Er hatte in den letzten Jahren genug von der großzügigen Bezahlung seines Jobs angelegt, um mit einem geringeren Gehalt klarzukommen. Kluge Investitionen, die sich sehr reichlich ausgezahlt hatten - dank der Thalberg Corperation.
Marcel knirschte mit den Zähnen. Selbst das verdankte er diesem Bastard. Mehr als einmal hatte der ihm einen Tipp gegeben, der sich als goldrichtig erwiesen hatte. Verdammt! Egal, wie er es auch drehte und wendete, bei jeder Entscheidung in den letzten Jahren spielte Christopher irgendwie eine Rolle. Mal eine gute, aber meistens eine schlechte, ermahnte er sich stumm.
Daran musste er nur denken. Seine Welt durfte sich nicht länger um seinen Boss drehen. Er würde einen stinknormalen Job annehmen, einen stinknormalen, netten Mann kennenlernen und ...
Gott, wem machte er eigentlich etwas vor? Egal, wie sehr es sich einredete, es gab keinen, der Christopher das Wasser reichen konnte und allein der Gedanke, was sich unter den teuren Anzügen verbarg, ließ ihn hecheln.
Marcel wusste, warum er eingestellt worden war. Jeder Assistent vor ihm hatte einen entscheidenden Fehler gehabt: das falsche Geschlecht! Denn ein Credo besaß sein Boss: Er wilderte nie im eigenen Revier und die Damen in seinem Vorzimmer waren wohl eine zu große Versuchung gewesen.
Und genau das hatte ihm den Einstieg ermöglicht. Die Tatsache, dass er ein Mann war. Schon echt lächerlich. Quotenregelung mal anders. Es war nur gut, dass sein Chef nicht wusste, dass er schwul war. Sonst hätte er sich wahrscheinlich schneller auf der Straße wiedergefunden, als er die Worte „Ich kündige“ aussprechen konnte.
Stattdessen war er zum persönlichen Leibeigenen des attraktivsten männlichen Wesens jenseits der Hemisphäre mutiert, der jede Nacht von fiebrigen Träumen mit diesem Zwei-Meter-Hünen heimgesucht wurde. Was für ein Los!
Es gab bestimmt zig Kerle, die den Job mit Kusshand nahmen! Sollten sie doch! Er würde zwar vor Eifersucht platzen, es änderte trotzdem rein gar nichts an seinem Entschluss! Die Zeiten, in denen er für seinen Arbeitgeber den Fußabtreter gespielt hatte, waren endgültig vorbei!
Egal, ob ein Blick aus den stahlgrauen Augen einen Kurzschluss in seinem Gehirn auslöste. Auch egal, dass die lässige Zehn-Finger-Frisur ein Kribbeln in seinen Fingerspitzen verursachte und er seine Hände in Gedanken festbinden musste, um nicht durch die dunkle, seidige Masse zu streicheln. Heute Abend holte er zum letzten Mal die Kohlen für Christopher Thalberg aus dem Feuer.
Dann würde er sich erst einmal eine Woche - oder besser einen Monat - in seine Wohnung einschließen und seinen Liebeskummer auskurieren. Leb wohl, Traummann aus der Hölle. Hallo, mein normales, langweiliges Leben.
Marcel warf einen Blick auf den bezogenen Himmel, als er in die Limousine einstieg, die ihn am Flughafen von Nizza in Empfang nahm. Das Gewitter war zum Glück abgedreht, sodass sie ihren Flugplan hatten einhalten können.
Der Chauffeur verstaute seinen Trolley im Kofferraum, stieg dann ein und senkte die Trennscheibe.
„Herr Thalberg gibt eine Soirée. Möchten Sie bei Monsieur Pierre anhalten, bevor wir zur Villa fahren? Sie haben kaum Gepäck mitgebracht.“
Marcel lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich werde an der Party nicht teilnehmen, Max. Außerdem bin ich nicht lange genug hier, um zusätzliche Kleidung zu benötigen. Danke für die Nachfrage.“
Die Trennscheibe glitt wieder hoch und er lehnte sich zurück. Erneut wandte er sich den Jobangeboten auf seinem Laptop zu. Neun hatte er bisher markiert, drei davon nahm er nun in die engere Auswahl.
