Als die Aufständischen daraufhin den Königspalast belagerten, in dem sich Sabinus verschanzt hielt, sandte dieser Hilferufe an Varus, den Präfekten Syriens – derselbe, der in der Schlacht im Teutoburger Wald 9 n. Chr. mit seinen Legionen sein Ende gefunden hat.
„Zur nämlichen Zeit“ schreibt Josephus, „loderte an zahlreichen anderen Plätzen des Landes das Feuer des Aufstands empor, und die allgemeine Situation gab vielen Anlass, nach der Königskrone zu greifen.“ 32
In Idumäa meuterten zweitausend ehemalige Soldaten des Herodes. In Sepphoris, der Hauptstadt Galiläas, scharte Judas der Galiläer, vermutlich ein Sohn des Hiskia – der seinerseits als Messias umhergezogen war und schließlich Herodes erlag – eine ansehnliche Menge um sich. Sie bewaffneten sich, indem sie das Waffenmagazin der Stadt plünderten. Sie stellten eine neue religiöse Gruppierung dar, die Josephus die vierte Philosophie nennt, die Zeloten . Religiöse Eiferer, die den Zorn JHWH's über Israel abwenden mussten, indem sie das Land von Römern und verräterischen Juden – als solchen sahen sie auch den Hohenpriester an – säuberten. Vor allem wandten sie sich gegen die Steuerschätzung, die Quirinius 6 n. Chr. angeordnet hatte – bekannt aus der Kindheitsgeschichte Jesu. In den Augen des Judas dem Galiläer, der sich auch als Messias sah, war es schändlich, an Rom Tribut zu entrichten, da dies den Eindruck vermittelte, das Land gehöre Rom und nicht JHWH.
Simon, ein Sklave aus Peräa zog mit seinen Leuten brandschatzend und plündernd durch das Land. Sie raubten den Königspalast in Jericho und andere Prachtgebäude aus und ließen sie in Flammen aufgehen. Der Hirte Athrongaios ließ sich von seinen Leuten zum König krönen und überfiel mit seinen vier Brüdern, die er jeweils zu Anführern einer bewaffneten Schar machte, vor allem Römer. Aber auch Juden wurden ausgeraubt, wenn es sich lohnte.
War zunächst wirtschaftliche Not und religiöser Fanatismus der Auslöser zur Bildung einer Widerstandsgruppe, wandelte sich diese oft in eine ganz normale Räuberbande, der es nur noch um eigene Bereicherung ging. „So war Judäa eine wahre Räuberhöhle, und wo sich nur immer eine Schar von Aufrührern zusammentat, wählten sie gleich Könige, die dem Staate sehr verderblich wurden. Denn während sie den Römern nur unbedeutenden Schaden zufügten, wüteten sie gegen ihre eigenen Landsleute weit und breit mit Mord und Totschlag." 33
Nachdem Varus den Hilferuf des eingeschlossenen Sabinus erhalten hatte, walzte er mit seinem Heer, von Galiläa her, die Aufstände nieder und ließ Städte und Orte, die sich daran beteiligt hatten, in Flammen aufgehen. Sepphoris traf es besonders hart. Es wurde niedergebrannt, die männliche Einwohnerschaft umgebracht und alle anderen in die Sklaverei verkauft. Tausende von Aufrührern wurden ans Kreuz genagelt oder auf andere Weise getötet.
Beim Erscheinen seiner Streitmacht vor Jerusalem suchten die Aufständischen schleunigst das Weite. Jerusalem entging einer harten Bestrafung, da die Bewohner ihre Treue zu Rom beschworen und die Schuld des Aufstandes den Pilgern von auswärts zuschoben.
In dieser Zeit des hasserfüllten Fanatismus und der brutalen Unterdrückung wird in dem kleinen Dorf Nazareth in Galiläa, nahe dem unglücklichen Sepphoris, unbemerkt von den Großen der Welt, ein Kind geboren, das einmal Weltgeschichte schreiben würde – genannt Jeschua bar Josef, aber auch Jeschua bar Myriam oder einfach der Nazoräer.
Ich werde später noch erläutern, wieso er nicht in Bethlehem geboren wurde, wie es in den Evangelien geschrieben steht.
Als Kind wird er mit seiner Familie am Abend schaudernd den rot gefärbten Himmel über dem brennenden Sepphoris betrachtet haben, in banger Erwartung von Vergeltungsaktionen römischer Soldaten auch in seinem Dorf. Aus den Evangelien ist hierüber nichts zu entnehmen, obwohl es auch in Nazareth einige gegeben haben dürfte, die sich den Aufständen angeschlossen hatten. Vielleicht sympathisierte auch sein Vater Josef mit ihnen. Wir werden es nie wissen.
