Dies bekamen auch die slowenischen Einwohner Triests zu spüren. Die Serie der Gewalttaten begann mit der Zerstörung des „Narodni dom“ (vulgo „Hotel Balkan“) an der heutigen Piazza Dalmazia am 13. Juli 1920 und setzte eine Spirale der Gewalt in Gang. Der Triestiner Hafen wurde in der Zwischenkriegszeit aber auch für rund 150.000 Juden zur „Porta di Sion“ (Tor Zions): Transithafen nach Palästina – bis zur Besetzung Triests durch deutsche Truppen nach der Kapitulation Italiens am 8. September 1943. Die italienischen Rassengesetze von 1938 hatten zuvor schon die jüdische Einwohnerschaft zum Rückzug aus Wirtschaft und Kultur gezwungen.
Ende April 1945 traf die jugoslawische Armee im Raum Triest ein. Der Kampf um Triest und Istrien entbrannte von neuem: diesmal zwischen Jugoslawien und Italien. Titos Truppen und Partisanen herrschten vierzig Tage in der Stadt und Umgebung, bevor alliierte Truppen die Kontrolle übernahmen. Istrien fiel in der Folge an Jugoslawien und damit setzte die „Vertreibung der Vertreiber“ ein. Nur eine Zone, die ungefähr von Duino bis Novigrad (Cittanova) reichte, wurde 1947 zum „Free Territory of Trieste“ erklärt. Bis zur geplanten Einsetzung eines UNO-Gouverneurs wurde dieses Territorium in zwei Zonen getrennt verwaltet: die italienisch dominierte Zone A von Duino bis südlich von Muggia, wo heute die Grenze zu Slowenien verläuft, und die jugoslawisch dominierte Zone B im Anschluss daran. Nachdem die Einsetzung des UNO-Gouverneurs immer wieder scheiterte, wurden im Jahr 1954 die beiden Zonen Italien und Jugoslawien auch offiziell angegliedert.
Von all diesen Wirren ahnt man nichts, wenn man heute auf der prächtigen Piazza dell‘ Unità d’Italia, der früheren Piazza Grande steht. Der Platz ist zum Meer hin offen und an den übrigen drei Seiten von prächtigen Gebäuden umrahmt. Die Häuser, welche den Platz vom Meer trennten, wurden in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts entfernt, was ihm erst die heutige „Grandezza“ verlieh.
Die Piazza dell' Unità d'Italia (2009)
Dem Meer gegenüber steht die prächtige Fassade des Rathauses. Davor sprudelt seit 1750 ein Brunnen, der die damals bekannten vier Kontinente darstellt und an die von Maria Theresia veranlasste Wasserleitung für Triest erinnert. Hinter dem Rathaus landeinwärts steigt der Hügel von San Giusto an, auf dem die Kathedrale und die Festung thronen. Neben der Kathedrale findet man in einem aufgelassenen Friedhof ein Lapidarium, unter anderem mit dem Grabstein für Johann Winkelmann, dem Kunsthistoriker, der 1768 auf der Durchreise in Triest einem Raubüberfall zum Opfer fiel.
An diesem Hang liegt der älteste Teil der Stadt, der erst in den letzten Jahrzehnten renoviert wurde. Nördlich der Piazza Grande, wo sich einmal die Salinen von Triest ausbreiteten, liegt die ehemalige Maria-Theresien-Vorstadt (Borgo Teresiano) mit dem rund 300 m langen Canale Grande, in dem die Segelschiffe auch bei rauer See be- und entladen werden konnten. Südlich der Piazza liegt der Borgo Giuseppino, benannt nach Kaiser Joseph II., der im Rahmen der zweiten Stadterweiterung im 18. Jahrhundert entstand.
Heinrich Freiherr von Ferstel, auch Architekt einiger Palais und der Universität in Wien, plante den Palast des „Österreichischen Lloyd“ (des heutigen „Lloyd Triestino“) an der Südflanke der Piazza Grande, wo sich vorher der Fischmarkt befunden hatte, „in jenem sinnlosen und grundlosen Ringstraßenstil, der wie eine tote Sprache klingt. Ich habe einen alten ungarischen Pfarrer gekannt, der eine Vorliebe hatte, lateinisch zu reden. Gulasch essen und lateinisch reden. Und genau so wirkt dieser Bau. Und dann bin ich immer traurig, beim Lloyd“, klagte seinerzeit Hermann Bahr (1909, S. 12). Aber schön, wenn auch ein bisserl protzig, ist er doch, der Palast im Verein mit den anderen Palästen, hier an der Piazza Grande, pardon: Piazza dell‘ Unità d’Italia!
