»In der Tat. Die dunkle Energie wurde im Übrigen schon im Altertum erwähnt, natürlich unter anderem Namen. Aristoteles sprach von der Quintessenz, einer Art fünftem Element, das überall - in uns, um uns - vorhanden sein soll«, war eine Frauenstimme zu vernehmen.
»Neben Feuer, Luft, Wasser und Erde«, fügte ein Mann hinzu. »Die Religionen der Welt sind äußerst vielschichtig. In Brasilien bestehen neben der offiziellen christlichen Religion nach wie vor indianische und afrikanische Religionen, und auch der Spiritismus erfreut sich einer großen Beliebtheit. Derartige Einflüsse sind für mich ganz selbstverständlich. Die Menschen haben ihre alten Religionen einfach mit dem Christentum verbunden ..., und sie können prima damit leben!«, vernahm ich eine Stimme mit portugiesischem Akzent.
»Das ist auch nicht verwunderlich ..., immerhin ist Brasilien ein großes Land und wurde von verschiedensten Kulturströmungen beeinflusst. Man könnte sagen, weltweit.«
»Alles Spinnkram!«, meinte ein Herr älteren Semesters, der sich bisher noch nicht beteiligt hatte.
»Ja, wie lange wollen Sie denn noch zweifeln?«, fragte eine weitere Frau. Sie sprach ebenso wie er akzentfreies Englisch.
»Im Zweifel mein ganzes Leben«, lautete die lakonische Antwort. »Man sollte sich immer alle Optionen offenhalten.«
»Sind Sie Politiker oder Wissenschaftler?«, fragte nun der mit dem harten Akzent. Doch es ertönte nur ein unverständliches Gemurmel.
Dafür mischte sich nun wieder der Ältere ein: »Aber erkennen wir nicht gerade an der unendlichen Größe des Universums unsere eigene Winzigkeit? Je mehr die Technik uns in dieser Hinsicht erlaubt, in das All vorzudringen und ihm die Geheimnisse zu entlocken und unser Wissen voranbringt, umso nachvollziehbarer wird doch die Erkenntnis, wie klein wir im Grunde sind. Und die Gesetze, die im Makro- und im Mikrokosmos herrschen, werden wir so schnell mit Sicherheit nicht verstehen und erklären können. Immerhin haben wir mit der Welt dazwischen auch genug zu tun. Ich für meinen Teil fühle mich jedenfalls noch jung genug, um neue Erfahrungen zu machen und neue Dinge kennen zu lernen.«
»Das sehe ich genau so. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es nur die Möglichkeit, dass etwas ist, oder dass nichts ist. Und da de facto eine Menge ist, bedeutet das, dass auch überall etwas ist. Mit anderen Worten: Überall in der Welt, im Universum ist irgendetwas vorhanden, ob wir es nun sehen, hören oder messen können ...«
»Oder mit den heutigen Methoden noch nicht nachweisen können - sehr richtig!«
»Ja, meine Herren, wenn da draußen in der Welt, im Universum, soviel ist ..., dann ist dort doch mit Sicherheit auch noch ein bisschen Platz für Religion, oder?«
»Für mehrere Religionen«, korrigierte ein weiterer. »In Indien beispielsweise leben eine dreiviertel Milliarde Menschen hinduistischen Glaubens. Diese Religion hat sowohl islamischen als auch christlichen Missionierungsgedanken widerstanden ...«
»Ach was, Religion, Wissenschaft, oder was auch immer! Das Grundproblem ist doch, dass es heutzutage zu viele Fachidioten gibt. Das Spezialisten- und Expertentum ist zu ausgeprägt!«, vernahm ich als nächsten Kommentar.
»Genau, der Gesamtzusammenhang geht völlig verloren!«, rief nun wieder der erste Sprecher.
»Sie wissen ja sicherlich, warum die Zehn Gebote so klar und eindeutig sind, oder?«, fragte ein weiterer. Da ihm niemand antwortete, gab er selbst die Antwort: »Weil bei deren Entstehung keine Arbeitskreise und Experten mit einbezogen waren!«, rief er und lachte laut.
»Und ein Gutachten ist auch nicht eingeholt worden!«, schlug eine männliche Stimme von hinten rechts in die gleiche Bresche.
