Meine Armbanduhr schien auf den ersten Blick ein ganz alltäglicher Chronograph zu sein, auch wenn es sich offensichtlich um ein etwas teureres Exemplar handelte. Doch barg es eine Fülle von Funktionen, die ein Uneingeweihter nicht hätte nutzen können, da ihm die notwendigen Codes nicht bekannt waren, um diese aktivieren zu können, geschweige denn die Handhabung der Funktionen.
Das runde Display beinhaltete vier kleinere Multifunktionsdisplays, die Datum, Wochentag, Monat, Jahr und eine weitere Zeitzone anzeigten. Hier hatte ich grundsätzlich Ostküsten Standard Zeit eingestellt, New York Zeit. Weitere Funktionen wie Stoppuhr, Wecker, Kalenderfunktion und Erinnerungsmodus waren ebenfalls verfügbar, doch erforderte dies bereits eine Codeeingabe, eine Ziffer aus meiner Personalnummer. Die Eingabe dieser und weiterer alphanumerischer Zeichen erfolgte über zwei Knöpfe auf jeder Seite, zum Drehen und Drücken. Genau wie der Communicator war auch die Uhr dank eines Spezialgehäuses bis zu einer Tiefe von einhundert Metern wasserdicht. Sowohl in die Uhr als auch in den Communicator waren jeweils ein GPS-Sender und -Empfänger integriert, so dass man mit dem einen Utensil das andere aufspüren und beide überall auf der Welt per GPS orten konnte. Mit dem GPS-Empfänger war eine perfekte Satellitennavigation möglich, und man konnte beides sogar als Navigationssystem für Fußgänger benutzen. Weiterhin hielt ich einen elektronischen Reiseführer, ja Reiseleiter in der Hand. Per Satellitennavigation geleitete er mich nicht nur punktgenau an jeden gewünschten Ort der Erde, sondern es bestand auch die Möglichkeit, Videosequenzen über etwaige Orte oder Punkte einzuspielen und abzurufen. Ein interaktiver Reiseführer, gespeist aus Reisemagazinen und Reiseführern, elektronischen und menschlichen.
Das Zauberwort für dieses Wunderwerk der Technik lautete Multimedia. Alle Agenten des FBI benutzten einen solchen Communicator, der durch Spezialisten der NSA an unsere Bedürfnisse angepasst und neben einem weiterentwickelten biotechnologischen DNS-Scanner mit einem dreifachen Code versehen war. Kryptologie allerersten Ranges! Den ersten Code, ein zehnstelliges alphanumerisches Kennwort, kannten neben den Technikern aus unserem Hause auch die zuständigen Beamten bei der NSA, die uns die Geräte eingestellt und diensttauglich gemacht hatten. Der zweite, ein zwölf- beziehungsweise dreizehnstelliger alphanumerischer Code, war eine abteilungsinterne Geschichte. Diesen Code kannten jeweils nur wir selbst, die zweiundzwanzig Agenten, sowie Christina und unser Chef.
Der dritte Code hingegen war eine persönliche Sache. Eine Persönliche Identifikations Nummer oder ein persönliches Kennwort war je nach individuellem Wunsch des jeweiligen Special Agents die Zugangsberechtigung zu seinem geschützten E-Mail-Programm, dem Telefonbuch und der Mailbox. Die Codes zu knacken hätte auch den überzeugtesten Hacker dazu ermuntert, seinen Beruf zu wechseln, wie uns ein Mitarbeiter der NSA versichert hatte. Bei jeder anderen Person, die das Gerät nutzen wollte, würde der Communicator einfach abschalten, keine Anwendungen erlauben, gleichzeitig jedoch über einen Satelliten ein Notsignal an die NSA-Zentrale senden. Selbstverständlich konnten die Anwendungen des Computers auch offline genutzt werden. Bei entsprechender Auswahl blieb dann die Mailbox für Telefonanrufe aktiv, nur die Funktion des Telefonierens war deaktiviert, und der Communicator war auch in kein Mobilfunknetz eingeloggt. Die PC-Anwendungen konnten somit genutzt werden, doch um mein E-Mail-Programm zu öffnen, bedurfte es nach wie vor eines weiteren Schrittes: Margaréta1205.
