Inspektor Littlewood hielt den Kopf schief, als hätte er eine Dystonie und fixierte John Arnold aus müden blauen Augen. »Sie nehmen also auch an, dass dieser Mensch von einem ihrer eigenen Irren umgebracht wurde?«»Ja ein Irrer, von wo auch immer, natürlich. Sie etwa nicht? Das Lesen ist daran schuld. Romane, in denen es nur so vor Intimitäten und Mord wimmelt. Nehmen sie nur diese Groschenhefte, wie Warney der Vampir oder die Geheimnisse von London, die jeder für einen Sixpence bekommt. Das sagt alles. Solche Groschenhefte bringen den Leser um den erholsamen Schlaf und wecken im umgeschulten Leser die Lust am Verbrechen.«»Hört, hört, hört«, murmelte Snyder kurz abgelenkt.
Der Inspektor nickte, und fragte sich, warum in der Dienstakte dieses Polizisten stand, er sei unfähig ein höheres Amt zu bekleiden. Der Inspektor fand die Ideen vom Constable klar und durchdacht und er erkannte den feinen Witz in der Aussage. Constable Arnold verfolgte also das politische Geschehen in der Tagespresse, denn mit genau dieser Begründung, versuchte der Duke of Longford im Oberhaus die Ratifizierung eines Lieblingsprojektes ihrer Majestät, Königin Victoria das allgemeine kostenlose Schulgesetz auszubremsen. Anscheinend machte eine gebildete Arbeiterklasse den hohen Lords Sorgen. Immerhin war das Gesetz vor drei Jahren zur Unterschrift im House of Lords eingereicht worden und Unterhaus und Oberhaus schoben sich die Gesetzesvorschläge gegenseitig hin und her. Jetzt schrieb man das Jahr 1891 und die Queen hatte eine diskrete Mahnung aus ihrer schottischen Besitzung Balmoral Castle an die Peers gerichtet. Littlewood informierte sich immer zu Beginn eines neuen Falles, mit welcher Art von Polizist er zusammenarbeitete. Dieser Kleinstadt Constable hatte eindeutig das Zeug zu besseren als in dieser elenden Provinz, zu verwelken, hatte sich im Haus des Mordopfers gut geschlagen. Inspektor Snyder zählte nicht, der hatte kein Herz, war kalt wie Fischaspik in seiner Brust, der würde nicht mal die Miene verziehen, wenn er seine Frau gemetzelt in seinem Schlafzimmer vorfinden würde.
»Bringen Sie uns einen Whisky«, befahl Littlewood, Inspektor Snyder. Der sich daraufhin mit unbewegtem Gesicht erhob und das kleine Wachhaus verließ, um im Seemannskopf ein paar Minuten zu Fuß die Straße hinunter das Gewünschte zu besorgen, nachdem er sich selbst erst einmal in aller Ruhe ein Guinness Bier gegönnt hatte. Sollten dieser lackierte Affe und der Constable, der in einen Zirkus gehörte und nicht in die Uniform der Sussex Police doch auf ihren Whisky warten.In den Seemannskopf war die Polizei eingezogen. Nicht schlecht für den Wirt Derek Green. Sergeanten, und Constables, die zur Spurensuche aus Brighton und Lewis herangekarrt worden waren, von Haus zu Haus gehen sollten und eigentlich mit dem Zeugen auffinden beschäftigt sein sollten, soffen viel. Derek war es zufrieden, noch so ein Mord und er konnte sich bald den 20 Pfund teuren Doktor Maxwells elektrischen Wachstums Gürtel leisten. Der für sein, die Wissenschaft revolutionierendes Werk, nach einem Spartaner Leben gewidmet allein der Erforschung der Wachstumsprozesse in den Zeitungen für sein Produkt warb. Zwei Zentimeter Wachstum per Monat versprach die Werbung. In nur einem Jahr konnte es Derek, auf 1 Meter 75 bringen hatte er ausgerechnet und das Beste der Wachstums Gürtel war patentiert.
