Während des Schreibens dieses Artikels kam mir der Gedanke wie es wohl im Allerheiligsten ausgesehen haben mag, wenn dort über Jahrzehnte niemand sauber machen durfte. Spinnweben dürften noch das Geringste gewesen sein.
Der Tempelkult war in Israel jedoch nicht unumstritten. Nicht nur Jesus stieß sich daran, wenn er sagt:
„ Es steht geschrieben: ,Mein Haus ist ein Bethaus.‘ Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!“ 13
Schon einzelne Propheten wie etwa Hosea, Amos, Jeremia oder Jesaia setzten sich kritisch mit der Opferpraxis auseinander. Gerechtigkeit üben, Gutes zu tun und die Schwachen zu schützen war ihnen wichtiger, als Brandopfer.
„ Was soll mir die Menge eurer Opfer?“ spricht der HERR. „Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes der Mastkälber! Blut der Farren, Lämmer und Böcke begehre ich nicht! Wenn ihr kommt, um vor meinem Angesicht zu erscheinen, wer fordert solches von euren Händen, … . (…). Eure Neumonde und Festzeiten hasst meine Seele, sie sind mir zur Last geworden; … . (…). Tut das Böse, das ihr getan habt, von meinen Augen hinweg, höret auf, übel zu tun. Lernet Gutes tun, erforschet das Recht, bestrafet den Gewalttätigen, schaffet den Waisen Recht, führet die Sache der Witwe!“ 14
„ Ist denn dieses Haus, das nach meinem Namen genannt ist, in euren Augen zu einer Räuberhöhle geworden? Ja wahrlich, auch ich sehe es so an, spricht der HERR.“ 15
Nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer und dem Ende des Opferkultes entwickelte sich die Sabbatfeier in der Synagoge zu einem Wortgottesdienst mit Priestersegen, und wurde zum zentralen Kult der Gemeinde. Teile hieraus übernahm das spätere Christentum in dessen Messfeier.
Gottesherrschaft JHWH's
Herrscher über Israel waren nicht der König oder der Hohepriester. Der eigentliche Herrscher war JHWH. Josephus Flavius benennt daher die Staatsform Israels als „Theokratie“ – Gottesherrschaft.
Zwar stellte man sich JHWH als ein im Himmel wohnendes, nicht ortsgebundenes Geistwesen vor. Da die Menschen sich aber mit Geistwesen schwer tun – sie brauchen etwas Greifbares – , bauten sie ihm in der Zeit des Nomadentums die sogenannte „Bundeslade", in der er seine irdische Dependance hatte und überall mitgenommen werden konnte. Vergleichbar auch mit der Monstranz und dem Tabernakel in katholischen Kirchen.
Nach der Eroberung Jerusalems durch König David um 1000 v. Chr. wurde diese Lade in das dortige zentrale Heiligtum überführt und im späteren salomonischen Tempel aufbewahrt. Der Tempel, und in ihm das Allerheiligste, war daher das religiöse, politische und kulturelle Zentrum Israels.
Von hier aus strömte der Segen JHWH's wie von einer Quelle über Israel und die umgebenden Völker. Dies galt aber nur, wenn die Bewohner Recht und Gesetz befolgten. Sonst wurde er zum Ort des Gerichtes und der Vergeltung über sie.
Sicher haben Sie schon einmal den Begriff „Zion" gehört! Zion ist ein Synonym für den Ort, an dem JHWH seinen Thron hat. Bei den Propheten wird Zion als der Sitz der königlichen Macht des Messias auf dieser Erde gesehen. Als himmlisches Jerusalem ist es der Mittelpunkt des künftigen allumfassenden Reiches Gottes. In der Vorstellung der Gläubigen war daher das Allerheiligste und mit ihm Jerusalem das Zentrum der Welt.
Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und des HERRN Wort von Jerusalem. 16 Und der HERR wird über die ganze Erde König werden. An jenem Tage wird nur ein HERR sein und sein Name nur einer. 17
Im Unterschied zum Christentum, das Gott in erster Linie als den liebenden Vater sieht, wie es auch Jesus vorlebte, wird JHWH vorrangig als der Gerechte gesehen, der mit Belohnung oder Strafe für die Einhaltung seiner Gesetze sorgt.