Mit einem Handgriff schaltete er das Oberlicht an, weil er im schwindenden Tageslicht nicht mehr genug sah. Schließlich gab er auf. Bei einigen Angeboten würde er verhandeln können, doch sie kamen nicht annähernd an seinen jetzigen Job heran. Aber das wollte er ja auch gar nicht. Das war ja der Sinn der Sache. Seine neuen Aufgaben sollten sich so weit wie möglich von seiner momentanen Beschäftigung unterscheiden.
Er schob den Laptop in seine Tasche und warf einen Blick auf die sortierten USB-Sticks, die er mitgenommen hatte, um sie Christopher zu übergeben. Die wichtigen Daten, die er abgeben musste, da er vorhatte zu kündigen.
Marcel machte es sich bequem und sah aus dem Fenster. Nizza in der Abenddämmerung war mehr als einen Blick wert. Er sollte unbedingt daran denken, noch mal wiederzukommen - diesmal als Tourist. Natürlich würde er dann erst einmal eine geeignete Unterkunft finden müssen.
Er seufzte. Ja, er war verwöhnt. Da sein Chef Hotels nicht viel abzugewinnen vermochte, besaß er in fast jeder europäischen Stadt, in der er Geschäfte tätigte, ein Haus oder zumindest ein Apartment. Selbstverständlich alles vom Feinsten. Die Villa hier in Nizza direkt an einem Privatstrand war perfekt zum Entspannen.
Sofern man Empfänge mit Hunderten Gästen in die Kategorie einstufen konnte. Christopher Thalberg entspannte nicht. Er verband diese Events stets mit Arbeit und deshalb war auch für Marcel jeder Trip an die interessantesten Orte nie zum Vergnügen.
Manchmal fragte er sich, ob sein Chef überhaupt noch merkte, mit welchem Luxus er sich umgab. Vermutlich nicht. Es gab nichts, was der Mann nicht kaufen konnte - oder was man ihm bereitwillig in den Arsch steckte.
Sein Reichtum und seine Macht zogen neben seinesgleichen natürlich auch zahlreiche Schmarotzer an, die alles versuchten, etwas aus ihm herauszupressen. Personen, die in seinen Häusern herumhingen, seinen Champagner tranken und seine Speisekammern leerten, weil Christopher zu beschäftigt mit Geschäften war, um es zu merken.
Marcel konnte es denjenigen nicht einmal verdenken. Die Leute mussten sich einfach im Schatten dieses mächtigen Mannes aufhalten. Es war wie eine Sucht. Er musste es wissen, tat er es doch ebenfalls seit drei Jahren.
Er schüttelte sich. Nur, dass er komplett andere Gründe dafür hatte. Mann, wie erbärmlich er war. Das Erste, was er tun sollte, nachdem er gekündigt hatte, war ein Termin bei einem Seelenklempner zu vereinbaren. Nein, falsch. Zuerst würde er ausgehen und sich flachlegen lassen. Es war Zeit, Christopher Thalberg zu den Akten zu legen.
Er schaute auf seine Armbanduhr und runzelte die Stirn. Sie hätten die Villa längst erreichen müssen. Er drückte auf den Knopf für die Trennscheibe und Max ruhiger Blick traf seinen im Rückspiegel.
„Es tut mir leid, Herr Bender. Herr Thalberg hat sich gemeldet und angeordnet, sie zu Monsieur Pierre zu fahren. Beim Empfang heute Abend ist Smokingpflicht und ich glaube nicht, dass er ein Nein akzeptieren wird.“
Marcel unterdrückte ein resigniertes Seufzen. ‚Nur noch ein paar Stunden. Dann ist dieser Zirkus endlich vorbei‘, sprach er sich in Gedanken Mut zu.
Da er auch wusste, dass eine Diskussion sinnlos wäre, sagte er deshalb nur: „In Ordnung, Max. Ich tue ihm diesmal den Gefallen. Welchem Anlass dient die Gesellschaft heute Abend?“
Der Chauffeur lächelte. „Das gehört nicht zu den Dingen, die er mir mitteilt, Herr Bender. Aber seine Gästeliste liest sich wie das ‚Who is who‘ der Reichen und Schönen. Wie ich mitbekommen habe, gibt es Schwierigkeiten mit einer etwas sehr anhänglichen Dame.“
Oh, Max wusste genau, worum es ging.
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