Im kleinen Wachhaus mit nur einer Zelle starrte derweil Constable John Arnold an die vom Kohlenruß geschwärzte Decke. Es herrschte ein nachdenkliches Schweigen. Zwei Charaktere saßen auf den knarrenden Holzstühlen, die sich gegenseitig einzuschätzen versuchten. Beide warteten auf den Whisky, es war verdammt kalt und der kleine Kohleofen im Polizeirevier von West Hoathly, das ehemaliges Cottage eines Tagelöhners war absolut überfordert. Constable John Arnold war etwas verblüfft über die Kleiderwahl des Scotland Yard Beamten. Kanariengelbe Satin Hosen und anstatt eines ordentlichen Bowlerhuts, wie ihn Gentlemans aus der City zu tragen pflegten, einen Zylinder aus Bast. Kein Kinnbart, Littlewoods Gesicht war glatt rasiert wie ein Baby Popo. Keine schwere Uhrenkette an der grünen Brokatweste mit dem verwirrend floralen Muster, seine Uhrenkette war fast feminin. Der Inspektor entsprach ganz und gar nicht den Erwartungen, die der Constable gehegt hatte, als man ihm telegrafisch die Ankunft eines Londoner Inspektor Littlewood angekündigt hatte. John dachte an die Untersuchung durch den einzigen Arzt im Ort. Doktor Jonathan Swift einen Zahnarzt und den schwierigen Abtransport der geköpften, wie ein Fisch aufgeschlitzten Leiche, die am Kriegerdenkmal festgefrorenen war. Etwas was er nicht so schnell vergessen würde. Er musste gestern Abend Mrs. Singer um einen großen Kochtopf warmes Wasser bitten. Er hatte die Aufgabe übernommen, die Arme und Hände des Leichnams mit heißem Wasser abzutauen. Anschließend trugen er und Swift den gefrorenen Leichnam in das Beerdigungsinstitut in die James Street. Der Inspektor hatte kurz, nachdem er mit Inspektor Snyder angekommen war, mit ihm als Vertreter der Grafschaftspolizei das Haus des Opfers untersucht. Bei dieser Durchsuchung erlebten die Polizisten einen größeren Schock; sie entdeckten, im Schlafgemach des Opfers, dass der Mörder den Kopf abgehäutet, die Augen ausgeschnitten, Nase und Ohren entfernte. Warum er sich diesen fürchterlichen Dingen hingab, konnte nur ein erfahrener Nervenarzt beantworten. Zudem blieb die Frage offen, was bewog den Täter sich vermutlich aus den Nieren des Stahlwerks Besitzers aus West Hoathly, ein Nieren Haschee zu kochen. Sich hinzusetzen und das neue, hellere, elektrische Licht anzudrehen und das ganze mit einer Flasche Rotwein hinunterzuspülen und dazu den Edison Phonographen mit einem Stapel Wachswalzen von George Biszets Oper Carmen laufen zu lassen.
Derek Green zitterte, als er das Trinkgeld einstrich, das William Samuel Antill auf den Tresen gelegt hatte. Einen Augenblick lang war er ganz allein mit seinen Gedanken und der alten Hexe. Mrs Purkiss seine Großtante verdingte sich trotz ihres betagten Alters als zugelassene Rattenfängerin bei den Honoratioren der Stadt. Sie verhökerte ein selbst gefertigtes Gift, auf das die Bauern der Gegend schworen, manchmal fing sie die Ratten mit bloßen Händen und verkaufte die Tiere in seven acres. Die Leute wetteten gerne und Rattenkämpfe waren angeblich ein beliebter Zeitvertreib bei den Arbeitern in ihren Yards und ungesunden Häusern. Im Augenblick saß die alte Frau auf ihrem Lieblingsplatz am Fenster dicht neben dem Kohleofen und spuckte ekelhaft laut in Intervallen auf den Boden. Sie erhob sich schnaufend, wie eine anfahrende Dampflokomotive, von ihrem Platz und klapperte mit ihren Männerstiefeln zur Bar.
Dann brüllte Sie: »Spendiert der Detektiv eine Runde?«
Derek blickte Constable John Arnold mit hochgezogenen Brauen an. »Gewiss Madame«, sagte John und legte einen Schilling auf den Tresen. »Ich will, aber nicht die Katzenpisse gib mir den guten, den Whisky, den du selber in deinem Keller brennst.« Derek lief rot an und wollte protestieren, doch John winkte gelangweilt ab. Mrs. Purkiss schnappte sich mit ihren arthritischen Fingern eine ihrer Mephisto Zigaretten; und suchte Streichhölzer in die Tasche ihres karierten Winterkleids, das sie unter ihrem Lammfellmantel trug. John riss ein Streichholz an und gab ihr Feuer, und sie blies ihm zum Dank kratzigen Rauch ins Gesicht und kicherte erfreut über seinen Husten. Sie beugte sich verschwörerisch zu dem Constable und eine Geruchswelle aus Zigarettenrauch, Schnaps und alten Mensch schlug ihm entgegen.
»Und läuft der Menschenfresser im Dorf herum und schlägt uns die Schentelmenssss alle tot? Das ist keiner wie du und ich.« Sie kicherte vergnügt und spuckte auf den Boden. Aber was sollte er sagen, die Frau war siebzig. Dass sich so schnell Gerüchte verbreiteten und die Leute das, verbrecherische Subjekt den Menschenfresser nannten, machte ihm Sorge. »Das ist der Deibel, der sich seine schwarzen Seelen holt, sag ich euch! Ich kann ihn riechen der Gestank des Leibhaftigen, der Schwefel in der Luft!« Sie erstarrte und sah beschwörend an die alte Holzdecke, als höre sie von oben das Kratzen der Teufelskralle an den Bodendielen. Die Frau konnte einem eine Gänsehaut einjagen. »Nein, aber nein Tante Becky. Das ist doch nur aus den Stahlwerken! Unsere Stadt stinkt immer nach Schwefel!«, erklärte Derek seelenruhig.Ja dachte John, die Stadt stank nach einer Leichengrube, in denen Millionen Tierkadaver verrotteten aber das war der Preis des Fortschritts. Der Gestank und die zerlumpt herumlaufenden Kinder aus der Arbeitersiedlung am Stadtrand. John bedeutete Green, der alten zahnlosen Frau das Glas neu zu füllen. »Und der Menschenfresser hat sich nicht, die geholt die bescheiden und anständig lebten, dem macht man nichts vor. Vom Christentum und dem Wert der Sparsamkeit reden und selbst, wie die Maden im Speck und Sünde. Nein ihr werdet noch erleben, Weihnachten verteilt er seine Geschenke an die da oben ganz großzügig.«
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