Während das Christentum dem Gläubigen Belohnung oder Strafe nach dem Tode durch Himmel, Hölle oder Fegefeuer in Aussicht stellt, wird in den jüdischen Schriften Gerechtigkeit meistens im Hier und Jetzt angestrebt. Vielleicht deswegen, weil das Judentum lange Zeit keine oder nur nebulöse Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tode hatte.
Vorbildlich für die damalige Zeit und richtungsweisend für die moderne Gesetzgebung, war das jüdische Menschenbild. Ausgehend von der Vorstellung eines einzigen Gottes, einer allerhöchsten Macht, ergab sich das Prinzip der Gleichheit aller Menschen. Hierauf baut die ganze biblische Gesetzgebung auf wie die Gebote der Nächstenliebe – Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst ; denn ich bin der HERR 18(gilt allerdings nur für die Angehörigen des eigenen Volkes) –, Rechte für die Sklaven, die Pflicht zur Unterstützung der Armen, der Schutz der Tiere –, Du sollst dem Ochsen , der da drischt, nicht das Maul verbinden 19.
In jedem 50. Jahr wurde ein Erlass- oder Jubeljahr ausgerufen, in dem alle Schulden erlassen, Erbland zurückgegeben und Menschen in Schuldsklaverei freigelassen werden sollten.
Natürlich wurde wie überall, auch in Israel gegen diese Gesetze verstoßen. Schon die Propheten waren bekannt für ihre wütenden Tiraden über das Unrecht der Mächtigen den Machtlosen gegenüber.
Wenn es auch manchmal wenig nützte, so konnten Letztere sich doch auf die Schrift berufen.
Aber wir dürfen uns auch nicht dazu verleiten lassen, das alte Israel zu idealisieren. Es gab auch die düstere Seite der Gerechtigkeit, nach der beispielsweise Ehebrecher (sowohl Männer als auch Frauen), Gotteslästerer, Götzendiener oder ungeratene Söhne gesteinigt werden sollten.
So sollen ihn (den ungeratenen Sohn, der Autor) steinigen alle Leute der Stadt, dass er sterbe... . 20
Allerdings waren die Sitten zur Zeit Jesu nicht mehr so rigoros. Die Steinigung als Todesstrafe wurde durch die Römer zumindest zeitweise unterbunden. Die damalige Rechtslage ist jedoch unklar und umstritten. Es gab jedoch die Steinigung sicher noch als eine Form von spontaner Lynchjustiz wie beispielsweise die Steinigung des Stephanus.
Die meisten der über 600 Gesetze oder Weisungen gehen auf das 5. Buch Mose zurück. Viele davon sind Vorschriften über das Verhalten am Sabbat, Zubereitung koscherer Nahrung und Reinhaltung des Körpers.
Aber JHWH ist nicht nur ein Gott der Gerechtigkeit, er liebt auch sein Volk und darüber hinaus alle Menschen und will geliebt werden:
Und du sollst den HERRN , deinen Gott , liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen. 21
Wie konnte das Volk aber nun den Willen JHWH' s erfahren?
Tempelpriesterschaft
Dafür war die Tempelpriesterschaft und an deren Spitze der Hohepriester zuständig. Diese waren Mittler zwischen dem Volk und JHWH.
Diese privilegierte Stellung brachte ihnen bzw. dem Tempel immense Einnahmen wie die Tempelsteuer, die jeder Jude in Palästina und sogar im gesamten römischen Reich jährlich bezahlen musste. Dazu kam der Anteil an den Geschäften, die mit den Pilgern gemacht wurden. Der Tempelschatz war legendär und weckte natürlich Begehrlichkeiten der Feinde. So wurde er im Jahre 70 n. Chr., bei der Zerstörung Jerusalems, von den Römern geraubt und im Triumphzug durch Rom getragen.
Natürlich wurden diese Privilegien von der Priesterschaft mit allen Mitteln verteidigt. Wie wir noch sehen werden, hatte nicht zuletzt die Verurteilung Jesu damit zu tun.
Der Hohepriester hatte in Fragen der Religion und des Kultes die oberste Entscheidungsbefugnis. Seine hohe Stellung drückte sich auch in seiner Kleidung aus. An hohen Festtagen trug er eine besondere Amtskleidung, die schon im 2. Buch Mose (Kapitel 28 und 39) beschrieben ist.
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