„Jenny, das hat doch alles gar nichts zu sagen. Komm, wir versuchen es einfach. Wie viel Zeit hast du denn noch?“ Jenny schaut nach unten und druckst rum. „Oh, so knapp.“ Oma Anni lacht und stupst sie aufmunternd an. „Jetzt aber los! In zwei Stunden bist du sicherlich damit fertig und dann lassen wir uns von Opa Wolfgang in die Praxis kutschieren. Es wäre doch gelacht, wenn wir den heißbegehrten Platz für dich nicht ergattern.“
Jenny springt dankbar auf und schnappt sich ihren Schulrucksack.
Oma Anni lächelt ihr hinterher. „Jenny hat mir so gefehlt“, sagt sie und ergänzt, „und ihr auch. Jutta, nun erzähl doch mal. Wisst ihr schon ob es ein Mädchen oder Junge wird? Ich möchte doch ausgiebig shoppen gehen und mein jüngstes Enkelchen einkleiden.“
Jutta schüttelt den Kopf. „Leider nicht. Es liegt so ungünstig. Letztens haben wir es beim Ultraschall dreimal versucht, ich bin rumgelaufen, aber es hat nichts geholfen. Es ist nur der Po zu sehen und der ist neutral.“
„Und habt ihr euch schon auf Namen geeinigt?“
„Nein, auch noch nicht. Wir wollen, dass Janek und Jenny ein Mitspracherecht haben, es hat sich aber noch nicht ergeben, dass wir alle an einem Tisch sitzen und darüber diskutieren. Wir würden uns freuen, wenn ihr ebenfalls Vorschläge macht. Immerhin soll euch der Name auch gefallen.“
Oma Anni lächelt überglücklich. „Das ist lieb von euch. Ich habe da schon den einen oder anderen, der mir gefällt. Aber die nenne ich euch erst, wenn ihr eure bekanntgegeben habt. Was meinst du, wollen wir morgen shoppen gehen? Aber nur, wenn es dir gut geht. Wir können ja all die notwendigen Dinge kaufen, bei denen es auf die Farbe nicht ankommt.“
„Ja, gern. Ich kann es ja auch kaum erwarten.“
„Wo bleibt denn Jenny? Wir wollten doch zum Tierarzt“, sagt Oma Anni. „Ich geh sie mal suchen und du ruhst dich weiterhin aus, ja.“
„Lydia“, sagt Christine am Telefon. „Die Jungs möchten, dass du sie heute ins Bett bringst. Was meinst du, kannst du deine Schreiberei unterbrechen und zu uns kommen?“
„Eher gibst du ja doch keine Ruhe, oder?“
„Nein“, antwortet Christine. „Wir wollen ein Lagerfeuer machen, Würstchen grillen. Das mussten wir schon von gestern auf heute verschieben. Es ist nicht leicht, einen gemeinsamen Termin zu finden. Deshalb wäre es schön, wenn es bei dir klappen würde. Olli ist auch da.“
„Das ist okay. Ich habe vor ihm keine Geheimnisse. Du hast ihm doch sicher schon alles über mich und meine blöde Situation berichtet, oder?“
Christine bekommt ein schlechtes Gewissen und lenkt ab. „Ich habe mit ihm gesprochen und ihn informiert, dass es mit unserem Baby wahrscheinlich nicht klappen wird.“
„Und wie hat er reagiert?“
„So, wie du gesagt hast. Er meinte, dass meine Gesundheit am wichtigsten ist. Aber trotzdem tut es mir sehr leid.“
„Ich bin um 18 Uhr da und freue mich auf euch.“
„Das freut uns auch sehr. Bis dann.“
Endlich ist Ruhe in den Kinderzimmern. Lydia setzt sich zu Christine auf die Hollywoodschaukel. Olli legt noch einmal dicke Äste auf das prasselnde Feuer. Christine gießt Rotwein in die Gläser.
„Bei euch ist es so idyllisch“, sagt Lydia. „Hier lässt es sich wohnen.“
„Deine riesige Dachterrasse ist doch auch super. Die hat ebenfalls einen gewissen Erholungswert“, sagt Olli.
„Ja, aber die Wohnung ist sehr klein. Die Terrasse kann ich leider nur im Sommer nutzen. Und immerzu allein zu sein ist auch nicht berauschend. Das einzig Gute ist, dass ich mir meine Zeit einteilen und machen kann, was ich will. Ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen.“
„Und was machen deine Buch-Projekte?“, will Olli wissen.
