"Wir haben heute noch keinen Protokollführer für die Sitzung. Sie Schneider, Sie könnten doch gut Protokoll führen, Sie waren ja die letzten Male gar nicht hier, weil Sie sowieso ständig krank sind."
Die Rollenspielsequenz wurde mit dem bewussten Erleben der im Augenblick aktivierten Gefühle geübt. Wütende Gefühle wären schnell und eindeutig mit Machtkampfargumenten zu füttern, da Frau Schneider gar nicht krank gewesen war und die letzten Male auch an den Sitzungen teilgenommen hatte. Somit spürte sie schlagartig massive Verärgerung, aber auch gleichzeitig die Verwirrung und Ohnmacht, wie sie sich in dieser Situation wohl wirksam schützen könnte. Und sie bemerkte als ihren langjährig gewohnten Handlungsimpuls, dass sie sich wohl unweigerlich schmollend in diese Aufgabe gefügt hätte. Das Rollenspieldrehbuch wurde nun gemeinsam entwickelt:
Abteilungsleiter: "Wir haben heute noch keinen Protokollführer für die Sitzung. Sie Schneider, Sie könnten doch gut Protokoll führen, Sie waren ja die letzten Male gar nicht hier, weil Sie sowieso ständig krank sind."
Jetzt besteht der erste Schritt darin, eine Pause einzulegen, indem ich mich auf die Atmung und mein Gewicht auf dem Untergrund konzentriere. Die Idee, innerlich "21,22" zu zählen, mag zunächst zu Beginn als Hilfe erscheinen, lenkt aber von unserem besten Anker ab, der Wahrnehmung unseres Körpers. Über unseren Körper nehmen wir den Kontakt zu unserem emotionalen System auf. Für das Zählen muss ich meinen Verstand aktivieren, der Verstand stört jetzt allerdings die notwendige emotionale Verankerung (oder das „Erden“). Jetzt mitten in diesem Machtkampf unseren analytischen Verstand loszulassen, stellt eine große Herausforderung dar. Aber ich arbeite so aktiv mit meinen im Körper abgebildeten Emotionen und löse damit tatsächlich auch schon sofort Wirkungen auf die Emotionen meines Gegenübers aus. Alleien dadurch, indem ich ich die in mir vom Gegenüber ausgelösten Gefühle zunächst nur wahrnehme und akzeptiere.
Das deutlichste Gefühl in diesem Augenblick ist: Wut.
Und genau die beschreibe ich jetzt (d.h. ich bin in der Lage meine Gefühle wahrzunehmen und zu beschreiben anstatt instinktiv auf sie zu reagieren).
"Ich bin verärgert über diese Bemerkung! Ich war in den letzten Monaten keinen einzigen Tag krank. Und ich habe an allen Sitzungen teilgenommen!"
Eine mögliche Reaktion des Chefs wäre beispielsweise:
"Jetzt seien Sie bitte nicht gleich beleidigt, Sie legen aber auch jede Bemerkung gleich auf die Goldwaage!"
Der Kampf geht also weiter und die Herausforderung ist, aus diesem Kampf mutig auszusteigen. Meine Wut, befeuert von meinem Verstand, würde natürlich sehr, sehr gerne weiterkämpfen, weil sich ja gute Kamapfargumente auf meiner Seite befinden. Aber ich widerstehe der Versuchung meines Kampfgehirns und beschreibe beharrlich meine Empfindungen und Wünsche:
"Ich fühle mich jetzt lächerlich gemacht. Ich möchte nicht so behandelt werden!“
Die Rollenspiel-Sequenz wird an dieser Stelle beendet. Auch in einer unerwarteten Realität benötige ich normalerweise nicht viele Worte, um mich zu schützen. Aber ich benötige die Fähigkeit, mich von meinem Verstand als Kampfmaschine weg, und zu meinem Körper hinzuwagen. Etwas pathetisch formuliert: Zu meinem Körper als Repräsentanz meiner Daseinsberechtigung. Wir haben tatsächlich die allergrößten Ängste, uns von unserer gedanklichen und sprachlichen Kampfmaschinerie zu lösen. Je mehr ich den Zugriff auf meinen Körper übe, umso besser werden meine Worte auch genau das beschreiben, was mein Körper als aktuelle Emotion vermittelt. Es geht hierbei nicht um "schlagfertige" Rhetorik und sogar nur in zweiter Linie um Inhalte. Wenn ich übe, dann bin ich aufgefordert, mir Zeit zu nehmen (siehe "FREUNDLICHER DRUCK" -Erinnerungs Karte, A+B unter „Arbeitsmaterialien“) und aktiv meine Atemwahrnehmung einzusetzen, um über die aktivierte Körperwahrnehmung die Rückmeldung zu erarbeiten, dass ich in dieser Situation und an diesem Ort sein darf. Dem ausgeprägt hilflosen Angstgefühl, über das mir mein Gegenüber die Daseinsberechtigung absprechen möchte, stelle ich mich so entgegen. Ein Verstärker zu Kultivierung von Körperselbstwahrnehmung ist die regelmäßige Praxis der zum Download bereitgestellten Meditationen. Rollenspiele sind in aller Regel nicht sehr beliebt, weil sie tatsächlich weitaus mehr Gefühle in Gang setzen, als man freiwillig und ohne Not spüren möchte. Man kann Rollenspiele innerhalb von Psychotherapie oder mit einem Coach üben. Aber das geht prinzipiell auch mit Freunden oder Familienmitgliedern. Die gleiche Angst, die mich von Rollenspielen abhält, muss ich im direkten Kontakt mit einem schwierigen Gegenüber sowieso bewältigen. Noch effektiver ist tägliches Üben in nicht so stark aufgeladenen Alltagssituationen. Wenn an dieser Stelle bei Frau Schneider durch das Gegenüber tatsächlich noch ein weiterer Übergriff folgen sollte:
"Was wollen Sie denn jetzt damit schon wieder sagen, was habe ich Ihnen denn jetzt angetan?"