Es folgte ein Durcheinander an Stimmen, die ich nicht zuordnen konnte. Die Herrschaften ergingen sich in teilweise recht unflätigen Äußerungen, kleinere und auch größere Beleidigungen erhitzten die Gemüter. Als sich der Trubel allmählich legte, war eine Stimme mit deutschem Akzent von der anderen Seite zu vernehmen: »Also aus medizinischer Sicht kann ich nur sagen, dass in der Tat noch irgendetwas da ist, wenn die Materie, also der Körper oder ein Teil des Körpers entfernt ist, wie zum Beispiel eine Hand oder ein Arm oder Bein oder Ähnliches. Patienten verspüren noch später Schmerzen oder ganz einfach Impulse, die man allerdings nicht sehen oder sonst irgendwie nachweisen könnte. Physiologisch betrachtet könnte es sich um eine Nervenüberreizung handeln ..., aber man weiß es halt nicht genau. Mediziner sprechen auch vom so genannten Phantomschmerz oder einem Phantomgefühl. Originell, nicht?«
»Sehr richtig, und Sie werden mir sicherlich beipflichten, dass auch bei einem Menschen, dem es krankheitsbedingt nicht mehr gut ..., oder sogar ziemlich schlecht geht - wenn also der Körper nur noch eine mehr oder weniger geordnete Ansammlung Atome ist -, der Geist immer noch aktiv ist; bei manchen Menschen sogar sehr!«
Erneute Stille in der Runde. Ohne jeden Zweifel warteten alle - ich auch - gespannt auf eine Antwort. »Ja, in der Tat. Ich kann die These des Kollegen bestätigen. Ja, es ist geradezu fabelhaft, welche geistigen Aktivitäten selbst todkranke Patienten teilweise entwickeln ...«
»So ein Quatsch!«, erklang eine andere Stimme.
»Aha ...« , dachte ich. »Auf zu Runde zwei!«
»Natürlich denkt der Mensch, solange er lebt. Schließlich verabschiedet sich der Geist nicht, bevor jemand stirbt, denn dann wäre er ja kein Mensch mehr, sondern ein Tier, nicht wahr?«
Der Spott in seiner Stimme war unverkennbar. Doch es war still für den Moment. Dann fügte der deutsche Mediziner hinzu: »Menschen, die klinisch tot waren ..., deren Herz ausgesetzt hatte, und die wir nur durch Elektroschocks reanimieren konnten, berichten übereinstimmend, dass es 'danach' noch weitergeht. Einige haben ein Licht gesehen, andere sahen ihr ganzes Leben an sich vorüberziehen, wieder andere ...«
»Bitte, meine Damen und Herren, wir sind doch noch nicht in Rom, sondern gerade einmal auf dem Weg dorthin! Meine Sekretärin hat für mich keinen Direktflug nach Rom mehr bekommen, daher muss ich jetzt den Umweg über Zürich machen. Ich komme von einer Tagung zum globalen Umweltschutz aus San Francisco«, meinte ein anderer, den ich nicht sehen konnte. Er sprach mit deutlichem Südstaaten-Akzent.
»Liebe Kollegen, auch ich habe einige kurzweilige Tage hinter mir. In sieben Tagen habe ich zwölftausend Flugmeilen zurückgelegt. Wahrlich kein Kinderspiel. Aber so geht es wahrscheinlich vielen von uns«, äußerte sich ein weiterer, der unbedingt Engländer war.
Eigentlich war ich der Ansicht gewesen, dass mein zurückliegender, gerade vor drei Tagen gelöster Fall mit äußerst pressewirksamen Auswirkungen die Damen und Herren von den Zeitungen für einige Zeit beschäftigen würde - aber da hatte ich mich offenbar geirrt. Nichts vergeht so schnell wie das geschriebene Wort.
Kaum war die Story behandelt, gab es neue Schlagzeilen.
Bald schon achtete ich nicht mehr auf die Gespräche in der Umgebung, sondern konzentrierte mich wieder auf meinen Fall. Zahlreiche Gedanken verursachten mir einiges Kopfzerbrechen: In welchem Zusammenhang stehen die vielen Ermordeten in New York zu den Zetteln aus den Sachen des toten Cartwright? Was bedeuten diese Zettel? Sind es vielleicht nur irgendwelche Notizen, völlig unwichtig, und er hat nur vergessen, sie wegzuwerfen? Oder haben sie eine größere Bedeutung? Warum bringt jemand so viele Leute um? Ach, nicht jemand! Es müssen mehrere Täter sein! Und sie alle wollen vielleicht eine Sache! Aber was?
Ich sah aus dem Fenster. Doch was auch immer manchem Künstler, sei es nun ein Dichter oder ein Musiker, intuitiv oder inspirativ an neuen Ideen oder Antworten auf quälende Fragen so zugeflogen kommen mochte, mir kam keine gescheite Idee. Ich grübelte weiter. »Was weiß mein Chef von der Sache? Warum setzt er mich auf diesen Fall mit Cartwright an? Anderton hat es nicht verstanden und ich ehrlich gesagt auch nicht. Nun, er wird schon seine Gründe haben. Hauptsache, Christina versorgt mich mit ausreichend Informationen.«
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