Der zweite Vorname meiner Schwester Caroline, den sie seit Kindertagen nicht mochte, und der deshalb weder in unserer Familie noch in ihrem Freundeskreis benutzt wurde. Als sie Teenager war, hatte sie es kategorisch abgelehnt, mit ihrem zweiten Namen angesprochen zu werden. Und da Frauen prinzipiell das Recht haben, bestimmte Vorstellungen und Meinungen haben zu dürfen, ohne diese begründen zu müssen, wurde das innerhalb der Familie bis auf den heutigen Tag respektiert. Ich selbst hatte damals den Verdacht gehabt, dass sie nur einfach nicht so alt sein wollte wie unsere Urgroßmutter - denn nach ihr war sie benannt worden.
Der zwölfte Mai ist ihr Geburtstag, und den Tag ihrer Geburt werde ich immer in Erinnerung behalten. Ich war damals bereits acht Jahre alt und weiß noch recht gut, wie aufgeregt mein Vater und wie ruhig meine Mutter war. Dieses Wort war ebenfalls das Kennwort für den Bildschirmschoner oder vielmehr die Tastensperre. Nicht einmal meinen engsten Kollegen und Vertrauten war es bekannt.
Nachdem ich in Gedanken meine Ausrüstung überprüft hatte, überlegte ich meine weiteren Schritte nach Ankunft in Zürich. Ich würde einen Mietwagen nehmen und von Zürich nach Dornach fahren. Dann ein Hotel suchen, meine Sachen dort deponieren und mich auf den Weg zum Goetheanum machen. Für meine Nachforschungen veranschlagte ich zunächst einmal einen halben Tag. Dort würde ich etwas essen, und dann konnte ich entscheiden, wie und wann ich zurückfliegen würde. Aber das wiederum würde ich nicht allein entscheiden, sondern erst nach Rücksprache mit meinem Chef, beziehungsweise Christina. »Wenn sich der Fall so weiter entwickelt, dann werde ich wohl nicht nur einen Tag in der Schweiz verbringen. Wer sagt denn, dass ich sofort auf die richtige Fährte stoße oder einen vernünftigen Anhaltspunkt finde? Wenn doch unser Labor die Zettel entschlüsseln könnte!«
»Entschuldigen Sie ..., Verzeihung ..., Entschuldigung!«
Ich drehte mich um.
Ein langer, schmaler Mittvierziger bahnte sich hektisch seinen Weg durch die Sitzreihen - in der Linken eine Tasche, in der Rechten ein Notebook. Verschwitzt, einige Haarsträhnen hingen ihm wirr ins Gesicht, erreichte er seinen Sitz - zwei Reihen vor mir. Ich erinnerte mich, dass er wenige Minuten zuvor in der entgegengesetzten Richtung verschwunden war. Wahrscheinlich zur Toilette.
Hinter ihm und neben ihm wurden die Sitze von vier Herren und zwei Damen besetzt. - Journalisten. Eine der Damen kannte ich sogar. Sie war freie Journalistin und arbeitete unter anderem für die New York Times.
Sie alle waren auf dem Weg nach Genf, wie ich dem aufkommenden Gespräch entnehmen konnte, wo unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen ein Außenministertreffen der EU-Staaten, der USA, Kanadas und Russlands stattfand. Thema war wieder einmal der weltweite Terrorismus und seine Bekämpfung.
»Meine Damen und Herren ..., es tut mir leid, aber ich habe wirklich kaum Zeit. Ich habe mir extra mein Notebook mitgenommen, damit ich auf dem Flug endlich einmal in Ruhe arbeiten kann. Am Mittwoch beginnt die große, einwöchige Tagung in Rom ..., Wissenschaft und Religion sollen sich einander endlich mehr annähern, wie Sie wissen; und es sind viele Gäste aus allen Bereichen des Lebens eingeladen ... - sowohl Theologen als auch Wissenschaftler. Und am Samstag muss ich dann schon wieder in Chicago sein - als Gastredner an der Universität werde ich über den globalen Klimawandel referieren. Spätestens Freitag Nachmittag muss ich also schon wieder zurück über den Großen Teich. Heute und morgen habe ich für diese Veranstaltung reserviert. Die Hauptarbeit werde ich natürlich im Flugzeug bewältigen müssen.«
»Gut, dass er seine Termine wenigstens noch weiß - auch wenn er sie kaum wahrnehmen kann« , dachte ich. Dann kam der nächste Wissenschaftler zu Wort, und mit ihm begann eine Fachdiskussion: »Die kosmologische Konstante scheint mir irgendwie der reine Stein der Weisen zu sein. Ist es nicht bedenklich, dass wir lediglich zehn Prozent oder weniger der Vorgänge und Zusammenhänge im Kosmos nachweisen oder erklären können, und über die übrigen neunzig Prozent im Dunkeln tappen?« Er sprach mit russischem Akzent.
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