Die zweite Quelle, auf die ich mich beziehe, stammt von der Hochsensibilitätsforscherin Elaine N. Aron. Auch sie schreibt im Vorwort ihres Buches "Hochsensibilität in der Liebe" über Gene, die zu einer veränderten Steuerung des Botenstoffwechsels im Gehirn hochsensibler Menschen führen. Dadurch sinkt die Reizschwelle und die Verarbeitungstiefe steigt. 5
Michael Pluess von der Queen Mary University in London forscht viel darüber, inwiefern Gene eine Rolle bei der Sensibilisierung spielen. Er fand neun Genvarianten, die vor allem mit Botenstoffen wie Serotonin oder Dopamin zu tun haben, wodurch ein Gehirnteil namens Amygdala beeinflusst wird. Die Amygdala ist daran beteiligt, Emotionen zu verarbeiten, und entscheidet darüber, ob wir etwas als stressig einstufen. 6Bereits in früheren Forschungen hatte man herausgefunden, dass frühkindlicher Stress bewirkt, dass viele Menschen auch später sensibler und stressanfälliger sind. Frühkindlicher Stress beeinflusst Gehirnteile, von denen man weiß, dass sie genetisch kontrolliert werden. Pluess hat in seiner Studie an 13.000 Briten gezeigt, dass die Stress-Sensitivität tatsächlich aus einer Interaktion zwischen Kindheit, der Situation als Erwachsener und dem Genotypus entsteht. Genetisch sensible Kinder waren demnach später verletzlicher gegenüber widrigen Umständen, wenn sie in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen waren, während sie weniger verletzlich waren, wenn sie eine gute Kindheit gehabt hatten. 7
Pluess fand z.B. auch heraus, dass ein Serotonin-Transport-Gen bei verschiedenen Individuen in einer längeren und einer kürzeren Variante auftreten kann. Die Menschen, die die kürzere Genvariante aufwiesen, hatten bei negativen Lebensereignissen eine größere Neigung zu Gefühlsschwankungen und Verletzlichkeit, während sie bei positiven Ereignissen stabiler waren als andere. 8
Hier zeigen sich handfeste körperliche Ursachen der Hochsensibilität: Das Gehirn produziert aufgrund diverser Gene mehr Botenstoffe, was dazu führt, dass wir mehr Reize aufnehmen, intensiver darauf reagieren, uns weniger daran gewöhnen können und das, was wir aufnehmen, tiefgehender verarbeiten. Das wäre ja eigentlich von Vorteil, hätte es nicht zur Folge, dass sich der Energieverbrauch des Gehirns erhöht und die Energieversorgung der Nervenzellen dadurch instabil wird, was dann wieder zu einer Anfälligkeit für Reizüberflutung bis hin zu Migräne-Attacken führt. Ohne diesen Nachteil hätten sich diese Gene womöglich in der gesamten Menschheit durchgesetzt. Dadurch, dass ein Teil der Menschen diese Gene trägt, kann die Menschheit insgesamt dennoch von den Eigenschaften profitieren, ohne dass alle von deren Nachteilen betroffen sind.
Aufgrund dieser Forschungsergebnisse ist mein Verständnis von Hochsensibilität, dass sich hochsensible Menschen, was ihre Hirnaktivität betrifft, in einem Grenzbereich des materiell umsetzbaren bewegen. So gesehen sind wir also Grenzgänger des Denkens und Fühlens. Was das genau für das Thema Nahrungsergänzung bedeutet, werde ich im nächsten Abschnitt genauer erklären, denn dies ist wichtig, um zu verstehen, was ich warum und in welcher Reihenfolge empfehle.
Was es für unser Gehirn bedeutet, mehr Botenstoffe zu bilden
Um zu verstehen, was Botenstoffe genau sind, wo sie gebildet werden und welche Bedeutung das für unseren Gehirnstoffwechsel hat, ist es wichtig zu wissen, wie die Reizübertragung in einer Synapse funktioniert. Viele kennen das vielleicht noch aus dem Biologieunterricht, aber ich möchte es hier trotzdem noch einmal genauer erklären, um den Wissensstand herzustellen, der für das Verständnis der Zusammenhänge nötig ist.