Der Lloyd-Palast (1988)
Immerhin pflegt Triest heute die Erinnerung an habsburgische Zeiten durch mehrere Denkmäler für die ehemaligen „Unterdrücker“: für Kaiser Leopold I. auf der Piazza della Borsa, Kaiser Karl VI. auf der Piazza Unitá und Kaiserin Elisabeth vor dem Südbahnhof (Trieste Centrale). Und jetzt dazu auch wieder Kaiser Maximilian auf der Piazza Venezia, nachdem er viele Jahre im Park von Miramar "abgestellt" war.
Kaiser Maximilian auf der Piazza Venezia (2015)
Italien ehrte nach dem Ersten Weltkrieg „natürlich“ auch „seine“ Freiheitskämpfer, die freilich aus österreichischer Sicht üble Hochverräter waren, wie etwa der aus Istrien stammende österreichische Staatsbürger und Überläufer zur italienischen Flotte Nazario Sauro, der 1916 in Pola hingerichtet wurde und vor der Stazione Marittima (Hafenterminal) an der Riva Bersaglieri ein Denkmal aufgestellt bekam. Das Hafenterminal aus 1933 ist heute ein Kongresszentrum. Und aus der alten Pescheria (Fischhalle) aus 1913, ein paar Schritte weiter, ist inzwischen die Ausstellungshalle Salone degli Incanti (Salon der Zaubereien) geworden. Nur das kurioserweise im selben Gebäude untergebrachte Aquarium durfte bleiben.
Triest hat eine Kaffeehaustradition ähnlich wie Wien. Schließlich kam der Wiener Kaffee zu einem Gutteil über den Hafen Triest. Der „Viennese“ ist ein Kaffee mit Milchschaum ähnlich der Wiener Melange. Die Kaffeehäuser waren Treffpunkte von Schriftstellern, deren berühmtester James Joyce war, der hier seinen Ulysses begann. Als Fundgrube für alte Literatur gilt das Antiquariat, das der Schriftsteller Umberto Saba in der Via San Nicoló begründete.
Triest hat ein auf hohem Niveau bespieltes Opernhaus: das Teatro Communale Giuseppe Verdi, das 1801 fertiggestellt wurde. Das Theater steht nur wenige Schritte nördlich der Piazza Unitá und gegenüber gelangt man durch die Galerie des Tergesteo-Palastes auf die Piazza della Borsa, die vom klassizistischen säulengeschmückten Gebäude der Alten Börse und Sitz der Handelskammer beherrscht wird.
Triest hatte auch einige Straßenbahnlinien, wovon eine noch in Betrieb ist: Diese fährt seit 1902 teilweise mit Zahnradunterstützung steil den Berg nach Opicina hinauf. Von der Station bei einem Obelisken, der hier in Erinnerung an den Besuch von Kaiser Franz aufgestellt wurde, hat man einen herrlichen Ausblick auf Stadt und Umgebung. „In früherer Zeit, als man noch zu Fuß oder Wagen reiste, war es eine unverbrüchliche Übung aller Triest-Reisenden, im gegebenen Momente von der Reichsstraße abzubiegen und den Obćinahügel hinaufzusteigen, wo sich der erste Seeblick erschließt, und wo man 1830 den vielgenannten Obelisken errichtete…“ (Petermann 1899, S. 76). Von hier aus kann man am Berghang einen Fahrweg entlang wandern, der einst nach Kronprinzessin Stephanie (Gattin von Kronprinz Rudolf) benannt war. Davor war die Straße nach Napoleon Bonaparte benannt. „Napoleonica“ wird sie auch heute wieder genannt, obwohl sie eigentlich Via Vicentini heißt – nach jenem Ingenieur, der diese Straße projektierte. Der Ausbau nach diesen Plänen wurde aber nie vollendet.
Der Obelisk an der gleichnamigen Station der Straßenbahnlinie 2 (2015)
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