwarten uns. Ich bin ein wenig enttäuscht und hätte mir mehr erwartet. Ich kann nicht genau sagen was, aber irgendetwas fehlt mir hier. Dennoch gilt in diesem Fall ganz klar „der Weg ist das Ziel“ und der hat sich allemal gelohnt. Wir ruhen uns ein bisschen aus und füllen unsere ausgetrockneten Körper wieder auf, einmal mit Bier und einmal mit Eistee ohne Eiswürfel. Ist sicherlich klar, wer was bestellt hat. Die Sonne hat unsere weißen, aus dem europäischen Winter kommenden Körper ziemlich zugerichtet. Der Lichtschutzfaktor fünfzig nutzt leider nichts, wenn man ihn nur stellenweise aufträgt. Ohren, Knien, Knöchel, Ellenbogen und Nasen weisen eine leuchtend rote Farbe auf. Mit unserer neuen Hautfarbe sehen wir jetzt noch mehr aus wie touristische Gringos. Wir radeln zurück, was jetzt, wo wir den Weg kennen, relativ schnell geht. Circa eineinhalb Stunden und wir sind wieder am Fischmarkt von Panama City. Dima freut sich und schaufelt sich den Céviche rein. Diesmal bin ich auch dabei, denn völlig durchgeschwitzt und ausgetrocknet gibt es in der Tat nichts Besseres als einen kalten Fisch in Limettensaft und ein bisschen Chili. Ob mit Meeresfrüchten, Oktopus oder einfachem Fisch – egal, alles lecker und alles gut – scheiß auf die Salmonellen.
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