Abb. 1: Reizübertragung in einer Synapse
Die Synapse ist der Ort, wo sich zwei Nervenzellen miteinander verbinden. Innerhalb einer Nervenzelle (= Neuron) wird der Impuls wie in einem Stromkabel elektrisch geleitet. An der Schnittstelle zwischen zwei Neuronen wird der elektrische Impuls in einen chemischen umgewandelt. Je nachdem, wie stark der Impuls ist, wird eine größere oder kleinere Menge an Botenstoffen gebildet. Diese Botenstoffe werden dann in den synaptischen Spalt freigegeben und wandern durch ihn zum postsynaptischen Neuron. Dort werden sie von Botenstoffrezeptoren aufgenommen und wieder in einen entsprechend starken elektrischen Impuls umgewandelt.
Mitochondrien sind die Energie-Kraftwerke der Zellen. Sie kommen in allen Zellen vor und stellen ihnen die Energie für ihre Aktivität bereit; bei den Neuronen also für die Weiterleitung von elektrischen Impulsen, das Umwandeln in Botenstoffe und die Aufnahme von Botenstoffen durch die Rezeptoren.
Man kann sich das Ganze wie eine Fabrik vorstellen: Wenn dort Produkte hergestellt werden, benötigt man dazu erst einmal entsprechend Energie, die die Maschinen antreibt. In den Nervenzellen wird diese durch die Mitochondrien bereit gestellt. Dann benötigt man natürlich Rohstoffe, um die Produkte herstellen zu können. In der Nervenzelle sind diese Produkte die Botenstoffe, die gebildet werden. Den Rohstoff für diese Botenstoffe liefern Aminosäuren, das sind Proteinbausteine, die in unserer Ernährung vorkommen. Diese Aminosäuren lassen sich vom Körper ganz leicht in Botenstoffe umwandeln. Und schließlich braucht man auch Werkzeuge, mit deren Hilfe man aus Rohstoffen Produkte herstellt. Im Fall der Nervenzelle ist Vitamin D ein sehr wichtiges Werkzeug: Es wird benötigt, um Aminosäuren in Botenstoffe umzuwandeln. 1
Wenn hochsensible Menschen aufgrund ihrer genetischen Veranlagung mehr Botenstoffe bilden, heißt das, sie benötigen für diese erhöhte Aktivität der Nervenzellen auch dementsprechend ausreichend Energie, Vitamin D und Aminosäuren. Darauf bauen die Empfehlungen in diesem Buch auf.
Warum Nahrungsergänzung in drei Schritten?
Als ich damit begonnen habe, mit Nahrungsergänzungsmitteln zu arbeiten, habe ich auch einige Blog-Artikel zum Thema veröffentlicht, die lebhaft kommentiert worden sind. Dabei ist mir aufgefallen, dass meine Blog-LeserInnen teils weniger zufrieden mit den Erfolgen waren als das bei meinen KlientInnen und mir der Fall war. Ich dachte lange darüber nach, woran das liegen könnte. Irgendwann wurde mir klar, dass meine KlientInnen und ich die Nahrungsergänzungsmittel in einer ganz bestimmten Reihenfolge eingenommen hatten, und dass es so eben besser wirkte, als wenn man sich nicht an diese hielt. Je mehr ich mich mit dem Thema befasste, umso klarer wurde mir auch, warum das der Fall war. Ich hatte da intuitiv etwas richtig gemacht.
Zu allererst muss genügend Vitamin D vorhanden sein, da es benötigt wird, um Aminosäuren in Neurotransmitter umzuwandeln. Diejenigen meiner Blog-LeserInnen, die Aminosäuren eingenommen hatten, ohne vorher ihren Vitamin-D-Spiegel auf ein gutes Niveau zu bringen, hatten damit weniger Effekte. Genauso war es bei den Heilpflanzen. Wer es mit Heilpflanzen versucht hatte, ohne vorher Vitamin D und ausreichend Aminosäuren zu sich zu nehmen, hatte weniger Erfolge mit den nervenstärkenden Heilpflanzen. Das liegt daran, dass die Heilpflanzen die Gehirntätigkeit nur regulieren können. Wenn diese aber auf einem niedrigen Level ist, weil Vitamin D und/oder Aminosäuren fehlen, können auch die Heilpflanzen nicht ihr volles Potenzial entfalten.
Den besten Effekt hast man deshalb, wenn man erst seinen Vitamin-D-Spiegel in Ordnung bringt, dann über 2-3 Monate eine Kur mit Aminosäuren macht und sich nach Abschluss dieser Kur eine Heilpflanze aussucht, die gut auf einen passt und die dann dabei hilft, den erreichten Stand langfristig zu halten.
Ich nehme bereits Nahrungsergänzungsmittel ein - was tun?
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