- dann habe ich tatsächlich die Möglichkeit mich auch hier auf den Aspekt der reinen Selbstbeschreibung zurückzuziehen:
"Ich habe gerade ausschließlich von mir gesprochen und ich möchte das Gespräch jetzt beenden!“
Es ist interessant in der Nachbesprechung einen Blick darauf zu werfen, wie hilflos und verwirrt das gegenüberliegende Rollenspielgehirn durch diese Art von Selbstoffenbarung zurückgelassen wird. Es erlebt sich auch im übertragenen Sinne dann alleine zurückgelassen, wie das Pferd vom Pferdeflüsterer. Wir haben die Bindung zwischen zwei Säugetieren für diesen Augenblick gekappt, in eleganter Weise, ohne zu attackieren und auch ohne uns zu unterwerfen.
Es hilft, ein Tagebuch über solche Situationen zu führen und sich Klarheit über die Gefühle in zwischenmenschlichen Situationen zu verschaffen. Die Beschreibung eigener Hilflosigkeit, Wut und Angst in einem Tagebuch ist uns Menschen unangenehm, weil wir hierüber mit diesen bedrohlichen Gefühlen in Kontakt treten. Wenn ich allerdings beginne, diese Gefühle zu beschreiben, verlieren sie Macht über mich.
Frau Schneider:
„Über Jahre lang hatten die mich gequält. Mit Ignoranz und Nichtbeachtung. Mir wurden Termine und Informationen vorenthalten, schrittweise die Arbeit entzogen und man ging mir auf dem Flur immer mehr aus dem Weg. Ich verbrachte zunehmend Zeit ohne konkrete Arbeitsaufträge in meinem Einzelbüro. Zu allem Überfluss hatte man mir hier auch noch eine übergroße Zimmerpflanze an meinem Arbeitsplatz gestellt. Ich fühlte mich durch das Ding regelrecht bedroht. Über die Beschäftigung mit "Freundlichem Druck" veränderte sich mein Blick auf die Situation. Unterstützt durch regelmäßige Meditation versuche ich, die Wirkung der Vorgänge um mich herum und in mir bewusst wahrzunehmen. So kann ich in meinem eigenen Resonanzraum bewusst spüren, wie er durch die Angriffe auf meine Person ins Schwingen gerät, was auch schmerzhaft ist. Es war für mich neu und unangenehm, den Blick von den Anderen wegzunehmen, ihn immer wieder auf mich zu richten . Am Ende hatte ich jedoch das Gefühl, nach so vielen Jahren an diesem verkorksten Arbeitsplatz keine andere Wahl mehr zu haben. Ich begann meine Beobachtungen regelmäßig aufzuschreiben. Es war bitter, einen Arbeitstag, eine ganze Woche, mit meinem emotionalen Erleben in den verschiedenen Situationen zu beschreiben. Ich führte mein Protokoll und begann mehr und mehr zu entdecken, was in mir geschah und konnte dies erstmals akzeptieren, ohne sofort in Aktivitäten zu verfallen oder das Wahrgenommene zu bewerten. Im Grunde genommen hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht nur innerlich bereits gekündigt, sondern mich konkret um alternative Stellenangebote bemüht. Ich war hin- und hergerissen zwischen Angst und Sicherheitsbedürfniss, sowie dem Wunsch, wieder freier atmen zu können. Durch die Vorgabe, in dieser kritischen Phase nicht sofort etwas ändern zu müssen, sehr erleichtert. Es war eine Entlastung, mir die Zeit zu nehmen, mich intensiver mitzubekommen und meine Gefühle nur zu beschreiben. Es befreite mich, auf der anderen Seite macht es mir aber auch noch extremere Angst. Die Brocken einfach hinzuwerfen, erschien mir immer wieder doch verlockend. Ich fasste trotzdem langsam Vertrauen in die ganze Sache und begann, mir Szenarien zu überlegen, wo ich ganz konkret etwas ändern würde. Ich wollte zum Beispiel wieder regelmäßig Arbeit zugewiesen bekommen und diese übergroße Zimmerpflanze aus meinem Büro entfernt haben. Bsonders schwierig erschien es mir, der Ignoranz der Kollegen entgegen zu treten, die mich zum Teil auf dem Flur gar nicht mehr grüßten.“
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