„Die Idee mit dem Veröffentlichen von Familienchroniken hat sich zerschlagen“, antwortet sie. „Meine Verlegerin meint, dass eine Serie davon auf dem Buchmarkt nicht bestehen wird.“
„Schade, dann gib die doch privat heraus, wenn Interesse von Leuten besteht.“
Lydia schüttelt den Kopf. „Der Aufwand wäre für mich viel zu hoch. Ich habe keine Ahnung von den dazugehörigen Tätigkeiten wie Buchsatz, Lektorat sowie Veröffentlichung. Außerdem müsste ich einen eigenen Verlag gründen und in Vorkasse gehen. Das will ich nicht.“
„Und woran schreibst du zurzeit?“, fragt er.
„Hat dir das Christine noch nicht erzählt?“ Ihre Wangen färben sich rot.
„Nein.“ Er tut unwissend und schaut Christine erstaunt an. „Du weißt mehr als ich?“ Als beide Frauen nicht antworten, fragt er grinsend: „Etwa was Erotisches?“
„Nein, einen ganz normalen Frauenroman“, antwortet Christine für Lydia.
„Und warum wird Lydia rot? Irgendwas kann doch da nicht stimmen?“
„Ach, es ist peinlich.“
„Es ist gar nicht peinlich“, kontert Christine. „Sie hat sich etwas verliebt, als sie mit Bertram beim Kinderarzt war.“
„Was? Das ist ja super“, sagt Olli. „Da war wohl ein schnuckeliger Papi mit seinem Kind anwesend?“
„Nein“, antwortet Christine nochmals für Lydia, „das hatte ich auch erst vermutet.“
„Mein Gott …“ Lydia überlegt krampfhaft, mit welcher plausiblen Begründung sie sich aus der Affäre ziehen könnte. „Ihr gebt ja doch keine Ruhe. Der Kinderarzt ist schnuckelig. So, nun wisst ihr es.“ Lydia weiß nicht, ob sie lachen oder wütend sein soll, weil sie zu einer Notlüge gegriffen hat und ergänzt: „Er weiß es nicht, weil es peinlich ist.“
Christine und Olli schauen sich fragend an.
„Aber der ist doch schon über sechzig“, stellt Olli verwundert fest.
Lydia schüttelt den Kopf. „Das ist mir gar nicht aufgefallen. Eigentlich sieht der jünger aus.“
„Na, egal“, sagt Olli. „Wo die Liebe hin fällt, da kann man nichts machen. Wieso findest du das eigentlich peinlich, jemandem zu sagen, dass du ihn liebst?“
„Hallo?! Ich mache mich doch nicht zum Affen.“
„Wenn er nicht verheiratet ist, dann steht euch doch erst mal nichts im Weg.“ Olli denkt kurz nach. „Oder ist er verheiratet? Die Jungs haben bald einen Impftermin. Soll ich ihn fragen? Ich kläre das für dich.“
„Bist du wahnsinnig?“ Lydia wird blass. „Nichts klärst du. Ich gehe nie wieder da hin und schon ist alles gut.“
„Du darfst gerne mit den Jungs zum Impfen gehen. Ich kann keine Spritzen sehen. Wenn es blutet kippe ich aus den Latschen. Was sollen die Jungs dann von ihrem Papi halten? Nichts mehr mit mutiger starker Papi. Mein Ruf wäre ruiniert.“ Er blinzelt Lydia vergnügt an.
„Wie kannst du nur immer alles so leicht nehmen?“, fragt sie ihn.
„Das ist Übungssache. Falls du `Alles-leicht-nehmen´ üben möchtest, dann überlasse ich dir die Fahrt zum Kinderarzt.“
„Ich würde dort nur zittern und kein Wort mehr rausbekommen.“
„Deshalb sollst du doch üben“, sagt Olli.
„So sehr hat es dich erwischt?“, fragt Christine und schaut sie mitleidig an.
„Hi, hi, hi“, lacht Olli. „Dann würde der Doc denken, du hast auch Angst vor Spritzen. Nee, das geht nicht. Hier muss eine andere Strategie her. Lasst mich nur mal machen, ich kläre das.“
„Wehe“, rufen Lydia und Christine wie aus einem Mund.
„Lass das Lydia allein entscheiden“, sagt Christine. „Ich kann das nachvollziehen. Wenn man nicht weiß, wie der andere fühlt, dann kann man nicht einfach raus posaunen: `Ich liebe dich.´“
„Und was schlägst du stattdessen vor?“
„Ich weiß es auch nicht, aber so geht es nicht.“
„Soll Lydia etwa schmachten und bald verrückt werden vor unerfüllter Liebe? Ich weiß, wie sich das anfühlt, immerhin war ich fast Jahrzehnte unerwidert in dich verliebt, meine liebe Christine.“
„Vielleicht gehen wir gemeinsam zum Impftermin, dann ist sie nicht allein. Und so ganz nebenbei … Wer weiß?“ Christine lächelt und zuckt mit den Schultern.
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