Nachdem nun Varus die „Pax Romana“ – Friede durch gewaltsame Unterdrückung – wiederhergestellt hatte, folgte bis etwa 40 n. Chr. eine längere Phase äußerer politischer Stabilität, in die auch das Leben Jesu fällt. Im Inneren gärte es jedoch nach wie vor, bis hin zum ultimativen Vulkanausbruch im Jahre 66 n. Chr.
Zunächst folgte aber eine Zeit des Wiederaufbaus, in der Herodes Antipas Sepphoris als „Schmuckstück Galiläas“ wieder errichten ließ. Es liegt nahe anzunehmen, dass auch Jesus mit seinem Vater dort als Bauhandwerker gearbeitet hat.
Nachdem sich mehrere römische Statthalter verschlissen hatten, kam im Jahre 26 n. Chr. der uns bekannte Pontius Pilatus als Präfekt nach Jerusalem. Er regierte bis 36 n. Chr. über Judäa und Samaria. Römische Historiker beschreiben ihn als kaltherzig, grausam und streng, ohne Respekt vor den religiösen Empfindlichkeiten der Juden. So brachte er einen Satz vergoldeter römischer Schilde, die dem Tiberius geweiht waren, als Opfergabe für die römischen Götter im Jerusalemer Tempel an. Für die Juden ein ungeheuerlicher Akt der Blasphemie. Als er dann noch einen Teil des Tempelschatzes für die Erneuerung der Wasserleitung verwendete – eigentlich eine vernünftige Idee, da die Wasserversorgung Jerusalems in einem miserablen Zustand war –, kam es zu gewaltsamen Protesten. Diese ließ er jedoch durch seine Soldaten kurzerhand niedermachen.
Bei der Amtseinführung des Pilatus hatte Kaiphas bereits acht Jahre das Amt des Hohenpriesters inne und behielt es bis zum Jahre 36. Er war der Schwiegersohn des früheren Hohenpriesters Annas, der auch nach und nach fünf seiner eigenen Söhne in diese Position brachte.
Für Pilatus als weltlicher Herrscher und für Kaiphas als religiöses Oberhaupt hatte die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oberste Priorität. Ersterer war für den reibungslosen Fluss der Tributgelder an Rom verantwortlich. Zudem residierte er in dem herrlichen, ehemaligen Königspalast des Herodes. Diese komfortable Bleibe wollte er so schnell nicht aufgeben. Letzterer musste den ungestörten Ablauf des Tempelkultes garantieren, von dessen Einnahmen ihm ein nicht geringer Teil zufloss.
Beide arbeiteten daher Hand in Hand und schafften es, wie vordem Herodes, wo immer sich ein Aufruhr anbahnte, diesen im Keim zu ersticken.
Die rebellische Einstellung des jüdischen Volkes zu ihren Besatzern mündete jedoch nach der Absetzung des Pilatus, bis zur endgültigen Zerstörung Jerusalems im Jahre 70, immer wieder in für beide Seiten verlustreiche Aufstände. Der erbitterte Todesmut der Rebellen wurde genährt durch einen sich immer mehr verdichtenden Glauben an das baldige Kommen des Messias und das Aufrichten des Reiches Gottes in nächster Zukunft.
So gab sich Theudas, ein wunderwirkender Prophet, im Jahre 44 vor seinen Anhängern als Messias aus und wollte die Römer aus dem Land werfen. Diese machten kurzen Prozess. Sie schickten Soldaten, die seine Anhänger in die Wüste trieben und ihn selbst köpften.
Zwei Jahre später wurden zwei Söhne des Judas dem Galiläer gekreuzigt, weil sie eine revolutionäre Bewegung ins Leben rufen wollten.
Die Unruhe im Land wurde befördert durch eine Reihe unfähiger und korrupter römischer Präfekten, die kein Gespür für die Befindlichkeiten des Volkes hatten. So postierte der Statthalter Cumanus während des Pessachfestes römische Soldaten auf den Umfassungsmauern des Tempels um Unruhen vorzubeugen. Einem der Soldaten war etwas langweilig und so kam er auf die glorreiche Idee, den Erregungspegel der Gläubigen auszutesten. Er lüpfte „… seinen Mantel, bückte sich, wandte in unanständiger Weise den Juden das Gesäß zu und gab einen Laut von sich, der dieser Geste entsprach.“ 34
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