Sich (und wenn auch nur zeitweise) zurückzuziehen
Auf den empfundenen Handlungsdruck nicht sofort zu reagieren
Die eigene Bedürfnislage mit ausreichend Zeit auszuloten und erst dann
Diese nach außen zu vertreten (= Selbstoffenbarung)
Die Effekte, die wir über die Kontaktaufnahme mit unserem Körper herstellen können, will ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen.
Vor einigen Jahren habe ich bei der Abreise aus einer Pension beim Zurücksetzen auf dem Parkplatz einen Blechschaden verursacht. Ich hatte bei der Rückwärtsfahrt aus einer schmalen Lücke ein direkt hinter mir stehendes Fahrzeug einfach vollkommen übersehen, so beschäftigt war ich mit der Beobachtung der auf dem Parkplatz hin und her laufenden Personen.
Von außen betrachtet handelte es sich um ein ausgesprochen peinliches Ereignis, die vielen Umherstehenden schauten mich mit offenen Mündern an, als ich nach dem Krach aus dem Auto ausstieg. Es war sozusagen ein Parkplatzrempler mit Ansage, die außer mir alle Umherstehenden mitbekommen hatten. Das eigentliche Unfallereignis ließ sich rasch regeln, die geschädigte Angestellte der Pension reagierte sehr gelassen, das Ganze wurde unproblematisch über die Versicherung abgewickelt und verblieb letztlich als überschaubares finanzielles Ärgernis. Das für mich Bedeutungsvolle an diesem Erlebnis waren jedoch die Folgen, die sich in meinem Körper über mehrere Tage hinweg abspielten. Ich musste immer wieder an dieses Ereignis denken, ich schlief schlechter und war immer wieder bei allen möglichen Tätigkeiten durch die bildhaften Erinnerungen an diesen kleinen Unfall abgelenkt. Zu guter Letzt konnte ich mich an das erinnern, was ich meinen Patienten in einer solchen Situation geraten hätte - obwohl das Ereignis doch augenscheinlich trivial war. Auf den ersten Blick so banal, dass ich mich selbst wie die meisten Menschen deswegen natürlich nicht um Rat befragte, sondern die Abläufe still in mir erduldete, bis sich die Aufregung erfahrungsgemäß dann irgendwann von selbst verloren hätte.
Aber ich fragte mich doch noch um Rat und ging den entscheidenden ersten Schritt:
Ich konfrontierte mich vor meinem inneren Auge mit der noch diffusen und undurchschaubaren Erinnerung an den Ablauf dieses Unfalls. Ich versuchte mich intensiv und bildhaft daran zu erinnern, wie ich in die Außenspiegel schaute, konzentriert auf die Menschen im Umfeld des Parkplatzes achtete und wie es dann plötzlich krachte.
Zeitgleich setzte ich meine Körperselbstwahrnehmung ein, so wie dies in der Behandlung eingesetzt wird. Ich versuchte mich so immer wieder in den Kontakt zu meinem Gewicht auf dem Stuhl zu bringen und dabei intensiv meiner Atmung im Bauchraum nachzuspüren. Ich wiederholte diese Übung noch ein paar Mal im Laufe des Tages, jeweils mehrfach hintereinander und nach drei Durchläufen war dieser Aufreger dann vollständig verblasst. Hierzu kann die Meditation "Erforschung des Atemraumes" (siehe Anhang) genutzt werden.
Ich dachte nun nicht mehr überfallsartig daran, die Erinnerung löste keine Unruhe und schon gar keine unwillkürlichen gedanklichen Abläufe mehr aus ("Warum habe ich nicht ordentlich in den Innenspiegel geschaut.... Weshalb war ich so in Eile? ....Warum habe ich mich nicht einweisen lassen?"). Ich habe also diesen Vorgang, der in sich nicht tatsächlich bedrohlich geendet hatte (denn natürlich kam auch der Gedanke: „Was wäre, wenn ein Mensch hinter mir gestanden hätte?“) abhaken können.
Was mich dann im Anschluss besonders faszinierte, war das geradezu schmerzhaftes Empfinden im Bauchraum, immer wenn ich vor und während dieser Übung an das Ereignis gedacht hatte. Der Bedrohungscharakter einer öffentlich beschämenden Handlung ist für uns gleichzusetzen mit einer körperlichen Verletzung („pein“lich, also schmerzhaft). Und er beschäftigt uns in seiner Bedrohlichkeit mit "dysfunktionalen" (hier typischerweise zwanghaften gedanklichen) Lösungsversuchen. Erst das Zusammenführen dieser "bedrohlichen" Erinnerung mit einer intensiven Körperselbstwahrnehmung, dem Kontakt mit „meinem Garten“, hat für mich das Bedrohliche an dem Vorgang schrittweise vollständig verschwinden lassen. Wenn ich mich in einer wie auch immer ausgelösten bedrohlichen Situation wiederfinde, kann mir die Kontaktaufnahme mit meinem Körper, über entsprechende Rückmeldeschleifen unseres Wahrnehmungsapparates, einen Erfahrungswert liefern, nämlich dass ich und mein Körper, das heißt meine körperliche Unversehrtheit nach wie vor intakt sind. Diese kleine Erfahrung und die dazugehörige Übung lassen sich grundsätzlich auf überschießende und nutzlose Aktivierungen von schmerzhafter Bedrohungsangst übertragen. Und diese entstehen vorrangig im Kontakt mit anderen Menschen. Denn der entscheidende Auslöser für diese körperliche Bedrohungsreaktionen war der Umstand, dass mir viele Menschen bei dieser peinlichen Aktion zugeschaut hatten. Ich hatte mich so in eine für mein Gehirn verletzliche, angreifbare Position gebracht, die anderen potenziell die Möglichkeit zu Dominanz über mich hätte geben können (also die Gefahr, mich öffentlich noch mehr bloßzustellen, als ich es so schon getan hatte).
Mit ziemlicher Sicherheit haben einige der Anwesenden dies sogar untereinander so gehalten, denn Schadenfreude ist immer noch die schönste Freude. Über Lästern und das Teilen von Schadenfreude erhebe ich mich kollektiv über andere, eine Spielart von Dominanz eben. Insofern folgen die Abläufe in meinem Körper einer außer Frage stehenden Logik. Eine kollektive Dominanz ist gefährlich. Aber nur mein Gehirn kann bei diesen hypothetischen Gedankenspielen auch noch Tage später und in weiter Entfernung von diesem Ort weiterhin zugegen sein, mein Körper hingegen ist in den Tagen darauf mit mir im Hier und Jetzt, also schon längst abseits der angstmachenden Situation. Und somit kann mir mein Körper, wenn ich mich ihm zuwende, auch die Rückmeldung vermitteln, dass mir hier und jetzt gerade überhaupt nichts geschieht.
3.Kapitel
Loslassen. Wie lerne ich, die Verteidigung funktionieren zu lassen?
Ändert sich denn etwas in der Realität meines Lebens, wenn ich mich entscheide, nicht mehr sofort auf meine Gefühle und Handlungsaufforderungen zu reagieren? Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, ob ich hierüber lediglich etwas in mir selbst, das heißt in meiner Wahrnehmung verändere, oder ob ich auch Effekte in meiner Umgebung in Gang setze. Tatsächlich sind die Effekte in unserer Umgebung zunächst nachrangig und anfänglich nur ein Nebeneffekt. Die entscheidenden Veränderungen entstehen in mir selbst und häufig werde ich die Erfahrung machen, dass sich für mich, durch nicht sofortiges Handeln, zumindest nichts verschlimmert. Aber später geschieht durchaus Überraschendes in der Umgebung, jedoch nur dann, wenn ich den Weg über mich und über meine Ängste gewählt habe und keine direkten Erwartungen an mein Gegenüber habe. Das bleibt ein Paradox in der Arbeit mit "Freundlichem Druck". Erst, wenn es mir tatsächlich gelingt, dieses Paradox anzunehmen und zu akzeptieren, werde ich bemerken, wie die von mir akzeptierte Angst auf mein Gegenüber überspringt. Ich trete meiner Angst vor dem Alleine sein und dem Ausgestoßen werden entgegen und mache die Erfahrung, dass nichts passiert. Und genau in diesem Augenblick wird mein gegenüber diese Angst selbst spüren.
Was ist nun mit dem Druck, wo bleibt der denn? Sehr entlastend bei " Freundlicher Druck" wird für mich, dass ich Druck nicht mehr „wegmachen“ muss, wie wir das mit Entspannungstechniken und Sport oft krampfhaft versuchen. Das zusätzlich Faszinierende ist, dass der Druck, den ich selbst gar nicht mehr zur Regulation „gegen“ mein Gegenüber aufbringe, nun „auf die andere Seite springt“. Dadurch, dass ich meiner eigenen Angst entgegentrete und den Mut zum Nichthandeln aufbringe, entsteht Druck „auf der anderen Seite des Gartenzauns“!
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